CfP – Feministische Perspektiven auf Migrationspolitik

Heft 1/2008 der Femina Politica
Feministische Perspektiven auf Migrationspolitik in Deutschland (Arbeitstitel)

Seit den 1960er Jahren hat sich die Bundesrepublik Deutschland teils unbemerkt, teils politisch ungewollt, zu einem Einwanderungsland entwickelt. Während Einwanderungs- und Integrationsprozesse in diesen Jahren allenfalls punktuell Gegenstand politischer Debatten waren, setzte mit der allmählichen Europäisierung von Migrationspolitiken und der Diskussion um eine Zuwanderungsgesetzgebung seit Anfang des Jahrtausends eine breite öffentliche Thematisierung von Einwanderung und Integration ein. In dieser Debatte bleibt jedoch die strukturelle Vergeschlechtlichung von Migrations- und Integrationsfragen weiterhin unterbelichtet.

Dies zeigt sich insbesondere auch an den aktuellen Auseinandersetzungen um Zwangsheirat, „Ehrenmorde“ und die „Kopftuch-Debatte“, in denen Frauenrechte oftmals analytisch isoliert und politisch instrumentalisiert werden.
Das geplante Schwerpunktheft zielt daher vorrangig auf eine geschlechterkritische Reflektion der Migrations-, Asyl- und Integrationspolitiken in Deutschland. Die aktuellen Migrationspolitiken sollen im Kontext von theoretischen Ansätzen an der Schnittstelle feministischer Politikwissenschaft und geschlechterkritischer Migrationsforschung analysiert, aber auch mit Blick auf Modelle und
Konzepte der (geschlechter)politischen Praxis zu Migrationsfragen gespiegelt werden. Vor diesem Hintergrund freuen wir uns sowohl über theoretisch ausgerichtete als auch empirische, gerne historisch und international vergleichend angelegte Beiträge zu folgenden Themenkomplexen:
Migration und politische Ordnung: Zunächst stellt sich die Frage, in welcher Weise die Steuerung von Migration mit der staatlichen und politischen Ordnung verschränkt ist und welchen Stellenwert Migration für die Organisation des Politischen sowie für die Stabilität und Gestalt von Institutionen hat. Dabei stehen zunächst der Begriff und das Konzept von Integration selbst auf dem Prüfstand. Weiter soll nach den politischen Funktionen von Geschlecht und ethnischer Herkunft zur Wahrung (national-)staatlicher Ordnungen gefragt werden (z.B. im Feld der Bevölkerungspolitik). Im Mittelpunkt stehen hier politisch und sozial hergestellte und konstruierte Abgrenzungen: Was wird ein- bzw. ausgeschlossen entlang welcher Grenzen und Kategorien (z.B. Staatsbürgerschaft)? Wie wirkt sich die Anerkennung „kultureller Differenzen“ beispielsweise im Strafrecht auf die Position von Frauen aus? Welche Ausgrenzungs- und Hierarchisierungspraxen wurden und werden über Migrationspolitiken institutionalisiert? Wie wird das Verhältnis von „Mehrheitsgesellschaft“ und Migrantinnen gedeutet, welchem Wandel sind diese Deutungen unterworfen? Die Thematisierung unterschiedlicher Gruppenzugehörigkeiten wirft schließlich auch die Frage der Repräsentation auf. Hier wäre zum Beispiel zu fragen, auf welcher politischen Ebene MigrantInnen sich als politischer Akteur sichtbar machen (können) oder welche gesellschaftspolitischen Repräsentationsformen ihnen offen stehen.
Migration und Intersektionalität: Im Kontext der Forschung zu Intersektionalität und Diversity sowie der postcolonial studies, in der die Interdependenzen von Differenz- und Ungleichheitsstrukturen im Zentrum des Interesses stehen, stellt sich die Frage, wie sich Geschlecht und weitere Kategorien der Diskriminierung wie ethnische Herkunft oder Religion und Weltanschauung, aber auch soziale Herkunft im Prozess von Migration und Integration überlagern und zusammenwirken. So ist zu fragen, mit welchen Zuschreibungen, Stereotypisierungen und Klassifikationen Geschlechter- und Ethnizitätskonstruktionen hergestellt werden und welche dadurch entstehenden Hierarchien in politischen Institutionen und politischen Prozessen ihren Niederschlag finden. Von besonderem Interesse sind dabei empirische Beiträge zu Differenzen unter Frauen und damit zur potenziellen „Gleichzeitigkeit von Diskriminierung und Dominanz“ (Rommelspacher) innerhalb der Kategorie Geschlecht.
Ausgestaltung und Wirkung von Migrationspolitiken: Hier sind Beiträge zu konkreten Politikfeldern erwünscht. Dabei ist zum einen an die geschlechtliche Konstruktion und die geschlechtsbezogenen Implikationen klassischer migrationsrelevanter Felder gedacht wie das inzwischen reformierte Staatsangehörigkeitsrecht, das im Jahre 2005 verabschiedete Zuwanderungsgesetz oder auch die in diesem Zusammenhang diskutierte aktuelle Neuregelung des Aufenthaltsrechts.
Ein weiteres Feld ist die Arbeitsmigration: Die Entwicklung von dauerhafter Migration hin zu transnationaler und undokumentierter Arbeitsmigration bringt auch neue Steuerungsmuster von Migration zwischen wechselseitiger Abschottung und gezielter Anwerbung hervor, die einem ausgeprägten Gender Bias unterliegen. Beispiele hierfür sind die Regulierung der haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen, die überproportional häufig von Migrantinnen erbracht werden, sowie der Bereich der „Sexarbeit“, die einer Einwanderung von Hochqualifizierten gegenüber stehen („green card“). Zum anderen sollen neue Politikfelder zum Gegenstand der Analyse werden: So entwickeln sich etwa im Zuge der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der damit verbundenen Ausweitung von Antidiskriminierungspolitiken sowohl neue Herausforderungen im Umgang mit dem Phänomen der Mehrfachdiskriminierung als auch neue politische Akteure und Verfahren der Konfliktbearbeitung.
Schließlich sollen die seit dem 11. September 2001 verstärkt geführten Debatten um Sicherheit und um den „Kampf der Kulturen bzw. Religionen“ im Hinblick auf ihre Geschlechterdimension in den Blick genommen werden. Was bedeutet die verstärkte Auseinandersetzung mit dem Islam und mit religiösen Fundamentalismen aus einer feministischen Perspektive? Selbstorganisation und Interessenartikulation von MigrantInnen: Verschiedentlich war in der politischen Öffentlichkeit vom Rückzug von MigrantInnen in eine „Parallelgesellschaft“ die Rede – eine empirisch nicht belegbare Entwicklung, die dennoch verstärkt die Frage nach politischer und kultureller Teilhabe von Migrantinnen in Deutschland aufgeworfen hat. Neben konkreten Modellen und Strategien für eine geschlechtergerechte Migrationspolitik liegt hier der Fokus auf dem Wandel von Migrationsprojekten und -netzwerken, neuen Politikformen und Bündnissen sowie widerständigen Praktiken und politischen Interventionen zu geschlechterrelevanten Migrationsfragen und damit – theoretisch formuliert – auf der Frage nach Chancen und Grenzen identitärer bzw. nicht-identitärer Politik.
Der Schwerpunkt wird inhaltlich von Dr. Julia Lepperhoff, Dr. des. Alexandra Manske und Silke Schneider verantwortet. Wir bitten um ein- bis zweiseitige Abstracts (per e-mail) bis zum 30. Juni 2007 an Dr. Julia Lepperhoff (julialepperhoff@web.de) oder die Redaktionsadresse
(redaktion@femina-politica.de).
Die Femina Politica versteht sich als feministische Fachzeitschrift und fördert Frauen in der Wissenschaft. Deshalb werden inhaltlich qualifizierte Abstracts von Frauen bevorzugt.
Die Herausgeberinnen werden auf der Basis der eingereichten Vorschläge Beiträge auswählen.
Der Abgabetermin für die fertigen Beiträge im Umfang von 25.000 bis max. 30.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) ist der 15. Oktober 2007.

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