Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung (Web)
Deadline: 23.11.2009
Der Lobgesang auf die 1950er und frühen 1960er Jahre – angestimmt von konservativen Feuilletonisten, die diese Jahre als Hochphase ‚traditioneller‘, westdeutscher Familienwerte preisen – erweist sich bei genauerer Betrachtung als Abwehrgesang gegen heutige Veränderungen in den Geschlechterverhältnissen. Verschiebungen in der Familienstruktur, eine immer breiter werdenden Akzeptanz neuer Familienformen und das Aufbrechen rigider Männlichkeitsvorstellungen lassen die ‚ruhigen‘ und nicht zuletzt deshalb auch beruhigenden Anfangsjahrzehnte der Bundesrepublik im Rückblick als Ausweg aus der heute diagnostizierten Geschlechter-Krise erscheinen.
Noch bis Mitte der 1950er Jahre geisterte das Schreckgespenst vom „Frauenüberschuss“ und den „unvollständigen Familien“ durch die westdeutschen Medien. Als Gegenmaßnahme wurde mit dem 1953 erstmals in Deutschland eingerichteten Familienministerium unter Franz-Josef Wuermeling die Familie als „Urkern staatlicher Gemeinschaft“ definiert, in der den Frauen die Rolle des „segenspendenden Herzens“ zugewiesen wurde. Nach zwei Weltkriegen und ihren Katastrophen war die Wiederherstellung rigider Geschlechterrollen sowie das Leitbild von Ehe und Kernfamilie als dominante Lebensform wichtiger Bestandteil einer ‚Normalisierung‘ der Lebensverhältnisse. Gleichzeitig wurde die Familie als Basis für eine neue politische Identität und Selbstdefinition Westdeutschlands betrachtet. Nicht zuletzt musste im Zeichen des ‚kalten Krieges‘ ein stabiles Bollwerk gegen den Kommunismus mit der Restaurierung der Kernfamilie gebildet werden. Entsprechend wurden sozialpolitische Konzeptionen für die Nachkriegsgesellschaft mit spezifischen Vorstellungen über die Familie verknüpft, die wiederum maßgeblich die bundesrepublikanische Geschlechterpolitik beeinflussten. Sie implizierten die propagandistische Aufwertung der Ehefrau und Mutter und – vice versa – die ideologische Abwertung der westdeutschen erwerbstätigen (Ehe)Frauen wie der weiblichen Werktätigen in der DDR.
Zwar trat – mit fünfjähriger Verspätung und neun Jahre später als in der DDR – am 1. Juli 1958 in der Bundesrepublik das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, doch abgesehen von marginalen Liberalisierungen der patriarchalischen Familienstrukturen sollte weiterhin eine strikte hierarchische Arbeitsteilung innerhalb der Familie beibehalten bleiben, nach der der Ehemann als Alleinernährer und seine Gattin als Hausfrau und Mutter fungierten. Auch die seit Ende der 1950er Jahre in Westdeutschland unter dem Slogan ‚Die Wirtschaft braucht die Frau‘ propagierte neue Arbeitsform der Teilzeitarbeit sollte zunächst eher zu einer Stabilisierung dieses Geschlechterrollenmodels denn zu seiner Ablösung beitragen. Neuarrangements, die unter dem Label ‚Drei-Phasen-Modell‘ für eine Vereinbarkeit von (Halbtags-)Erwerbs- und Familienarbeit warben, schufen die Figur der prekär arbeitenden Zuverdienerin, deren Arbeit sowohl jederzeit einsetzbar wie kündbar war.
Waren dies sowohl die Konzepte wie auch die Leitbilder einer bundesrepublikanischen Arbeits-, Sozial- und Familienpolitik, die das als klassisch oder traditionell behauptete Geschlechterverhältnis zu restrukturieren suchten, stellen neuere Forschungen gerade die Normativität dieser Konzepte ins Zentrum neuer Fragestellungen. So wird zunehmend daran gezweifelt, dass die Frauen in der Bundesrepublik vom Arbeitsmarkt ausschließlich verdrängt und an Heim und Herd gebunden wurden, während die Frauen in der DDR via verbürgter Gleichberechtigung einen geschlechterpolitischen Aufbruch erlebten. Nicht zuletzt die Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre erfolgten gesellschaftlichen Umbrüche deuten darauf hin, dass sich die westdeutschen Frauenbewegungen der darauf folgenden Jahrzehnte weniger vor dem Hintergrund fest zementierter Geschlechterverhältnisse herausbildeten, sondern ihre Mobilisierungskraft gerade deshalb gewannen, weil ein Wandlungs- und Emanzipationsprozess auf wichtigen gesellschaftlichen Feldern bereits in vollem Gang war.
Im Blick auf das Geschlechterverhältnis in der DDR stellt sich hingegen die Frage, in welcher Weise nach dem ‚erzwungenen Matriarchat‘ der Nachkriegsjahre auch hier zunächst Konzepte zum Zuge kamen, die der staatlich sanktionierten Gleichheit vor dem Gesetz eine Re-Familialisierung mit entsprechenden Attributen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung an die Seite stellte. Zudem ist zu vermuten, dass es auch in der DDR durch die Bewährung der Frauen in männlichen Domänen zu einer Irritation der Geschlechterordnung kam. Lässt sich somit – analog zu Studien über westliche Nachkriegsgesellschaften – auch für die DDR von einer Re-Maskulinierung der Gesellschaft in Politik, Wirtschaft und Kultur sprechen?
Die Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte, ist die Zeitschrift der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung und erscheint zwei Mal im Jahr. Im Zentrum der verschiedenen Hefte stehen immer die (historischen) Frauenbewegungen, die mit diesen Bewegungen verbundenen Ideen und Theorien sowie die Geschlechterverhältnisse. In diesem Heft soll den angeblich so ruhigen 1950er und frühen 1960er Jahren nachgegangen werden.
Folgende Fragen könnten dabei im Zentrum des Heftes stehen:
- Waren die 1950er und frühen 1960er Jahre tatsächlich so statisch und ruhig, wie sie immer gezeichnet werden?
- Welche Rollenmodelle wurden den Geschlechtern angeboten? Wie waren diese aufeinander bezogen? Wie grenzten sie sich voneinander ab?
- Gab es Unterschiede zwischen Ost und West?
- Welche Auswirkungen zeigte die Formulierung des Gleichberechtigungspassus in den Verfassungen beider Staaten? Welche Wege mussten beschritten werden, um die Gleichberechtigungsforderung in die beiden Gesellschaften umzusetzen?
- Spielte die ‚alte‘ Frauenbewegung auch in den 1950er Jahren noch eine gesellschaftlich wichtige Rolle und wenn ja, welche ?
- Gab es Gegenbewegungen bzw. gesellschaftliche Nischen, in denen andere Geschlechterrollen ausprobiert wurden und welchen Preis hatten diese gesamtgesellschaftlich zu bezahlen?
- Wie wurde die Geschlechterordnung der 1950er und frühen 1960er Jahre von wem argumentativ abgestützt bzw. in Frage gestellt?
Die einzelnen Beiträge sollten einen Umfang von ca. 26.000 bis 35.000 Zeichen, d.h. ca. 9-12 Manuskriptseiten haben. In Ausnahmefällen (zum Beispiel für einen einleitenden Artikel) kann von dieser Maßgabe abgesehen werden. Redaktionsschluss wird der 1.6.2010 sein, das Heft erscheint dann im November 2010. Wenn Sie Interesse an der Abfassung eines Artikels haben, reichen Sie uns bitte bis zum 23.11.2009 ein aussagekräftiges Exposé (1-1½ Seiten) ein. Da sich die genaue inhaltliche Gestaltung des Heftes nach den eingehenden Exposés richtet, reichen Sie bitte auch Aufsatzideen ein, die am Rande des Themas zu liegen scheinen. Sie können sich auch gerne direkt mit uns in Verbindung setzen, wir stehen Ihnen für weitere Informationen jeder Zeit zur Verfügung.
Redaktionsteam:
- Dr.in Julia Paulus, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster;
- Dr.in Kerstin Wolff und Silke Mehrwald, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung
Bitte richten Sie ihre Anfragen sowie ihre Exposés (bis zum 23.11.2009) an ff. Mailadresse: wolff#addf-kassel.de
Kontakt:
Dr.in Kerstin Wolff und Silke Mehrwald, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung
Wolff#addf-kassel.de
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URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=12578