Referat Genderforschung der Univ. Wien – RGF: Ringvorlesung „Kulturelle Pluralität in Feminismus sichtbar machen“, WiSe 2023/24 (Web)
Zeit: 07.11.2023, 18.30 Uhr
Ort: Universität Wien und virtueller Raum
Ist es möglich, im Rahmen einer meist als patriarchal etikettierten Religion wie dem Islam Feminismus zu entwickeln? Wie und in welchem Rahmen kann das geschehen? Und was bedeutet Muslim:innen der Begriff Feminismus? Gewiss ist „islamischer Feminismus“ kein einheitliches Ideen-Gebäude oder gar Konzept. Ebenso wie es im globalen Feminismus verschiedene Strömungen gibt und die Entwicklung nicht abgeschlossen ist, so ist auch im entsprechenden muslimischen Bereich vieles in ständiger Bewegung. Für manche Feminist:innen ist es strittig, ob es im Rahmen des Islam überhaupt Feminismen geben kann, und auch unter Muslim:innen gibt es zwischen feministischen Forderungen und der Ablehnung feministischer Konzepte eine große Bandbreite.
Ansätze der Frauenrechtsbewegung reichen in manchen mehrheitlich muslimischen Ländern rund 150 Jahre zurück; sie entwickelten sich vor dem Hintergrund von antikolonialen und nationalistischen Bewegungen und einer beginnenden Säkularisierung. In der zweiten Hälfte des 20. Jhds. beriefen sich muslimische Frauenaktivistinnen zunehmend auf den Islam und dessen frühe Geschichte, um islamische Frauenrechte herauszuarbeiten, die in den patriarchalen Gesellschaften völlig verdrängt worden waren. Eine islamisch-feministische Theoriebildung entwickelte sich erst seit den letzten Dekaden des 20. Jhd. zunächst hauptsächlich im theologischen Bereich. Hingegen wurden und werden die Debatten zu den gender-relevanten sozialen Fragen im Bereich der islamischen Jurisprudenz und den abgeleiteten Rechtsvorschriften geführt. In diesen intersektionalen Aushandlungsprozessen und Protestbewegungen entstand das Bewusstsein, dass Geschlechtergerechtigkeit nur durch ein neues, hermeneutisches Verständnis und frauengerechte Lesarten des Koran und der kritischen Re-Evaluierung von Überlieferungen zu erreichen sei und zu tiefgreifenden, auch rechtlich abgesicherten Reformen der Geschlechterverhältnisse führen müsse.
Die sogenannte “islamische Welt” – die mehrheitlich muslimischen Länder und vom Islam geprägten Kulturen von Marokko bis Südost-Asien – bieten hier viele Überraschungen, wobei Continue reading