CfP: Männer als Täter und als Opfer – zwischen Verletzungsmacht und Verletzungsoffenheit (Event: 06/2012, Stuttgart); DL: 18.03.2012

8. Tagung in Stuttgart-Hohenheim. Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung – AIM GENDER und Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Referat Geschichte

Zeit: 28.-30.06.2012
Ort: Tagungszentrum Hohenheim, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Deadline: 18.03.2012

Ziel des Arbeitskreises AIM GENDER ist die fächerübergreifende gegenseitige Wahrnehmung und Kooperation von Forschern und Forscherinnen aus Geschichts-, Literatur-, Kultur- und Politikwissenschaften sowie der Soziologie, die zum Thema Männlichkeiten und deren Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart arbeiten.

Informationen über den Arbeitskreis und die ersten sechs Tagungen sowie die dort diskutierten Papiere stehen hier.

Ein Blick in die alljährlich erscheinende Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt mit großer Regelmäßigkeit, dass bei den dort aufgeführten Gewaltdelikten Männer und insbesondere junge Männer sowohl die Täter- als auch die Opferstatistik dominieren. Lediglich bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind Männer nur selten unter den Opfern. Auch wenn man berechtigterweise die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht als getreues Abbild der gesellschaftlichen Verbreitung und geschlechtlichen Verteilung abweichenden Handelns begreift, verweisen sie darauf, dass der Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt nur dann angemessen erklärt werden kann, wenn man den Fokus nicht nur auf Männer als Täter, sondern auch als Opfer von Gewalt richtet.

Heinrich Popitz hat in seinem Buch „Phänomene der Macht“ zwischen Verletzungsmacht und Verletzungsoffenheit als grundlegende, wechselseitig aufeinander verweisende Modi von Vergesellschaftung unterschieden. Mit Theresa Wobbe lassen sie sich zugleich als zentrale Modi der kulturellen Konstruktion der Geschlechterdifferenz begreifen. Die Geschlechterdifferenz ist zwar nicht die einzige, wohl aber die sichtbarste Differenzierungslinie, entlang der in unserer Kultur eine Zuweisung von Verletzungsmacht und -offenheit erfolgt. Die kulturelle Konstruktion von Männlichkeit bestimmt den männlichen Körper als verletzungsmächtig, die von Weiblichkeit den weiblichen Körper als verletzungsoffen. Dies sind vereinheitlichende Zuschreibungen, die in unterschiedlichen Diskursen und Praktiken, welche die wissenschaftliche Theorieproduktion gleichermaßen umfassen wie Medienberichte, alltagsweltliche Narrationen, Rituale und Gewalthandlungen, hervorgebracht werden. Zu ihrer Produktion im diskursiven Modus gehört, dass Gegenevidenzen, die sich nicht der binären Klassifikation fügen, ausgeblendet werden. Auf der Ebene der inkorporierten Geschlechterverhältnisse, auf der Verletzungsmacht und -offenheit als leibliche Realität erfahren werden, machen sich die Gegenevidenzen in Gestalt von Brüchen und ambivalenten Empfindungen bemerkbar, die allerdings zumindest von Männern vielfach individuell verdrängt und kollektiv in der Regel negiert werden. Das Muster der hegemonialen Männlichkeit hält für die Wahrnehmung einer verletzungsoffenen Männlichkeit bzw. von Männern als Opfer von Gewalt kein Vokabular bereit.

Die Forschung zum Verhältnis von Geschlecht und Gewalt ist durch eine nachhaltige Ausblendung männlicher Verletzungsoffenheit geprägt.
Allenfalls wird dem männlichen Kind eine, angesichts der Macht der Erwachsenen gegebene, Verletzungsoffenheit zugestanden. Verletzungsoffenheit wird hier im Rahmen des Generationenverhältnisses, nicht in dem des Geschlechterverhältnisses thematisiert. Verletzungsoffen ist der noch ’nicht fertige‘ Mann. Mit der Ausbildung einer erwachsenen Männlichkeit verliert er gemäß dieser impliziten Konstruktion von Geschlecht die Verletzungsoffenheit.

Eine Folge der geschlechtlichen Polarisierung von Täter- und Opferstatus ist, dass in sozialwissenschaftlichen empirischen Forschungen zum Verhältnis von Geschlecht und Gewalt bislang mit wenigen Ausnahmen Frauen nur als Opfer und Männer nur als Täter adressiert wurden. Auf diese Weise reproduzieren die kriminologische und ein Großteil der Geschlechterforschung die kulturelle Konstruktion der geschlechtlichen Verteilung von Verletzungsmacht und -offenheit. Das Gleiche lässt sich für Versuche der therapeutischen Bewältigung von Gewalt feststellen. Therapieangebote richten sich an weibliche Opfer und männliche Täter. Erst in jüngerer Zeit sind in Deutschland Studien erschienen, die sich entweder mit Formen weiblicher Gewalt oder mit männlichen Opfererfahrungen befassen.

Ziel der Tagung ist es nicht, den dominanten Diskurs des verletzungsmächtigen Mannes durch einen Gegendiskurs seiner Verletzungsoffenheit zu ersetzen. Vielmehr wird es Aufgabe sein, das Zusammenspiel von Verletzungsmacht und -offenheit bei der Konstruktion von Männlichkeit genauer zu betrachten. Hierzu müssen unterschiedliche Gewaltrelationen betrachtet und in ihren Beziehungsdynamiken entschlüsselt werden. Heterosoziale Gewaltbeziehungen unterscheiden sich von homosozialen, und auch für jede dieser beiden Dimensionen sind Differenzierungen vorzunehmen. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse ist die symbolische Konnotation von Männergewalt gegen Frauen eine andere als die von Frauengewalt gegen Männer. Der jeweilige Opferstatus ist hinsichtlich der Art, wie er – vom Opfer selbst und von seinen Mitmenschen – wahrgenommen wird, sowie der Folgen für die geschlechtlich-identitäre Positionierung des Opfers ein anderer. Homosoziale Gewalt zwischen Männern kann – in reziproken Gewaltkonstellationen (z.B. in Fights von Hooligans oder Prügeleien auf dem Schulhof) – mit einer Gleichzeitigkeit bzw. Ununterscheidbarkeit von Täter- und Opferstatus einhergehen, sie kann aber auch – in einseitig verfestigten Gewaltkonstellationen (z.B. in Gefängnissen) – von einer eindeutigen und dauerhaften Zuweisung von Verletzungsmacht und -offenheit an bestimmte Personen geprägt sein.

Gewünscht sind Beiträge, die den Stellenwert, der dem Zusammenspiel von Verletzungsmacht und -offenheit für die Konstruktion von Männlichkeit zukommt, aus soziologischer, psychologischer, geschichts-, literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive nachgehen. Dies können sowohl konzeptionell-theoretische Überlegungen als auch Fallstudien oder andere empirische Beiträge sein. Textanalysen und -interpretationen bzw. hermeneutische Beiträge sind ebenfalls erwünscht. Berichte über „work in progress“ sind ausdrücklich willkommen.

Die ausgewählten Beiträge werden im Netz auf der Website des AIM GENDER veröffentlicht. Das erlaubt allen Teilnehmenden, sich die Papiere vorab durchzulesen. Während der Tagung werden nur noch Kurzpräsentationen von 8 Minuten gehalten, um so mehr Zeit für eine intensivere Diskussion zu lassen.

Tagungssprache ist Deutsch.. Papiere und Vorträge können aber auch in englischer Sprache vorgelegt bzw. gehalten werden.

Eine Finanzierung kann nicht übernommen werden.

Wir laden ein, Abstracts (höchstens eine Seite, max. 1800 Zeichen) für ein Papier bis zum 18. März an die E-Mail-Adresse aim-gender@gmx.net zu schicken. Das Abstract muss Name, Fachrichtung, Position und E-Mail-Adresse des oder der Vorschlagenden und einen Vortragstitel enthalten. Die Problemstellung und die benutzten Materialien sollten klar herausgearbeitet werden. Aus diesen Abstracts wird das Programm zusammengestellt. Spätestens am 5. April werden Sie informiert, ob Ihr Vorschlag für das Programm angenommen worden ist.

Allen an der Teilnahme Interessierten empfehlen wir, sich mit dem anhängenden Formular direkt bei der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart – Referat Geschichte, Im Schellenkönig 61, D-70184 Stuttgart (Tel: +49 711 1640 752) anzumelden. Diese Anmeldung ist unabhängig von der Präsentation oder Annahme eines Diskussionspapiers. Anmeldungen und Rückfragen bitte an Frau K. Hopfensitz, E-Mail-Adresse: hopfensitz@akademie-rs.de

Weitere Infos zur Anmeldung

Deadlines

  • 18. März 2012: Einreichen der Abstracts an aim-gender@gmx.net
  • 5. April (spätestens): Mitteilung über Annahme oder Ablehnung des Vorschlages
  • 14. Juni (spätestens): Einreichen des fertigen Vortrags zur Veröffentlichung im Web

Die Einladenden

  • Prof. Dr. Martin Dinges (Historiker) für AIM GENDER
  • Dr. Dieter Bauer (Historiker) Referat Geschichte der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
  • Prof. Dr. Michael Meuser (Soziologe) TU Dortmund
  • PD Dr. Sylka Scholz (Soziologin) TU Dresden
  • Prof. Dr. Toni Tholen (Literaturwissenschaftler) Stiftung Universität Hildesheim

 

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