CfP: Identität und Lebenswelt. Praxis der historischen Biographieforschung (Event, 12/2009, Bochum); DL: 20.09.2009

Ute von Lüpke und Yvonne Pulla, Lehrstuhl für Neuere Geschichte III der Ruhr-Universität Bochum

Zeit: 11.-12.12.2009
Ort: Haus der Geschichte des Ruhrgebiets
Deadline: 20.09.2009

Volker Ulrich nannte in einem ZEIT-Artikel vom 4. April 2007 die Biographie eine „Königsdisziplin der Geschichtswissenschaft“. Jeder Historiker, der etwas auf sich halte, solle sich dieser Herausforderung einmal stellen und sich an einer Biographie versuchen. Tatsächlich erfuhr die historische Biographieforschung seit ihrer „Wiederentdeckung“ (Hans-Jörg von Berlepsch) in den 1980er Jahren eine theoretisch-methodische Neuausrichtung, die diesem Genre einen erheblich erweiterten Gegenstandsbereich sowie neue Quellengattungen erschloss.
In der biographischen Praxis erwachsen hieraus verschiedene Problemfelder, auf die Verfasser von Biographien – ungeachtet des jeweiligen Untersuchungsbereichs und der spezifischen Fragestellungen – während ihrer Arbeit stoßen, und die auf dem Workshop anhand konkreter Projekte diskutiert werden können:

  1. Subjekt und Lebenswelt: Nicht mehr die Vorstellung von einem autonomen Subjekt, sondern das Konzept einer kontextualisierten Biographie bildet das Grundverständnis moderner Biographieforschung. Hier stellt sich jedoch die Frage, wie das Verhältnis zwischen Subjekt und Kontext, zwischen Handlung und Struktur im konkreten Fall zu rekonstruieren und zu gewichten ist? In welchem Bezug steht das Individuum zur Ereignisgeschichte, und welcher Erfahrungsbegriff liegt jeweils zugrunde?
  2. Inszenierung und Mythos: Die moderne Biographieforschung betrachtet das Subjekt als „Konstrukteur seiner eigenen Biographie“ (Hans Erich Bödeker), das seinerseits auf Wahrnehmungen und Zuschreibungen von außen reagiert. Doch welche Auswirkungen hat dieser Subjektbegriff auf den Umgang mit biographischen Quellen und auf die Formen der Darstellung? Inwiefern bildet die Reflexion über zeitgenössische Subjekt- und Identitätsvorstellungen einen Bestandteil biographischer Arbeiten, und welchen Stellenwert nimmt die Dekonstruktion eines postum gebildeten Mythos ein?
  3. Biographie und Erzählung: Unter narratologischen Gesichtspunkten analysiert, bilden Autobiographien und andere erzählerisch verfasste Selbstzeugnisse einen wichtigen Schlüssel zu vergangenen Identitäts- und Lebensentwürfen. Hier wäre zu diskutieren, in welchem Verhältnis individuelle Identitätsvorstellungen und kollektive Deutungsmodelle zueinander stehen, auf welchen Ebenen autobiographische Texte als Quellen der Biographieforschung dienen können, und welche methodischen Zugänge zu dieser Quellengattung denkbar sind. Zugleich handelt es sich bei der Erzählung um die klassische Darstellungsform biographischer Texte, der Biograph betätigt sich also seinerseits in der Regel als Erzähler. Daher berührt dieses Themenfeld auch die Frage nach den verschiedenen Möglichkeiten, Ergebnisse der Biographieforschung darzustellen und zu gliedern.
  4. Bruch und Kontinuität: Nicht zuletzt die Brüche des 20. Jahrhunderts haben dazu geführt, dass die Idee eines kohärenten und kontinuierlich verlaufenden Lebenswegs als Konstruktion erkannt wurde. Diskontinuitäts- und Kontingenzerfahrungen äußern sich unter anderem in einem Zusammenbrechen von Zukunfts- und Vergangenheitsvorstellungen sowie in veränderten Selbstbeschreibungen. Hier wäre zu diskutieren, wie die Individuen in ihrer Handlungsweise und ihrem Selbstverständnis auf Brucherfahrungen reagierten, welche Strategien der Bruchbewältigung sie entwickelten, in welchem Verhältnis kollektive Brüche und individuelle Lebensverläufe zueinander stehen, und was die Biographieforschung zu der Erforschung historischer Brüche beitragen kann (und umgekehrt).

Der Workshop richtet sich primär an Doktorandinnen und Doktoranden der Geschichtswissenschaft und benachbarter Disziplinen, die an einer Biographie arbeiten oder in ihrem Dissertationsprojekt biographische Ansätze verwenden. Besonders willkommen sind Beiträge, die den theoretischen und methodischen Zugang ihres Projekts ausdrücklich reflektieren. Darüber hinaus wird angestrebt, Experten aus der Theorie und Praxis der Biographieforschung als Vortragende für den Workshop zu gewinnen.

Für jeden Referenten sind insgesamt 45 Minuten vorgesehen, wobei die Länge des Vortrags 20 Minuten nicht überschreiten sollte. Ein kurzes Exposé Ihres Vortragsvorhabens (max. eine Seite) bitten wir bis zum 20.09.2009 als .doc, .rtf oder .pdf-Datei an biographie-ngIII#ruhr-uni-bochum.de zu senden. Anreise- und Übernachtungskosten der Referentinnen und Referenten werden erstattet. Das Programm des Workshops wird spätestens im Oktober 2009 bekannt gegeben. Diskussionsteilnehmerinnen und –teilnehmer sind herzlich willkommen, werden jedoch gebeten, sich bis zum 15. November per E-Mail anzumelden.

Kontakt
Ute von Lüpke
Yvonne Pulla
Lehrstuhl für Neuere Geschichte III
Fakultät für Geschichtswissenschaft
Ruhr-Universität Bochum
44780 Bochum
biographie-ngIII#ruhr-uni-bochum.de
URL: http://www.ruhr-uni-bochum.de/lehrstuhl-ng3/ … unter „Aktuelles“ finden Sie eine Ankündigung des Workshops

URL zur Zitation dieses CfP: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11820

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