CfP: Quartier machen – Sterne deuten. Kulturwissenschaftliche Tourismusforschung über das Hotel (Event: Wien), Deadline: 30.04.2009

9. Tagung der Kommission Tourismusforschung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde / Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien

Ort: Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien
Zeit: 4.–6. März 2010
Deadline: 30.04.2009

Siegfried Kracauer und James Clifford empfehlen: Wer sich für die Mechanismen und das Funktionieren differenzierter Lebenswelten unter den Bedingungen industrieller und postindustrieller Ökonomien interessiert, der könne dies am besten im Hotel studieren. Die „Ebenen der Ambivalenz im Chronotopos des Hotels“ (Clifford) machen das Hotel und andere Formen von Übernachtung und Beherbergung für Kultur- und Sozialwissenschaften allgemein und besonders für die kulturwissenschaftliche Tourismusforschung zum exemplarischen Ort. Im Blick auf diese halböffentlichen Schwellenräume und Übergangszonen wird einmal mehr deutlich, dass sich Alltag und Reise – als Versprechen der Alltagsdistanz, gar der Gegenwelt – nicht getrennt verhandeln lassen.

Wenn wir also zu einer Arbeitstagung „über das Hotel“ einladen, so geht es uns um die systematische Auflösung dieser Dichotomie und die Erweiterung des tourismuswissenschaftlichen Fragens. Die unterschiedlichsten Formen und Phänomene der sozusagen Dienstleistung Raum sind zumal in der Dialektik von Mobilität und Stabilität, von Weltläufigkeit und Bodenständigkeit bemerkenswert. Das gilt auch für Standardisierung und Differenzierung, die sich auf der Handlungsebene ebenso wie als Repräsentationen manifestieren. Die 9. Arbeitstagung der Kommission Tourismusforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde soll einerseits Forschungsergebnisse verschiedenster Disziplinen zum Thema zusammenholen, andererseits weitere Studien zu diesem Forschungsfeld anregen.

Dazu möchten wir drei Perspektiven vorschlagen:

1. Den Blick auf das Hotel (auf Garnis, Pensionen, Anlagen mit Ferienwohnungen etc.) in dessen Vernetzung mit lokalen und translokalen Raumordnungen und Diskursen. Hier lässt sich etwa nach Folgendem fragen:

  • der Bedeutung des Hotels (etc.) für die Eigenlogik und den Habitus wie nach jener für die (Erlebnis-)Topographie von Städten, Dörfern, Regionen,
  • den spezifischen historischen Ausprägungen in der Verknüpfung mit räumlichen und sozialen Kontexten (vgl. die Wiener Ringstraßenhotels),
  • der Position des Funktionsortes Hotels und dessen materieller Kultur als Teil gestaffelter Öffentlichkeiten,
  • Raumnutzungskonflikten (vgl. das Beispiel Tirol),
  • dem Hotel als Gegenstand der Raumplanung und als Bauaufgabe als ein mehrfach verschachtelter Komplex von Räumen und Funktionen,
  • nach dem Stellenwert des Betriebs Hotel zwischen lokaler und nationaler Wirtschafts- und Identitätspolitik (vgl. die spezifischen politischen Rahmenbedingungen in Österreich).

2. Den Blick in das Hotel als einem „society building en miniature“ (Orvar Löfgren) und einem Handlungsfeld, in dem die Arbeit der einen der Freizeit der anderen gilt und das von Professionalität ebenso geprägt ist wie von Provisorien. Mit z. B. Fragen nach:

  • der Spezifik der Dienstleistung Raum,
  • Arbeitsteilung und Organisation in Relation zur Betriebsgröße,
  • spezifischen Hierarchien zwischen den Beschäftigten, u. a. als ein Feld der Geschlechterkonstruktion und der (De-)Klassierung,
  • Bildern und Selbstbildern in bestimmten (Schlüssel-)Positionen (vgl. die Chefinnen des „Traditionshauses Sacher, der Portier),
  • Interaktionen und Distinktionsstrategien zwischen Personal und Gästen, aber auch zwischen den Gästen (die u. a. neben Geschäftsreisenden, Stamm- oder Dauergästen, auch Flüchtlinge sein können),
  • dem Zusammenhang zwischen Räumen und materieller Kultur (vgl. die Hotelhalle, das Hotelzimmer, das „Spa“) und
  • dem sozialen und kulturellen Handeln in spezifischen Situationen (vgl. das Einchecken, die Beschwerde),
  • dem Leben im Hotel in der medialen Konstruktion moderner Lebensstile (vgl. Hotellegenden wie das New Yorker Chelsea).

3. Den Blick über das Hotel hinaus auf die (materiellen wie immateriellen) Kulturen des Konsums und Komforts und damit verbunden der Standardisierung und deren Kontrolle (vgl. Kategoriensystem, Gütesiegel), wie sie sich am Hotelbetrieb besonders gut ablesen lassen, aber auch Kulturen und Gesellschaften allgemeiner prägen. Damit sind Fragen zu stellen nach:

  • Idee und Praxis von Service und „gepflegter Gastlichkeit“,
  • der Organisation von Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten, die den gewohnten und vertrauten Alltag der Gäste zitieren und zugleich die individuelle und originäre Note des Hauses betonen,
  • dem Kontext lokaler Traditionen ebenso wie nach
  • global formulierter Anforderungen an diese Dienstleistung.

Mit der geplanten Tagung wollen wir die Chance nutzen, das derzeit noch sehr disparate Forschungsfeld rund um das Thema Beherbergung (die zum Teil herausragenden Studien und Arbeiten kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen) unter explizit kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten zu organisieren und zu systematisieren. So richten wir diese Einladung an die scientific community des Faches Europäische Ethnologie als auch an sämtliche Disziplinen der Kultur- und Sozialwissenschaften. Wir fordern insbesondere jüngere WissenschaftlerInnen auf, sich zu beteiligen.

Großen Wert legen wir auf Inputs, die auf Basis fundierter Analyse empirischen Materials inhaltliche und/oder methodologische Fragestellungen entwickeln und diese als Beitrag zum theoretischen Programm von (kulturwissenschaftlicher) Tourismusforschung diskutieren. Beiträge zur Gegenwartsforschung wie historische Analysen scheinen uns dazu gleichermaßen geeignet.

Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch; für Vorträge werden jeweils 20 Minuten eingeplant. Wir freuen uns über Vorschläge in Form von Abstracts (max. 2.000 Zeichen). Senden Sie Ihren Kurztext bitte bis spätestens 30. April 2009 an: Nikola Langreiter. Die Autorinnen und Autoren der ausgewählten Beiträge werden Ende Mai 2009 benachrichtigt.

Auswahlkriterium ist die Entwicklung einer Argumentation auf empirischer Basis, mit einer klaren Fragestellung und einer erkennbaren Position zu Empirie, Methode und den theoretischen Ansätzen. Die Beiträge zur Tagung werden – nach einer peer review – in einem Aufsatzband in der Schriftenreihe des Instituts für Europäische Ethnologie veröffentlicht.

Die Tagung wird von der Kommission für Tourismusforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (www.d-g-v.org/kommissionen/index.html) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien (euroethnologie.univie.ac.at/) veranstaltet.

Konzeption und Organisation:
Klara Löffler, Nikola Langreiter

Kontakt: Nikola Langreiter nikola.langreiter[at]univie.ac.at

URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=10996

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