Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 111: Feldpostbrief von Adolf E. an Maria E., 3. August 1917, von einem unbestimmten Ort an der „Südfront“ in die Steiermark

NL 174 Handschrift Maria E ohne Datum (1915)Die als Klavierlehrerin ausgebildete Steirerin Maria E. (geb. 1890) war seit 1913 mit dem Juristen Adolf E. verheiratet. 1917 war ihr viertes Kind Karli zur Welt gekommen. Adolf E. war seit Anfang 1915 zum Kriegsdienst eingezogen, stationiert war er dabei „an der Südfront“, u.a. in Ljubliana/Laibach. Er war „bei Gericht“ eingesetzt, befand sich im Sommer 1917 mit der Division aber direkt im Frontgebiet. Im folgenden Brief schilderte er die (privilegierte) Situation seiner Unterkunft. Insbesondere berichtete er darin direkt von einem Fliegerangriff, bei dem ein kleines Kind getötet wurde. Der Brief ist Teil einer Abschrift der Korrespondenz von Adolf und Maria E., die in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – vorliegt.

Feldpost 434, am 3/8 17

Meine liebe Maria!
Da ich nicht weiß, was die nächsten italienischen Kriegsberichte bringen, will ich Dir ruhig und offen die Erlebnisse von gestern erzählen. Du brauchst nicht die geringste Angst zu haben, denn morgen oder spätestens Sonntag verändern wir unsern Standort. Die Division kommt aus der Kampfzone in die wohlverdiente Reserve u. so wandern auch wir mit weiter südlich und rückwärts; wir sollen in einen Wald kommen, sehr schön gelegen u. keinerlei Gefahr ausgesetzt, weder Beschießung noch Fliegergefahr. Da wir aber dort im Walde höchstens Zelte haben werden, ist vom Gerichte sogar in Aussicht genommen, in ein paar Tagen, um arbeiten zu können, in ein noch weiter südwärts gelegenes Städtchen das Gericht zu verlegen. So wird es also ganz schön werden, das heißt, bei mir kann es sich ja von Tag zu Tag entscheiden, dass ich wieder nach Laibach einrücke, worüber ich jetzt auch nicht mehr böse wäre; denn das Studium heißt jetzt hier wirklich nichts mehr. Nun also zu gestern.
Da ein polnisches Theater heute u. Sonntag hier spielt, mußten wir 3 aus unserem Zimmer beim Gerichte heraus, damit die Schauspieler dort wohnen u. [wir] bekamen mitten im Orte ein Zimmer, niedrig, kleine Fenster, dumpf hart an der Straße mit Staub u. dem Verkehr von u. zur Front. Nach dem Mittagessen haben wir 3 uns also schimpfend gerade auf unsere Feldbetten etwas niedergelegt, es war so gegen 2 Uhr, als die Abwehrkanonen durch heftiges Feuer uns das Nahen feindlicher Flieger ankündeten; ich sprang auf, gehe auf die Straße, die Soldaten erzählen, ein ganzes Geschwader stehe gerade über uns, durch die Bäume sehe ich gerade noch gerade ober mir einen großen Kaproni [italienisches Kampfflugzeug] kommen, eile wieder ins Zimmer, um den 2 Kameraden die Situation zu erklären, in diesem Momente begannen die Flieger schon ihre schreckliche Arbeit u. fiel gerade eine Bombe; das ganze Haus erzitterte in den Grundfesten, wir springen zur Tür heraus, unten in eine Türe, die in ein gewölbtes Lokal führt hinein, geniessen so eine relative Sicherheit u. warten dort machtlos das Ende des Bombenwerfens ab; es waren schon unangenehme Momente, ohne etwas tun zu können, geduldig das Ende abwarten zu müssen; das Aufschlagen der Bomben, die Explosionen, das Gekreisch der armen Frauen,– der Krieg ist etwas Schreckliches.
Es sind sicher 20 Bomben gefallen, 2 Häuser verbrannt, 1 einjähriges Kind verbrannt, und schließlich noch die militärischen Verbände!
In der Nacht, prachtvoll mondhell, gabs wieder um 1 Uhr Fliegeralarm, wir eilten ins Freie, dort habe ich von 3-½ 8 Uhr mit Decken, Mantel u. Kopfpolster geschlafen, es war zwar kühl, das ganze eigentlich unnötig, da die Flieger weiter hinein nach innen geflogen sind. Ich schreibe Dir dies, Maria alles genau, weil ja jetzt keinerlei Gefahr mehr vorhanden ist, wir kommen ja weg, resp. sind es schon, bevor der Brief zu Dir kommt. – Eben kam Deine Karte vom 1/8 17 Besten Dank.
werde Bald gesund u. auch Karli [das neugeborene vierte Kind des Paares] Kuß Dein Adolf

Sammlung Frauennachlässe NL 174
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Die Briefe des Ehepaars E. liegen in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 111, Feldpost von Adolf und Maria E., 3. August 1917, SFN NL 174, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=30473#more-30473