Max-Weber-Kolleg Erfurt und Institut franco-allemand de sciences historiques et sociales Frankfurt am Main; Steven Sello (Web) und Andreas Häckermann (Web)
Zeit: 13.-14.02.2025
Ort: Max-Weber-Kolleg in Erfurt
Einreichfrist: 30.09.2024
Die Anlässe und die mehr oder weniger institutionalisierten Kontexte individueller Selbstthematisierungen sind zahlreich und vielfältig. Beim Arzt- oder Bewerbungsgespräch, vor Gericht, bei der Psychotherapie, beim Tratschen oder in den sogenannten Sozialen Medien machen Individuen sich selbst zum Thema. Warum, unter welchen Umständen und auf welche Weise, so muss angesichts dieser Vielfalt gefragt werden, wird der Einzelne für sich selbst zum Gegenstand der Betrachtung? Und wie kommt es, dass soziales Handeln heute in der Regel autobiographisch begründet und erklärt wird? Historisch wie auch im Kulturvergleich betrachtet ist das keineswegs selbstverständlich. Denn erst seit der Renaissance lässt sich eine massive Ausbreitung verschiedener Formen der Selbstthematisierung in Europa beobachten, wobei verschiedene Entwicklungslinien zusammenlaufen (van Dülmen 1977): Die zunehmende Literalisierung bietet größeren Teilen der Bevölkerung mediale Möglichkeiten der Selbstthematisierung wie Brief und Tagebuch (von Krusenstjern 1994). Literatur und Philosophie betrachten den Menschen als Bildner und Erfinder seiner selbst, religiöse Praktiken wie die christliche Beichte nehmen „innere“ Motive und Absichten in den Blick (Hahn 1982). Die Reformation (Soeffner 1988) und ihre Ausläufer (Schlette 2005) bringen eine Individualisierung von Verantwortung und einen das gesamte Leben umfassenden biographischen Blick mit sich, und auch die Aufklärung entwickelt spezifische Verfahren der Gewissenserforschung und kontrolle (Kittsteiner 1991: 254 ff.). Die modernen Sozialordnungen führen schließlich zu immer verschiedeneren, immer weniger vorhersehbaren Lebensverläufen, die soziale Differenzierung von Funktions- und Wertsphären verlangt den Individuen immer weitreichendere Reflexionsleistungen ab (Brose/Hildenbrand 1988; Schroer 2006).
Von sich selbst erzählen Individuen, die auch anders leben könnten (Thomä 2007). Ein Thematisierungs- und Problematisierungsbedarf des Selbst als Objekt der Reflexion entsteht, sobald und umso mehr soziale Position, Lebensverlauf und Lebensentscheidungen als kontingent betrachtet werden. In dem Maße wie … weiterlesen und Quelle (Web).