Maria E. (geb. 1890) war in einem bürgerlichen Umfeld in der Steiermark aufgewachsen. Sie war ausgebildete Lehrerin und Klavierlehrerin. 1910 hatte sie eine Ferienreise in die Schweiz, nach Frankreich sowie Spanien unternommen und während der Sommer 1911 und 1912 als Kinderfrau in Vítkov-Klokocov (Groß-Glockersdorf) in Mährisch Schlesien gearbeitet. Seit 1913 war sie mit einem aus Nordböhmen stammenden Juristen verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes in einer steirischen Stadt. Im August 1914 stand die Geburt ihres zweiten Kindes unmittelbar bevor. Dessen Entwicklung hat Maria E. in einem Tagebuch festgehalten, das als Abschrift in der Sammlung Frauennachlässe vorliegt. Die Einträge beginnen bereits in der Schwangerschaft.
Juli: Aufregung herrscht in der Stadt. Mit Begeisterung liest jeder das Ultimatum „Österreichs an Serbien.“ Es liegt eine Schwere in der Luft, so eine bange Ahnung!
27. Juli: Große Plakate fordern zur Mobilisierung auf. Begeisterung und Unruhe, Vaterlandsliebe und Abschiedsweh durchzittern die Stadt.
28. Juli: Die Würfel sind gefallen „Österreich erklärt Serbien den Krieg“.
8. August: Die Nachrichten überstürzen sich. Volk erhebt sich wider Volk. Glühende Kaisertreue, gepaart mit fieberhafter Erregung, hat allenthalben Platz gegriffen. Ich lebe alles mit ganzem Interesse und tiefer Bewegung mit, ohne dabei das Eine zu vergessen, was meiner Seele das schönste Lied bedeutet … in ihr am tiefsten singt …
13. August: Nun sind alle Vorbereitungen getroffen. Der Schlafwagen steht neben meinem Bette und voll Liebe neige ich mich über die Wiege, drin nun ja schon so bald ein unschuldig Kindlein atmen soll. Nach des Tages Mühe mache ich mit Mutter und Bubi [der 11 Monate alte Sohn der Schreiberin] einen Spaziergang. Langsam sinnend gehe ich in den Sommerabend. Viel, viel Liebe und noch mehr Stille, die leises Bangen durchhaucht, ist in mir … Müde und versonnen wünsche ich der teuren Mutter „Gute Nacht!“ – – Adolf ist nicht daheim und Katherl, die 13-jährige Schwester, übernachtet bei mir. Bald schläft die Kleine. Ich aber muß sie leider um 10 Uhr abends wieder wecken … Rasch schreibe ich einige Zeilen, die durch ihre heitere Art die Besorgtesten beruhigen müssen und Katherl verständigt damit Mutter [die Eltern der Schreiberin wohtnen im selben Gebäude bzw. in unmittelbarer Nachbarschaft] … Auf eine mir noch unbekannte Art meldet sich mein Kindlein an … Es dauert nicht lange und meine teure Mutter ist mit ihrer Fürsorge bei mir. Sie hat bereits dem Adolf telefoniert, ist mehr erregt als ich, umgibt mich mit ihrer ganz mütterlichen Fürsorge und Liebe, schafft jede nur erdenkliche Erleichterung … Wenn Du noch eine Mutter hast! – – Wie glücklich bin ich – – Um 11 Uhr fährt ein Wagen vor. Adolf bringt gleich Frau Christine B. [die Hebamme] und die Kriegserklärung Englands an Österreich mit – – und nach kaum drei Stunden, am Tage vor Maria Himmelfahrt, Freitag den 14. August, ½ Uhr früh, liegt ein Knäblein in der Wiege! – – – Continue reading →