Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 124: Feldpost von Maria E. und Adolf E., 12. bis 20. Februar 1918, aus der Steiermark und aus unbestimmten Orten in Norditalien

Der Jurist Adolf E. (geb. 1885) war 1915 zum Frontdienst eingezogen worden. Er arbeitete hier „bei Gericht“, im Winter 1917/1918 hielt er sich dazu im Grenzgebiet von Slowenien und Italien auf, wo 1917 die vierte Isonzoschlacht stattgefunden hatte.  Maria E. (geb. 1890) lebte mit den 1913, 1914, 1915 und 1917 geborenen kleinen Kindern in einer steirischen Stadt. Vor ihrer Heirat 1913 hatte sie eine Ausbildung zur Klavierlehrerin absolviert. In den regelmäßigen Briefen schilderten beide ausführlich Begebenheiten aus ihrem derzeitigen Alltag und die Tagesabläufe, Adolf E. berichtete u.a. von der Zerstörung in der Region und auch von getöteten Soldaten, deren Leichen hier noch zu finden waren. Die Korrespondenz liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als PC-Abschrift vor.

12. Februar 1918, Adolf E. an Maria E.

[Meine liebe Maria!]
[…] Sonntag nachmittags sind wir nämlich, da ein schöner Tag war, auf den Monte Santo gegangen, in 3 Stunden waren wir oben, und um 1/2 8 Uhr abends wieder zurück. Am Berge oben war vor dem Kriege ein Kapuzinerkloster, Kirche und Friedhof. Wie wir oben waren, haben wir zwar Schutt u. Steinhaufen aufgetürmt gesehen, wo aber Kloster u. Kirche gestanden, konnte man nicht mehr entnehmen; überhaupt war der Weg hinauf ein Waten durch ein Meer von Steinen u. Eisen, Granate um Granate am Wege.
Durch den Marsch in der Sonne sind wir alle recht durstig geworden und so hatte ich mir schon am Wege vorgenommen, obwohl ich jetzt schon lange keinen Alkohol getrunken habe, abends in der Messe einen Wein zu trinken; das tat ich dann auch, aber wieder einmal zu gründlich. Zuerst 3/4 l gemischt mit Wasser, das wäre ja nicht schlimm gewesen; da fiel aber einem Auditor ein, daß ja eigentlich das Gericht den Friedensschluß mit der Ukraine feiern müsse und nun begann eine wütende Marsalaschlacht. Marsala ist ein starker südlicher Wein, fast wie ein Likör, als Krankenwein muß er vorzüglich sein, ich aber hatte ja schon 3/4 l gewöhnlichen Wein hinter der Binde und da habe ich aber die Schlacht als Besiegter verlassen; das Gericht zur Gänze war übergenug geschlagen und am nächsten Morgen allgemeiner Kater. Nur etwas Neues habe ich bei mir erfahren; während ich sonst im Rausche viel rede u. lustig bin, haben mir alle übereinstimmend erzählt am nächsten Morgen, daß ich nur still und fleißig gezecht, kein Wort gesprochen habe; meine Kameraden haben mich um Mitternacht nach Hause gebracht. Natürlich hatte ich gestern, – wie alle andern auch – einen ganz erbärmlichen Kater und war froh, wie ich mich nach den Amtsstunden niederlegen konnte. Dafür schau ich jetzt keinen Alkohol mehr an, ich weiß schon, Du wirst wieder sagen, bis zum nächstenmale! Doch glaube ich wird diesmal mein guter Vorsatz etwas länger halten als wie sonst. –
[…] Du fragst mich, ob Deine Briefe zensuriert werden? Das weiß ich ja nicht, möglich ist es, Zensur besteht, mindestens werden Stichproben gemacht. Ich gebe die Briefe an Dich schon zensuriert auf, ich habe zwar noch nicht bemerkt, daß ein Brief von Dir an mich von dritter Hand eröffnet sei […]
[Dein Adolf]

16. Februar 1918, Adolf E. an Maria E.

[Meine liebe Maria!]
[…] Ich lege Dir auch eine Karte vom hiesigen campo santo bei, aufgenommen von einem Kameraden damals als ich die ersten Tage ihn besuchte […] Unten siehst Du die 2 aufgerissenen (von Granaten) Gewölbe oder Grüfte, in der Mitte das wunderschön erhaltene Grabdenkmal mit einem Engel, u. fast daneben seitwärts, oben und unten alles verschüttet, eine sehr bezeichnende Photographie. – […]
Seit gestern abends aber herrscht hier eine ganz gräßliche Kälte […] morgen nachmittag wollten wir auf den Monte S. Gabriele gehen, da wird natürlich nichts darauß; dort sollen noch jetzt Hunderte von Toten zerstreut liegen – am Monte Santo haben wir letzten Sonntag glücklich nur 2 Italiener zernagt noch am Wege abseits gesehen. – Ich bin so froh, daß ich mir Zeit genommen, bei Dir zu sein; wie viel Sehnsucht ich jetzt immer da, wo so vieles sich aufs Gemüt legen kann, nach Dir habe […]
[Dein Adolf]

20. Februar 1918, Maria E. an Adolf E.

Graz, am 20. Februar 1918.
[Mein lieber Adolf!]
[…] habe ich Dir ganz vergessen zu erzählen, daß Samstag abends bei uns eingebrochen worden ist […] Samstag abends gewahrte Pepi [?], der den Abort [die Toilette] neben Franzl’s [?] Zimmer benützen wollte, verbranntes Papier, mit dem der Dieb wahrscheinlich leuchten wollte. Peters Koffer [?], der in jenem Vorzimmer steht, war erbrochen und alle Sachen durcheinander geworfen […] Ob und was daraus entwendet wurde, wissen wir nicht, weil Peter den Schlüssel dazu mit hat und wir über den Inhalt nicht informiert sind. Wenn er den photographischen Aparat nicht in Katharein gelassen hat, so fehlt dieser. Wahrscheinlich ist aber der Dieb verscheucht worden, weil in der Tür zu Franzls Zimmer noch das Stemmeisen gesteckt hat, mittels welchem er öffnen wollte […] Mutter getraut sich gar nimmer bei mir schlafen! „Wenn nur Adolf schon einmal da wäre, daß wir wenigstens einen Mann in der Wohnung hätten“, sagt sie immer. Der Dedektiv kann leider in der Sache nichts mehr tun, da wir die Sache erst Sonntag früh bemerkt haben und es Samstag abends schon geschehen ist, so daß man keine Verfolgung des Diebes mittels Polizeihundes mehr bewerkstelligen kann.– Du siehst also, es wird bei uns schon ganz unheimlich […]
Was meinst Du, soll ich meinen Kinderwagen verkaufen? Karli [geb. 1917] kann nimmer darin liegen, da er trotz seines leichten Gewichtes schon sitzt und kniet und sich so herumdreht und bewegt, daß ich ständig fürchten muß, er schnellt aus dem Wagerl. Ich dachte mir nämlich, wenn wir ihn einmal brauchen, ist vielleicht doch Frieden und Du bist wohlbestellter Advokat, der solche Ausgaben schon machen kann. Und jetzt könnte man ihn vielleicht ganz gut anbringen. Nicht?
[…] Unsere Kleinen sind gottlob gesund. Karli ist schon recht lieb und bekommt wahrscheinlich bald Zähne, weil er alles in den Mund steckt. Hedi [geb. 1915] ist ein Haserl. Mutter brachte unlängst die jungen Ziegen herauf, die lustig durch alle Zimmer sprangen. Hederl fürchtete sich aber vor ihnen sehr. Am zutraulichsten ist das Herberterl [geb. 1914], der das Böckerl bei den sich bildenden Hörnern und die kleine Ziege bei der für echte Sahnenziegen charakteristischen Zäpfchen am Halse packte. – Adolferl freut sich schon närrisch, daß der Gips bald wegkommt. [Der 1913 geborene Adolf hatte mehrere orthopädische Operationen, derzeit war sein Körper eingegipst.] […]
[Deine getreue Maria]

20. Februar 1918, Adolf E. an Maria E.

[Meine liebe Maria!]
[…] absichtlich lasse ich mir das Frühstück nicht mitbringen, um gezwungen zu sein, 1/2 Stunde früh spazieren zu gehen – dann Amt von 1/2 9-12, dann Mittagmahl; von 1/4 2-3 Uhr die Zeit gehört mir und diese Zeit benütze ich, um recht viele Dinge, die man sonst nirgendwo sehen kann, anzuschauen […] Dabei finde ich manchmal ganz brauchbare Sachen oder Spielereien. Jetzt z.B. bevor ich Dir den Brief geschrieben, habe ich mit meinem neuen Diener von einem Auditor damit unterhalten, dass wir aus einer Leuchtraketenpistole, die ich gefunden, in die helle Mondnacht hinein 10 Leuchtraketen abgeschossen haben; sobald ich einmal heimkomme, bringe ich sie samt Leuchtpatronen mit und werde abends im Garten den Kindern ein bengalisches Feuerwerk im Kleinen demonstrieren […]
Auch brauchbare Sachen gibts manchmal, die herumliegen u. verfaulen […] Pulver für Artilleriezwecke in Papierstreifenform z.B. wäre ein guter Ersatz für Kienholz zum Unterzünden der Kohle; ich zünde mir damit immer abends den Ofen an, nur kann man es, da es doch nicht ratsam [ist], nicht heimtransportieren.
Nach den Nachmittagskanzleistunden von 3-1/2 7 bleibt kaum soviel Zeit, um vor dem Nachtmahl noch eine Karte an Dich oder sonst die Korrespondenz zu erledigen, dann bis 1/2 9 Uhr ungefähr sitzt man in der Messe, um 9 Uhr bin ich stets schon daheim, lese die Zeitung, wenn gerade einmal eine kommt und um 10 Uhr muß ich die Lampe löschen, weil wir nicht mehr Petroleum bekommen. –
[…] Seitdem ich von Dir Tabak habe, brauche ich nur für den Diener im Tag 3-5-8 Zigaretten für seine tadellose Bedienung; mit 30 Paket Tabak will ich versuchen, einen Tauschhandel durch Dritte inszenieren zu lassen: Zwiebel, Polenta oder dergleichen […] der Paketverkehr ist ja nach Görz offen […]
Meine guter Vorsätze nach meinem Faschingssonntagsexceß dauern an, sogar zum Thee in der Früh nehme ich statt Rum Citrone […]
[Dein Adolf]

20. Februar 1918, Maria E. an Adolf E.

Graz, am 23.Februar 1918.
[Mein lieber Adolf!]
[…] Also Mittwoch um 1/2 5h waren Mutter und ich mit dem Gipskinderl [Adolf, geb. 1913] in der orthopädischen Anstalt. Der arme Kerl zitterte natürlich am ganzen Körper, als ihm der Verband weggenommen wurde. Er weinte nicht, aber man merkte es ihm an, wie er mit den Tränen kämpfen mußte. Und als alles vorbei war und das Fräulein ihn fragte, ob es jetzt ohne Gips lustig sei, konnte er sich nimmer beherrschen und weinte bitterlich. Mutter war selbst dem Weinen nahe und sie meinte zu mir: „Und da soll ich mein Adolferl nicht am liebsten haben!!“ […]
Mir hat der Bub selber erbarmt. Seine Handerln waren wie Eis und sein Gesicht glühte vor Aufregung, als er in das wohlbekannte Gebäude eintrat, wo die vielen armen Soldaten sind, denen ein Fuß oder eine Hand oder beides fehlt. – […]
Adolfi sagte unlängst zu mir, so recht bittend: „Schau Mama, geh wieder ins Spital, Du kommst ja so bald wieder heraus, und bring ein kleines Kinderl, denn ich möchte so gern, daß wir 5 Kinder sind!“ Gelt, so eine kindliche Idee!
[…] Nusserl [Heribert, geb. 1914] ist immer der gleiche liebe, gute Bub, nur kann er über das Geringste ganz untröstlich sein! Karli ist freundlich und gedeiht schön langsam. Im Gitterbetterl sieht er noch kleiner aus als im Wagen, in dem man ihn aber nimmer lassen kann! […]
[Deine getreue Maria]

Sammlung Frauennachlässe NL 174
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Die Briefe des Ehepaars E. liegen in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 124, Feldpost von Maria E. und Adolf E., 12. bis 20. April 1918, SFN NL 174, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=32824