Zeithistorische Forschungen – Studies in Contemporary History (Web)
Die Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ hat soeben das Themenheft »Männlichkeiten« veröffentlicht. Es steht gedruckt und auch online im Open Access zur Verfügung (Web).
Thema sind die sich verändernden Praktiken und Vorstellungen von Männlichkeiten. Der Plural unterstreicht, dass Männlichkeit als vielfältige Kategorie zu verstehen ist. Die häufig unterstellte Binarität „männlich/weiblich“ muss selbst historisiert werden. Zeitgenössisch als Männer definierte Menschen interessieren hier als soziale und vergeschlechtlichte Wesen in sehr unterschiedlichen zeitlichen, räumlichen und gesellschaftlichen Kontexten.
Das Subjekt »Mann«, das in der Geschichte – und auch in der Geschichtsschreibung – lange Zeit als nicht weiter befragte Norm galt, lässt sich als Teil einer vielfältigen Geschlechterordnung untersuchen. Bei näherem Hinsehen hat es Aushandlungsprozesse um Männlichkeiten in der Vergangenheit immer wieder gegeben. In den letzten Jahren scheinen sie sich konflikthaft zugespitzt zu haben – aber womöglich ist dieser Eindruck das Resultat einer präsentistischen Verkürzung, die es aus zeitgeschichtlicher Perspektive gerade zu überwinden gilt. Historisch-empirische Fallstudien zu sich verändernden Praktiken, Repräsentationen und Vorstellungen von Männlichkeiten, verbunden mit der Frage nach den Gründen für weiterhin bemerkenswerte Beharrungskräfte älterer Muster, können in der aktuellen Lage jedenfalls aufschlussreich sein. Zeitgenössisch als Männer definierte Menschen interessieren hier als soziale und vergeschlechtlichte Wesen in sehr unterschiedlichen zeitlichen, räumlichen und gesellschaftlichen Kontexten.
In den Beiträgen richtet sich der Blick vor allem auf Gruppen von Männern, die nicht an der Spitze sozialer Hierarchien standen, sich aber auf jeweils hegemoniale Formen von Männlichkeit bezogen und damit, geradezu paradox, überkommene Muster perpetuierten: iranische Männer auf der Suche nach kultureller Authentizität in Abgrenzung von westlicher Hegemonie, muslimische Männer in einer sich als laizistisch verstehenden Türkei, im Zweiten Weltkrieg geschlagene deutsche Männer mit eigentlich vollkommen desavouierten Idealen, von Arbeitslosigkeit bedrohte britische Bergarbeiter in den 1970er-Jahren, obdachlose Männer in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1980er-Jahren, an Aids erkrankte homosexuelle Männer in verschiedenen Ländern, schwarze Männer in einer rassistisch strukturierten nordamerikanischen Gesellschaft.
Synchron wie diachron wird die Pluralität von Männlichkeitskonstruktionen in Diskursen und Alltagserfahrungen deutlich. Zugleich bezogen und beziehen sich diese immer wieder auf das »andere« Geschlecht – oder präziser: auf »andere« Geschlechter in der Mehrzahl. Männlichkeiten waren und sind auf vielfältige Weise in Bewegung: emotional, ökonomisch, soziokulturell und politisch. Einigen dieser multiplen »Gender Troubles« geht das Heft mit spezifisch zeitgeschichtlichen Perspektiven nach.