Vortrag: Roswith Roth: „Frauen in Japan im Dilemma“, 19.11.2007, Graz

Grazer Gender Lectures 2007 / Koordinationsstelle für Geschlechterstudien, Frauenforschung und Frauenförderung (Website)
Prof.in Dr. Roswith Roth, Psychologie
Zeit: Montag, 19. November 2007 18.00 Uhr
Ort: Großer Sitzungssaal A2/15.21, RESOWI
Mehr noch als die Männer in Japan bekommen die Frauen den Spagat zwischen Tradition und rasantem Fortschritt, zwischen herkömmlicher Lebensweise und technisierter und extremen Leistungsdruck unterworfener Realität zu spüren. Im Rahmen der Japan-Diskurse (Nihonjinron) werden seit Mitte der 1980er Jahre die Internationalisierung Japans diskutiert und die Schattenseiten der japanischen Wirtschaft und Gesellschaft kritisiert: der Arbeitsmarkt ist weder frei noch durchlässig und diskriminiert Frauen und schlecht Ausgebildete. Innerhalb der Firmenhierarchien besteht eine Art „Rolltreppensystem“, das zur Stagnation führt. Durch die Betonung der Gruppenidentität wird die Kreativität unterdrückt, dem/der Einzelnen fehlt oft die Motivation.
Obwohl viele Frauen eine Universität besucht haben werden ihre Tätigkeiten in Großfirmen bislang meist auf wenig verantwortungsvolle Verwaltungsaufgaben reduziert. Von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen bleibt den sogenannten „Office Flowers“ ein Aufstieg verwehrt, da stillschweigend davon ausgegangen wird, dass Frauen mit der Heirat oder spätestens mit der Geburt des ersten Kindes aus dem Berufsleben ausscheiden. Nach ihrem Wiedereinstieg ins Berufsleben arbeiten die meisten Frauen offiziell als Teilzeitkräfte, leisten allerdings oft genauso viele Arbeitsstunden wie Vollzeitbeschäftigte, bei schlechter Bezahlung und ohne Schutz. Um Frauen im Berufsleben zu fördern wurde 1986 das Gesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf (Novellierung 2006) und 1992 das Gesetz zum Erziehungsurlaub erlassen.
Da inzwischen erstmals eine eigenständige berufliche Existenz auch für Frauen gesellschaftlich akzeptiert ist, andrerseits der Erziehungsurlaub in den meisten Betrieben noch nicht geregelt ist, zeichnet sich die Tendenz ab, dass Frauen immer später heiraten oder gar keine Familienpläne mehr haben. Inzwischen haben Liebesheiraten die traditionell arrangierten Ehen weitgehend verdrängt und wie im Westen steigt die Scheidungsrate, die meisten Trennungen werden von Frauen initiiert. Ein neues Gesetz zur Teilung der Pensionsansprüche, das im April 2007 beschlossen werden soll, lässt eine Scheidungswelle erwarten, veranlasst vor allem von lang verheirateten und am „retired husband syndrome“ leidenden Frauen.
Die Jungen in Japan beginnen sich in Werten und Verhalten grundlegend von ihren Eltern zu unterscheiden, in den 1960er Jahren war die junge Generation so „anders“, dass für sie eine neue Bezeichnung eingeführt wurde: „neuer Menschentyp – shinjinrui“. Sie wollen mehr Freiheit, Freizeit, Urlaub, Selbstverwirklichung und weniger ein hohes Bruttosozialprodukt denn einen hohen Nettolohn. Ob sich die Jungen die „Absage“ an den uneingeschränkten Arbeitseinsatz und die Bereitschaft zur Unterordnung im realen Berufsleben leisten können, wird sich zeigen. Zumindest die Gruppe der noch bei den Eltern lebenden Singles mit eigenem Einkommen lässt es sich heute schon gut gehen. Vor allem die modebewussten, noch nicht verheirateten Frauen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, die mit ihrem Einkommen keinen eigenen Haushalt bestreiten müssen, gelten als „young single parasites“ ein Begriff, in dem die Missbilligung an der Lebensweise mitschwingt. Ein unlängst (Februar 2007) vom Gesundheitsminister von Japan Hakuo Yanagisawa getätigter Ausspruch über Frauen als Gebärmaschinen führte selbst im Harmonie liebenden Japan zu einem Protest von Frauen, die sich bisher von keiner Partei wirklich vertreten und unterstützt fühlen.
Prof.in Dr. Roswith Roth
Studium der Psychologie und Erziehungswissenschaften, Abschluss mit Doktorat der Philosophie 1980, Habilitation in Psychologie 1993, Leiterin der Koordinationsstelle für Frauenforschung und Frauenförderung 1993 – 1999, Leiterin des Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen 1994 – 2006, Leiterin der ARGE Universitätsfrauen 2003-2006.
Gastprofessuren an den Universitäten von Little Rock, Arkansas, USA (für Geschlechterforschung) 1999, Erasmusdozentin an der Universität Padua, Italien 2003 (Geschlechterforschung) und an der Hiroshima University, Japan 2005,
Leiterin der Arbeitsgruppe für Gesundheitspsychologie und Geschlechterforschung am Institut für Psychologie, Universität Graz, seit 2000
Arbeitsgebiete: Psychologische Geschlechterforschung und Gesundheitspsychologie

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