Vortrag: Irene Messinger: Potentiale des Austauschs zwischen Exil- und Flüchtlingsforschung am Beispiel Scheinehe und Schlepperei, 06.04.2017, Wien

17760022_188647904975853_2401766935882036543_nGastvortrag in der Vorlesung von Karin Scherschel „Dynamiken der Flucht- und Asylmigration“, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien (Web)

Zeit: Do, 06.04.2017, 16.45-18.15 Uhr
Ort: HS 31, Universitätsring 1, 1010 Wien
Die Exil- und die Flüchtlingsforschung sind zwei marginalisierte akademischen Forschungsfelder. Sie könnten sich gegenseitig bereichern, dennoch sind gegenseitige Bezugnahmen (zu) selten. Am Beispiel der Phänomene Scheinehe und Schlepperei wird Irene Messinger Bedeutungs-Verschiebungen darstellen und aus historischen und geschlechtsspezifischen Perspektiven zusammendenken.
Beschreibung der Vorlesung: Mit der Einrichtung des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) und der Adaption der Genfer Flüchtlingskonvention wurde ein globales Flüchtlingsregime politisch verankert. Diesem historischen Bedeutungszuwachs im Flüchtlingsschutz stehen aktuell andere politische Entwicklungen gegenüber: Weltweit fliehen Millionen Menschen, von denen nur ein Bruchteil Europa erreicht. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben ihrerseits in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl an Maßnahmen zur Grenzsicherung ergriffen, um die Flucht- und Asylmigration abzuwehren. Angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingsbewegungen zeigt sich Europa wenig vorbereitet auf einen Umgang mit Flucht, der den eigenen menschenrechtlichen Ansprüchen gerecht wird. Es zeichnen sich Re-Nationalisierungsprozesse und ein Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen ab.
Die Vorlesung legt den Schwerpunkt auf Erklärungsansätze zu aktuellen Fluchtbewegungen und Dynamiken der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik. Die inhaltliche Ausrichtung der Vorlesung bezieht sich auf folgende Schwerpunkte:

  1. Ausgangspunkt der Vorlesung ist eine Skizze der historischen Institutionalisierung des Flüchtlingsbegriffs im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und den darauf folgenden Protokollen. Sie liefert die bis heute gültige institutionelle Definition eines Flüchtlings und steht im Zentrum des internationalen Menschenrechtsregimes.
  2. In der politischen Philosophie und in den Sozialwissenschaften existieren verschiedene Deutungen der Figur des Flüchtlings. Diese werden auf ihre Kernideen und ihre Aktualität hin diskutiert (u.a. Hannah Arendt, Giorgio Agamben, Zygmunt Bauman).
  3. Zwischen Menschen- und Staatsbürgerschaftsrechten existiert ein Spannungsverhältnis (Universalismus versus Partikularismus). Eine Diskussion neuerer Ansätze der Staatsbürgerschaftsforschung (z.B. flexible citizenship, civic stratification) macht ein verändertes Verständnis von citizenship deutlich. Asylsuchende werden als Teil einer Ordnung abgestufter staatsbürgerlicher Rechte (Lydia Morris) oder als informelle Staatsbürger*innen (Saskia Sassen) begriffen.
  4. Genderdimensionen haben bislang nur wenig Beachtung in der deutschsprachigen Diskussion um Flucht und Asyl gefunden. Seit den 1990er Jahren wird zwar vermehrt versucht, Maßnahmen im internationalen Flüchtlingsschutz gendersensibel umzusetzen, jedoch bestehen nach wie vor weitreichende Herausforderungen. Diese sollen in der Vorlesung rekonstruiert werden.
  5. Die aktuellen Fluchtbewegungen lösen kontroverse Reaktionen in den verschiedenen Ländern aus. Die Reaktionen reichen von aggressiven Angriffen und Abwehrhaltungen, über politische Solidaritätsbekundungen (z.B. sanctuary cities) bis hin zu einer Revitalisierung von Freiwilligen-Initiativen zur Unterstützung von Flüchtlingen. Es werden aktuelle Befunde zu Abwehrhaltungen und Integrationspolitiken skizziert.