Tagung: Rethinking Hybridity. Kulturelle Globalisierungsprozesse, Macht und hybride „dritte Räume“, 23.04.2010, Wien

6. TAGE DER KULTUR- UND SOZIALANTHROPOLOGIE
Ort: NIG, Universitätsstraße 7, 1010 Wien, 4. Stock
Zeit: 23.04.2010, 13:00–15:00 HS A
Koordination: Julia Binter, julia.binter@univie.ac.at, Jesus Nava Rivero, jesus.nava-rivero@uni-graz.at
Im Zuge der Globalisierung erscheinen kulturelle Differenzen in einem neuen Licht. In den Kulturwissenschaften werden die Folgen der Überlagerung und Vermischung seit längere thematisiert. Dieser Workshop stellt das Konzept des «dritten Raums» (Bhabha) zur Diskussion und nimmt solche Zonen der Unbestimmtheit und kulturellen Mehrfachzugehörigkeit mit ihren impliziten Machtstrukturen in den Blick.
Wo ist der „dritte Raum“ konzeptuell, räumlich und zeitlich anzusiedeln? Wie entsteht er? Was sind seine Manifestationen?
Bhabhas Hybriditätskonzept zur Verortung von Kulturen im einem „Schwellenraum zwischen den Identitätsbestimmungen“ – in einem „space in-between“ – kann hierfür als interpretativer Ausgangspunkt dienen, der einerseits dichotom fixierte Kategorisierungen unterwandert, andererseits ein komplexes Forschungsfeld raum-zeitlicher Konstitutionierung eröffnet. Als Ort der Auseinandersetzung in und zwischen Kulturen, in dem Grenzziehungen (z.B. zwischen Eigenem und Fremdem) destabilisiert werden können, muss ein solcher „dritte Raum“ weniger physisch-territorial als relational begriffen werden, der Fragen nach Macht und seinen sozialen Produktionsprozessen der Wahrnehmung, Nutzung und Aneignung
aufwirft.
Ziel dieses Workshops ist es, Bhabhas Konzept des „dritten Raumes“ theoretisch weiterzudenken und im Hinblick auf seine empirische Anwendbarkeit kritisch zu hinterfragen. Wie kann Bhabha beispielsweise vor dem Hintergrund anderer Raum-, Kultur- und Globalisierungstheorien wie Foucaults „Heterotopien“, Masseys „power-geometries of space“, Saids „imaginary geography“, Appadurais „global scapes“ oder Sojas „real-and-imagined places“ gelesen werden?
Wo und in welcher Form manifestiert sich der „dritte Raum“ in der kultur- und sozialanthropologischen Empirie bzw. kulturwissenschaftlichen Forschung?
Hybridität als „Ort“ des Wi(e)derspruchs diskursiver Macht

  • Susanne Arens; Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Susanne.Arens@uibk.ac.at

Eine Konzeption von Hybridität, verstanden als Praxis kultureller Subversion (Bhabha), geht von einer grundsätzlichen Ambivalenz kolonialer bzw. dominanter Diskurse aus, sowie von der Unmöglichkeit der Durchsetzung einer totalen Machtasymmetrie. Die immer existierende Ambivalenz, Unabgeschlossenheit und Selbst-In-Frage-Stellung machtvoller (kolonialer) Diskurse ermöglicht es, kulturelle Hybridität als Subversion zu denken.
Am Beispiel einer ausgewählten kulturellen Praxis, so genannter entwicklungspolitischinterkultureller Begegnungsreisen, möchte ich – in einer empirisch-rekonstruktiven Einstellung – solche Widerspruchsmomente herausarbeiten. Es soll gezeigt werden, wie sich diese Praxis einerseits in einem Diskurs- und damit Deutungsraum machtvoller moderner und (post-)kolonialer Artikulationen hervorbringt; sich in diesem Hervorbringen zugleich aber auch selbst in Frage stellt. Hierbei spielen vor allem moderne, verobjektivierende Vorstellungen des Selbst und der Anderen eine wichtige Rolle. Diese artikulieren sich mit einem speziellen „globalen Bewusstsein“ – eine spezifische (national signifizierte) Vorstellung der Welt –, das als Vorstellung der Welt als eine global hegemoniale verstanden werden kann und somit auf Saids Konzept der „imaginativen Geographie“ verweist. Diese diskursiven (und Identitätsvorstellungen hervorbringenden) Artikulationen sollen befragt werden, in wie weit sie in ihrer Selbst-Widersprüchlichkeit möglicherweise auf hybride, subversive Momente verweisen.
Kulturelle Hybridisierung und/oder soziale Ungleichheit.  Zur Rezeption der Sozialtheorie Pierre Bourdieus im Werk von Néstor García Canclini

  • Jens Kastner;  Akademie für Bildende Künste Wien, J.Kastner@akbild.ac.at

Zur Rezeption der Sozialtheorie Pierre Bourdieus im Werk von Néstor García Canclini Néstor García Canclini stellt in seinem zum Klassiker avancierten Buch „Culturas Hibridas“ (1990) die These auf, jeder soziale Raum in Lateinamerika sei durch „hybride Kulturen“ gekennzeichnet: Verschiedene Traditionen der Produktion und Rezeption kultureller Werke werden als ineinander fließend gedacht und formale wie temporale Überlappungen als allgegenwärtig beschrieben. Mit der Behauptung der Existenz „hybrider Kulturen“ widerspricht García Canclini aber nicht nur prinzipiell der chronologischen Linearität der Modernisierungstheorien. In direkter Auseinandersetzung mit der Sozialtheorie Pierre Bourdieus weist er auch einige von dessen zentralen Annahmen zurück: Einen von allen als legitim betrachteten Geschmack der oberen sozialen Klassen könne es nicht geben, die Unterscheidung zwischen Hoch- und Populärkultur sei ohnehin hinfällig.
Vor dem Hintergrund der Diskussion der Ansätze von García Canclini und Bourdieu wird der Stellenwert des Begriffs der Hybridisierung für die Auseinandersetzung um soziale Ungleichheit diskutiert. Dabei ist zunächst zwischen Hybridisierung als ontologischer Bestimmung von Kultur auf der einen und gesellschaftlichen, beispielsweise durch Migrationsregime ausgelösten Prozesse auf der anderen Seite zu unterscheiden.
Politeness and Politeness Theory als objet trouvé

  • Stefano Papa;  Universität Wien, stefano.papa@univie.ac.at

Höflichkeit ist ein Inbegriff von Verhaltensweisen in Kontexten, die ein Risikopotential für das „Gesicht“ der Akteure beinhalten. Die Realisierung höflichen Verhaltens ist dabei nicht weniger eine riskante Entscheidung, als das theoretische Engagement selbst, das den symbolischen Nutzen des begrifflichen Kerns „höflich/unhöflich“ herauszuarbeiten sucht. Das Unterfangen einer Höflichkeitstheorie ist nämlich durch eine Reihe strategischer Entscheidungen und kultureller Praktiken gekennzeichnet, die jeweils eine „artikulatorische Spaltung“ funktionalisieren. Die Interpretation höflichen/unhöflichen Verhaltens ist einerseits an traditionelle Narrative der Emanzipation gebunden (Gender, Ethnizität, Klassenbewusstsein), andererseits durch die paradoxe Buchstäblichkeit seiner Diskursivität geprägt (die Suspension der buchstäblichen Bedeutung von höflichen Formeln ist selbst eine Option im Feld der Verhandlung und setzt diese keineswegs außer Kraft).
Es soll zur Diskussion gestellt werden, ob Höflichkeit als Grenze von einander überlappenden diskursiven Praktiken der Buchstäblichkeit repräsentiert werden soll (Konkurrenz um die Einlösbarkeit von Authentizität, Anerkennung, Identität). Oder aber ob der Exzess von Höflichkeit in Bezug auf ihre kontextuelle Einbettung (Höflichkeit ist nicht auf Opportunität reduzierbar) nicht eine Kritik des dritten Raumes als „disruptive und deplatzierende“ Zeitlichkeit der Äußerung beinhaltet: Was im Kontext von Höflichkeit auf dem Spiel zu stehen scheint ist weniger die Zumutung von Reziprozität, als vielmehr die Buchstäblichkeit der Verletzung ihres Subjektes als Option des Ausgangs aus dem Interpretationsgehäuse der Produktion von Identität.
Theoretisierung und Praxis der Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten der Erkenntnis im ethnographischen Kontext verlangt. Ich schlage demnach vor die Metapher der „ethnographischen Sphären“ konzeptuell zu gebrauchen, um jene imaginären Geographien in denen sich EthnographInnen fortwährend bewegen und die sie gleichzeitig auch immer selbst produzieren und reproduzieren genauso bereisbar, denk- und analysierbar zu machen, wie ein klassisches ethnographisches Feld.
Dieses theoretische Unterfangen soll in Anlehnung an die räumlichen Konzepte von Peter Sloterdjiks „Sphärologie“ einerseits, sowie Homi Bhabas „third spaces“ und Arjun Appadurais „scapes“ und den damit verbundenen Überlegungen zu deterritorialisierter Produktion von Lokalität andererseits realisiert werden.
Der „dritte Raum“ als poetologischer Text-Raum in der Literatur.  An den Beispielen von Kafka und Tawada

  • Seiji Hattori;  Universität Giessen, Seiji.Hattori@germanistik.uni-giessen.de

Im vorliegenden Beitrag soll die Möglichkeit ausgelotet werden, den Homi Bhabha zufolge eigentlich „politisch“ konnotierten Begriff des hybriden „dritten Raumes“ an den Beispielen Kafka und Tawada – beide repräsentieren eine „kleine Literatur“ (Deleuze/Guattari) – literaturwissenschaftlich fruchtbar zu machen.
Kafkas Amerika und China beispielsweise stehen für eine „visionäre Fremde“, die im Grunde jenseits der Dichotomie vom „Eigenen“ und „Fremden“ als „dritter Raum“ fungiert. Sie dient zugleich als eine poetologische Grundierung für die Bewegungen seiner Protagonisten, auf der Kafkas Imaginationsvorgang Gestalt gewinnt.
Tawada, die auf Deutsch und Japanisch schreibt, bekennt sich zur „Exophonie“, die als ein „Zustand außerhalb einer Muttersprache“ definiert wird, und verharrt im „Zwischenraum“ der beiden Sprachen. Auf Deutsch Romane zu schreiben bedeutet für sie, ein autoritäres Sprachsystem unterlaufend, Paradigmen wie „die abendländische Kultur“ oder „die nationale  Identität“ zu durchkreuzen. Hieraus entspringt ihr literarisches Leitmotiv „Verirrung in der Fremde“, das wie bei Kafka zugleich ein höchst poetologisches Agens enthält.
Die „dritten Räume“ bei Kafka und Tawada figurieren somit als die Nährböden, aus welchen sich ihre Einbildungskraft ständig speist, um ihre sich in Selbstreferentialität manifestierenden poetologischen Vorstellungswelten als „xenotopische“ Räumlichkeiten zu artikulieren.

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