Dissertation Veronika Wöhrer: GrenzgängerInnen. Genderforschung zwischen Kapitalismus und (Post-)Sozialismus

GrenzgängerInnen.

Genderforschung zwischen Kapitalismus und (Post-)Sozialismus

In dieser Dissertation wurden wissenschaftliche Diskurse und Kooperationen untersucht, die Anfang der 1990-er Jahre zwischen GenderforscherInnen aus den USA, Österreich, der tschechischen und der slowakischen Republik stattfanden. In einer empirischen Studie wurden 36 Interviews mit ForscherInnen aus diesen vier Ländern geführt, schriftliche Daten, die im Zuge der Kooperationen erzeugt wurden (Projektberichte, Sitzungsprotokolle, Konferenzbände, etc.) analysiert, teilnehmende Beobachtungen durchgeführt und Größenverhältnisse von Publikationen, Zitationen, etc. berechnet.
Relevante Forschungsfragen waren beispielsweise folgende: Wie wurden Bilder von „uns“ und den „anderen“ erzeugt, wie Ein- und Ausschlüsse von Gruppen konstituiert, wie Differenzen und Hierarchien produziert und reproduziert, und wie wirkten sich diese auf wissenschaftliche Kooperationen aus. Dies erschien mir gerade im Feld der feministischen, Frauen- und Genderforschung besonders interessant. Denn innerhalb der feministischen Forschung gab es immer wieder Diskussionen um Machtverteilungen und damit einhergehende Dominanzen bestimmter feministischer Theorien und Ausschlüsse alternativer Denkweisen. Seit dem Anfang der 1990-er Jahre wurden dabei auch kritische Stimmen von ForscherInnen ehemals realsozialistischen Länder Europas lauter, die die inhaltliche Vorherrschaft „westlicher“ Feministinnen hinterfragten. Sie thematisierten neben einem (vermeintlichen) „Vorsprung“ an theoretischer Reflexion und organisatorischem Know How, der „westlichen“ ForscherInnen zugeschrieben wurde, auch deren privilegierte Position im internationalen wissenschaftlichen Diskurs: Welche wissenschaftlichen Werke, in welchen Sprachen, welcher Verlage haben im internationalen Kontext realistische Aussichten übersetzt bzw. gelesen zu werden? Wer kann sich leisten, welche Publikationen zu ignorieren bzw. welche Entwicklungen nicht zu kennen? Welche Daten im Lebenslauf und Stationen an welchen Institutionen verhelfen dazu als „renommierteR“ WissenschafterIn zu gelten? Welche Institutionen setzen die Kriterien für „förderungswürdige“ Wissenschaft, welchen politischen und wirtschaftlichen Rückhalt haben sie und wie mächtig sind sie dadurch im internationalen Forschungsfeld? Wer hat Zugang zu diesen Institutionen und deren Ressourcen? Dies sind Fragen, die es meines Erachtens nicht nur in der „Mainstream-Wissenschaft“, sondern auch im kleinen Feld der feministischen, Frauen und Genderforschung zu stellen und zu reflektieren gilt.
Nach einigen grundlegenderen Begriffsklärungen in Kapitel 3 (z.B.: kapitalistisch – post-sozialistisch, Ost – West , feministische, Frauen- und Genderforschung) wurden in Kapitel 4 Rahmenbedingungen der Kooperationen dargestellt: Einem Verweis auf internationale politische und ökonomische Beziehungen auf gesellschaftlicher Makro-Ebene folgten Skizzen der vier nationalen Wissenschaftsgesellschaften sowie ein Ausblick auf deren internationale Verflechtung. Danach folgt ein kurzer Überblick über die Geschichte von Frauenbewegungen und feministischer, Frauen- und Genderforschung in den USA, Österreich, der tschechischen und slowakischen Republik mit Berücksichtigung des internationalen Feldes der Gender Studies. Ich ging insbesondere auf Kritik an „westlichen“ Frauenbewegungen und an der Dominanz weißer Mittelschichtsfrauen ein.
In Kapitel 5 stellte ich die in dieser Untersuchung verwendeten Methoden und die dahinterliegenden Methodologien dar. Ich beschäftigte mich in diesem Zusammenhang vor allem mit qualitativen Ansätzen und feministischer Methodenkritik. Im Anschluss beschrieb ich die von mir vorgenommene Untersuchung, meine Daten, Erhebungs- und Analysemethoden.
Den zentralen Teil dieser Arbeit bildete Kapitel 6. Darin stellte ich die von mir herausgearbeiteten Muster vor, die die ersten Kontakte und Kooperationen zwischen ForscherInnen aus den genannten Ländern prägten. Ich begann mit Bildern und Stereotypen: den Konstruktionen von „West“ und „Ost“ und der von „wir“ und „die anderen“ sowie den Bildern von den „reichen Westfrauen“ und den „armen Ostfrauen“, dem „Vorsprung“ an Theorie und dem „Bedarf“ an Aufarbeitung, die bisweilen zu Stereotypen von „den dominanten Westfrauen“ und den „verweigernden Ostfrauen“ verfestigt wurden. Ich versuchte den Umgang mit diesen Bildern darzustellen, sie gegeneinander zu lesen, mit schriftlichem Datenmaterial und Zahlen zu konfrontieren und in diesem Sinne zu relativieren. Durch die Konstrastierung möglichst unterschiedlicher Daten, die auch verschiedenen Zeitfeldern entsprechen (z.B. Interviews versus Originaldokumente), dem Einbezug von Widersprüchlichem (z.B. der Aussage unterschiedlicher Interviewpartnerinnen) und der Bezugnahme auf Zahlen und Statistiken (z.B. konkrete Zahlen von TeilnehmerInnen) sollten monolithische Erzählungen aufgebrochen und Auslassungen entgegengewirkt werden. Obwohl ich Bilder und Stereotype als „Konstrukte“ bezeichne, halte ich sie für wirkmächtige Elemente, die die Wahrnehmung aller Beteiligten strukturieren und daher reale Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen, Wissenschaft und Wissensproduktion haben. Sie verfügen meines Erachtens also über soziale, politische und ökonomische Fundierungen und ebensolche Auswirkungen. Im weiteren beschäftigte ich mich mit dem implizit auftauchenden Bild einer linearen Entwicklung, die Gender Studies wie Frauenbewegungen an allen Orten durchliefen, thematisiere Hierarchien auf „nationaler“ Ebene, beschrieb ein konkretes „Ost“-„West“-Netzwerk und befasste mich mit den titelgebenden „GrenzgängerInnen“.
Darauf folgte ein kurzer Ausblick auf Entwicklungen nach 1995 in Kapitel 7, der den bereits historischen Aspekt dieser Untersuchung verdeutlicht.
In Kapitel 8 fasste ich die Ergebnisse zusammen und versuchte einen Ausblick: Wie könnten „alternative“ Modelle internationaler Zusammenarbeit aussehen? Wie könnten Ansprüche eines reflektierten Umgangs mit Differenzen unter WissenschafterInnen oder AktivistInnen mit feministischen Anliegen in Begegnungen konkretisiert werden?

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