CfP: Zwischen Ideologieverdacht und Nutzenimperativ – Geschlechterforschung und verwandte ‚kritische‘ Wissenschaftsdisziplinen in Zeiten von Populismus und Ökonomisierung (Event: 12/2017, Graz); DL: 15.04.2017

Kristina Binner (Johannes Kepler Univ. Linz) und Susanne Kink (Karl Franzens Univ. Graz) für die Sektion für feministische Theorie und Geschlechterforschung zum ÖGS Kongress 2017, „Soziologie zwischen Theorie und Praxis“

Zeit: 07.-09.12.2017
Ort: Karl Franzens Universität Graz
Einreichfrist: 15. April 2017

Der gegenwärtig wahrnehmbare gesellschaftliche Wandel hat viele Gesichter: Einerseits können wir Tendenzen zu mehr Gleichheit und Demokratie beobachten, wie zum Beispiel an der schrittweisen Etablierung von Gleichstellungs- und Diversitätspolitiken sichtbar wird. Andererseits sind jedoch auch Gegenbewegungen spürbar: Ökonomische Nutzenargumente, re-tradionalisierende und naturalisierende Vorstellungen von Geschlecht und Familie und ein beachtenswertes Ausmaß an Sexismus sind auf dem Vormarsch. Diese gleichzeitigen Bewegungen und Gegenbewegungen hin und weg von Gleichheit und Demokratie betreffen Wissensorganisationen wie die Universitäten und Hochschulen, dort vorzufindende soziale Strukturen sowie auch Wissensbestände bzw. Inhalte, zu denen geforscht und gelehrt wird. Denn welches (wissenschaftliche) Wissen als gesellschaftlich relevant betrachtet wird und in Hochschulen produziert und vermittelt werden soll bzw. darf, ist umstritten und durchaus umkämpft. Dies lässt sich derzeit besonders deutlich an den ‚kritischen‘ Wissenschaftsdisziplinen, wie der Frauen- und Geschlechterforschung, den Gender Studies, Queer Studies u.ä. ablesen. Sie werden zunehmend angegriffen, und das Spektrum ihrer Gegner_innen reicht von politischen Gruppierungen wie den Identitären über religiöse fundamentalistische Gruppierungen bis hin zu anderen Wissenschaftsdisziplinen. So unterschiedlich die Beweggründe auch sein mögen, geteilt wird die Infragestellung des gesellschaftlichen Nutzens der Gender Studies u.ä. Disziplinen, und nicht selten gipfeln die Angriffe in dem Vorwurf der „Unwissenschaftlichkeit“ oder auch „Ideologieverdacht“. In Zeiten, in denen sich populistische Bewegungen mit vermeintlichen ‚einfachen‘ Erklärungen bzw. mit „postfaktischem“ Wissen auf emotionalisierende Weise Gehör verschaffen, wird der Raum für komplexe, teilweise abstrakte und durchaus gesellschafts- bzw. wissenschaftskritische Analysen der Gender Studies o.ä. Disziplinen zunehmend kleiner. Des Weiteren müssen sie sich in Zeiten des akademischen Kapitalismus vermehrt über einen ökonomischen Nutzen bzw. einer Wettbewerbslogik legitimieren, demnach „exzellentes“ Wissen über den Wettbewerb generiert werde, und möglichst verwertbar sein soll. Was bedeuten die genannten Tendenzen also für die Geschlechterforschung und verwandte ‚kritische‘ Wissenschaftsdisziplinen und für die dort tätigen Wissenschaftler_innen?

Über die möglichen Gefahren aber auch Chancen der skizzierten Entwicklungen wollen wir in diesem Panel diskutieren. Wir freuen uns über Einreichungen zu möglichen Fragen:

  • Wie wirkt sich der der Wettbewerb unter bzw. innerhalb von Hochschulen und die damit verbundene Aufforderung der Profilierung auf die Position der Gender Studies aus? Erweist sich dies als Nutzen für die noch recht ‚jungen‘ Disziplinen bzw. Forschungsfelder im Umfeld der Gender Studies oder werden sie als nicht rentable Studiengänge erachtet, und befinden sich in Mittelkürzungsgefahr?
  • Welche Forschungen bzw. wissenschaftliche Disziplinen werden heutzutage besonders gefördert und welchen Stellenwert nehmen hier ‚kritische‘ Wissenschaftsdisziplinen wie die Gender Studies, Queer Studies u.ä. ein? Wie ist beispielsweise mit der Forderung umzugehen, dass Gender-Aspekte zum „Must-have“ diverser Forschungsanträge werden?
  • Welche Maßstäbe zur Bewertung von Forschungen und Lehre werden für den Genderbereich herangezogen? Welche Bedeutung haben z.B. Forderungen nach Employability und anwendungsbezogenem Wissen?
  • Wie kann beispielsweise mit der paradoxen Situation umgegangen werden, dass kritisches Wissen und eine „Public Sociology“ mehr denn je gefragt ist – aber ein solches Engagement nicht von den derzeit existierenden karrierefördernden Kriterien abgedeckt wird?
  • Was bedeuten mögliche Anfeindungen für die betroffenen Wissenschaftler_innen: Wie kann/soll mit diesen Anfeindungen umgegangen werden? Welche Formen der Solidarisierung oder Allianzen können sich bilden? Sind diese überhaupt noch möglich, schließlich wird auf der anderen Seite der Konkurrenzwettbewerb/ bzw. die Individualisierung von Wissenschaftler_innen gefördert?
  • Welches Geschlechterwissen, das im wissenschaftlichen Kontext geformt wurde, wird in anderen gesellschaftlichen Bereichen oder in der Öffentlichkeit wahrgenommen und wie wird darüber diskutiert?
  • Inwiefern erweist sich die Absolvierung von Studienrichtungen für Studierende und dort tätige Wissenschaftler_innen in Zeiten von Populismus und Ökonomisierung als Karrieremakel oder -hindernis? Sind diese im Vergleich zu anderen Disziplinen z.B. besonders von prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen?

Wir laden herzlich zur Einreichung von empirischen und theoretisch orientierten Beiträgen ein. Die Abstracts sollten einen Umfang von maximal einer Seite haben und bis zum 15. April 2017 bei uns eintreffen. Bitte senden Sie die Abstracts an: Kristina.Binner@jku.at; susanne.kink@uni-graz.at

Quelel: FEMALE-L@jku.at