Kulturwissenschaftliche Zeitschrift: Anna-Maria Post (Univ. Konstanz, Germanistik) und Anna Karina Sennefelder (Univ. Freiburg, Medienkulturwissenschaft) (Web)
Einreichfrist: 15.05.2025
Mutter oder Nicht-Mutter, das scheint noch immer die Frage aller Fragen zu sein, bzw. die „Mutter aller Fragen“, wie Rebecca Solnit ihren einschlägigen Essay genannt hat (Solnit 2017). Zugleich wird das lang tradierte Credo, mater semper certa est, in unserer Gegenwart dank Debatten um pränatale, reproduktive medizinische Eingriffe, Eizellenspenden und Leihmutterschaft erschüttert. Kulturwissenschaftlich betrachtet war Mutterschaft jedoch noch niemals eindeutig und ‚sicher‘, sondern schon immer ein Feld erbitterter biopolitischer, sozialer und geschlechtsbezogener Kämpfe. Dennoch findet sich Mutterschaft erst seit etwa 10 Jahren als intensiv verhandeltes Sujet in Literatur, Kunst und Kultur, das – so unsere These – insbesondere in den letzten fünf Jahren einen bemerkenswerten Boom, eine komplexe poetologische Ausdifferenzierung sowie eine immense politische Wirkkraft entwickelt hat. Entsprechend vielfältig sind die Medialisierungen und Diskursivierungen von Mutterschaft und vor allem ihrer Ambivalenz in der Gegenwart. Sie reichen von politisch motiviertem Verzicht auf Mutterschaft aus Klimaschutzgründen (#birthstrike, vgl. Keßler 2023) über Eingeständnisse postnataler Depressionen (vgl. Wessely 2024), ‚stiller Geburt‘, Fehlgeburt (vgl. Mundruczó 2021) und Abtreibungen (vgl. Gneuß/Weber 2023), bereuter (vgl. Hefffernan; Stone 2021) oder gar abgegebener (vgl. Gómez Urzaiz 2024) bis hin zu queerer (vgl. Dolderer, Holme et.al. 2018) und interspezies-Mutterschaft (vgl. Ullrich 2015) oder posthumanistischen und dystopischen Fiktionen, in denen die Mutter eine KI-gesteuerte Maschine ist (vgl. Sputore 2019), sich nachts in eine reißende Bestie verwandelt (Yoder 2022; Heller 2024) oder als ‚Mutter Erde‘-Allegorie von Mann und Menschheit brutal ausgebeutet und zerstört wird (Aronofsky 2012).
Dass Mutterschaft und die Ambivalenz der Erfahrungen des Mutterwerdens und des Mutterseins derzeit so populär sind, hängt indes nicht nur mit sozialen und emanzipatorischen Errungenschaften oder zunehmender Gender-Gerechtigkeit und Sichtbarkeit zusammen, sondern auch damit, dass es beim mothering um etwas zutiefst Existenzielles geht, das … weiterlesen und Quelle (Web).