Historisches Institut der Univ. zu Köln; Nicole Kramer; Pierre Pfütsch, Institut für Geschichte der Medizin des Bosch Health Campus (Web)
Ort: Univ. zu Köln
Zeit: 03.-04.07.2025
Anmeldung: bis 13.06.2025
Panels: Gesellschaftsvorstellungen und politische Herrschaft in der Nachkriegszeit | Reform, Protest und soziale Bewegungen | Pflege, Pädagogik und das Politische | Soziale Ungleichheit und gefährdete Demokratie
Die Tagung soll einerseits einen Beitrag dazu leisten, die Forschungen zur politischen Dimension von Care-Arbeit seit 1945 voranzubringen. Andererseits soll das Wissen zur Geschichte des politischen Denkens im 20. Jhd. erweitert werden, und zwar mit Blick auf Bevölkerungskreise, die in dieser Hinsicht bisher wenig beachtet wurden. Der Zugang über die Arbeitswelten eröffnet die Möglichkeit, politische Haltung jenseits traditioneller politischer Foren, nämlich als Alltagskommunikation zu beleuchten.
Soziale Tätigkeiten galten lange Zeit nicht nur als Domäne von Frauen, sondern auch als unpolitisch. Doch feministische Denker:innen haben diese Zuschreibung seit den 1970er Jahren massiv in Frage gestellt. Insbesondere durch Debatten um den Care-Begriff hat sich ein Verständnis etabliert, dass nicht mehr nur von konkreten fürsorgerischen und pflegerischen Handlungen ausgeht, sondern von einer stark beziehungsorientierten, öffentlichen Verantwortung spricht und diese als republikanische Tugend definiert. Soziale personenbezogene Dienste erhalten damit einen genuin politischen Charakter.
Ein wesentliches Merkmal von professioneller Care-Arbeit ist es, dass die dort Beschäftigten mit weiten Kreisen der Bevölkerung in Kontakt stehen. Mehr über ihr politisches Denken zu erfahren, liefert damit wichtige Einblicke in das Politik- und Staatsverständnis der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Fragen nach dem politischen Denken sind bereits seit einigen Jahren im Zentrum der zeithistorischen Forschung. Neben den politikgeschichtlichen Ansätzen, die Parteien, Vereine und Organisationen beleuchten, hat sich ein erfahrungsgeschichtlicher Zugang herausgebildet, der die Untersuchung von Selbstzeugnissen bevorzugt. Sowohl die Geschichte der Demokratie als auch die des extremistischen, vor allem des rechtsradikalen Denkens sind im Fokus. Die Frage nach dem Politik- und Staatsverständnis der in der Care-Arbeit Beschäftigten verknüpft und erweitert die bisherigen Perspektiven miteinander. Erstens werden auch Personen greifbar, die nicht in Parteien und Organisationen erfasst sind. Zweitens lassen sich Haltungen von Individuen untersuchen, die weit über die Rolle von Leserbriefschreiber:innen oder Petitionsverfasser:innen hinaus als Akteur:innen mit lebensweltlichen Verankerungen sichtbar gemacht werden können.
Auf der Tagung sollen folgende Fragen aufgegriffen werden: Welche Staats- und Politikauffassungen vertraten die in der Care-Arbeit Tätigen? Welche Debatten über Toleranz und Menschenwürde führten sie in Fachzeitschriften oder innerhalb von Interessenverbänden? Welche Deutungen vom Sozialstaat vertraten sie als Mitwirkende bei der Umsetzung des staatlichen Fürsorge- und Versorgungsauftrages? Welche Rolle spielten Gewerkschaften für allgemeinpolitische Themen von Beschäftigten in der Pflege, in Schulen und Betreuungseinrichtungen? Wie positionierten sich Beschäftigte sozialer personenbezogener Dienstleistungen zu extremistischen Weltsichten und allgemeinpolitischen Ereignissen?
Die Tagung soll durch den Austausch einerseits einen Beitrag dazu leisten, die Forschungen zur politischen Dimension von Care-Arbeit seit 1945 voranzubringen. Andererseits wird das Wissen zur Geschichte des politischen Denkens im 20. Jhd. erweitert, und zwar mit Blick auf Bevölkerungskreise, die in dieser Hinsicht bisher wenig beachtet wurden. Der Zugang über die Arbeitswelten eröffnet zudem die Möglichkeit, politische Haltung jenseits traditioneller politischer Foren, nämlich als Alltagskommunikation zu beleuchten.
Wir laden Sie herzlich zur Teilnahme ein. Zur besseren Planung melden Sie sich bitte bis 13. Juni 2025 bei Maximilian Schmidt (schmidt.maximilian@uni-koeln.de) an.
Programm
Donnerstag, 3. Juli 2025
13 Uhr Begrüßung
Nicole Kramer (Köln) und Pierre Pfütsch (Stuttgart): Weltsichten und Arbeitswelten: Zur Verknüpfung von zwei Forschungsfeldern
13.50-15.10 Uhr: Panel 1: Gesellschaftsvorstellungen und politische Herrschaft in der Nachkriegszeit (Moderation: Pierre Pfütsch)
Sandra Wenk (Halle): Gesellschaftsvorstellungen, öffentliche Positionierungen und Handlungsspielräume von Sonderschullehrer:innen, ca. 1945–1975
Christoph Schwamm (Heidelberg): Staatstragende Mütterlichkeit? Die politische (Selbst)verortung von Kinderkrankenschwestern in der BRD und DDR ca. 1950 – 1980
15.10-15.40 Uhr Kaffeepause
15.40-17.40 Uhr Panel 2: Reform, Protest und soziale Bewegungen (Moderation: Nicole Kramer)
Alexandra Jäger (Bonn): Zwischen Revolutionsbegeisterung und Bildungsreformen. Lehrer:innen zur Zeit des Radikalenbeschlusses in den 1970er Jahren
Wiebke Wiede (Trier): Skandal und Mobilisierung. Interessenvertretung von Altenpflege seit den 1970er-Jahren
Laura Moser (Heidelberg): Unpolitisch politisch. Tagesmütter zwischen bürgerschaftlichem Engagement, Politik und Bewegung in den 1970er Jahren der Bundesrepublik
19 Uhr Abendessen
Freitag, 4. Juli 2025
9.00-10.20 Uhr Panel 3: Pflege, Pädagogik und das Politische (Moderation: Dorothee Lebeda)
Jeanette Windheuser (Berlin): Sorge und pädagogischer Beruf als Gegenstand feministischer Politik und Theoriebildung
Susanne Kreutzer (Münster): Politisierung von Pflegenden – eine Generationengeschichte
10.20-10.40 Uhr Pause
10.40-12.00 Uhr Panel 4: Soziale Ungleichheit und gefährdete Demokratie (Moderation: Maximilian Schmidt)
Till Hilmar (Wien): Von Arbeitserinnerungen zu politischen Orientierungen? Erfahrungen ostdeutscher und tschechischer Pflegekräfte in der post-1989 Transformation
Júlia Wéber (Neubrandenburg): Extrem rechte Einflussnahmen auf die Strukturen und Praxis Sozialer Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern. Wie Gegenmaßnahmen institutionalisieren?
12.00-12.45 Uhr Fazit und Abschlussdiskussion
Kontakt: Nicole Kramer: nicole.kramer@uni-koeln.de und Pierre Pfütsch: pierre.pfuetsch@igm-bosch.de
Quelle: HSozKult