FEMINA POLITICA Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 1/2009
Gesundheitspolitik ist ein wichtiger Bestandteil von Wohlfahrtsstaatlichkeit. Obgleich sich die feministische Politikwissenschaft in den letzten Jahren intensiv mit der vergleichenden Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten und der Ausgestaltung von Sozialpolitik befasst hat, ist das Feld der Gesundheitspolitik relativ unterbelichtet geblieben. Dies ist auch insofern bemerkenswert, als die Steuerung des Politikfeldes unmittelbar auf den menschlichen Körper abzielt und damit Geschlechterverhältnisse umfasst.
Ansätze zur Entwicklung einer Geschlechterperspektive finden sich eher in Nachbardisziplinen wie der Soziologie, Pädagogik, Medizingeschichte und vor allem in den Gesundheitswissenschaften, wo politische Konzepte von „Gender Health“ entwickelt werden. Diese zielen darauf, das unterschiedliche Krankheitsspektrum, das Gesundheitsverhalten und die gesundheitlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern in allen Bereichen der öffentlichen Gesundheit systematisch zu berücksichtigen und ein geschlechtergerechtes System der Gesundheitsversorgung im Sinne eines Gender Mainstreaming zu verwirklichen.
Auch politische Akteure haben begonnen, Geschlechterperspektiven in der Gesundheitspolitik zu berücksichtigen. So legte z.B. die Bundesregierung im Jahr 2001 ihren ersten Frauengesundheitsbericht vor, aus dem deutlich wurde, dass Frauen anders krank sind als Männer, das Gesundheitssystem hierauf aber nicht reagiert. Angesichts dessen, dass Gesundheit als ein weitgehend reformresistentes Politikfeld gilt, das durch heterogene Interessen und korporatistisch organisierte, machtvolle Akteure gekennzeichnet ist, ist gleichwohl Skepsis angebracht, wie hier Geschlechterperspektiven entwickelt und politisch durchgesetzt werden können.
Mit dem Schwerpunktheft der Femina Politica sollen die Geschlechterdimensionen einer politikwissenschaftlich ausgerichteten Forschung zu Gesundheit erschlossen werden.
Wir bitten zu folgenden Themenkomplexen um Abstracts für theoretisch oder empirisch ausgerichtete Beiträge, wobei besonders international vergleichende Artikel erwünscht sind:
• Was sind die Grundstrukturen der Gesundheitspolitik, wie hat sich das Feld entwickelt, und wie ist dies aus Geschlechterperspektive einzuordnen? Inwieweit wird der Trend zu einer Individualisierung von sozialen Rechten für Frauen auch in der Krankenversicherung erkennbar? Was bedeuten genderzentrierte Ansätze im Versorgungssystem? Wie wirken die aktuellen Reformen des Gesundheitssystems strukturverändernd im Sinne ei-ner systematischeren Integration der Geschlechterdimension oder in welcher Weise wirken sich allgemeine Reformtendenzen (wie z.B. die Privatisierung von Gesundheitskos-ten) auf Frauen und Männer aus?
• Welche Bedeutung hat die administrative Steuerung durch selbstverwaltete Körperschaften und deren Verbände und damit das (neo-)korporatistische Steuerungsmodell aus Geschlechterperspektive? Welche Akteure setzten sich für geschlechterpolitische Belange in der Gesundheitspolitik ein?
• Welche Rolle spielen neue Akteursgruppen in der Gesundheitspolitik? Denn im Kontext von ‚consumer policies’ findet die NutzerInnenperspektive auch durch die Mitwirkung von PatientInnenorganisationen ihren Niederschlag. Wie werden Patienten- und Beteiligungsrechte institutionalisiert, und welche Rolle spielen hierbei Interessen von Patientinnen? Was ist aus der Frauengesundheitsbewegung als soziale Bewegung geworden, die in den 1970er Jahren angetreten war, um Gesundheitsbelange von Frauen in die eigene Hand zu nehmen? Analysen zur Bedeutung der boomenden Männergruppen im Bereich Gesundheit sind in diesem Zusammenhang ebenfalls erwünscht.
• In der Ungleichheitsforschung kommt dem Bereich der gesundheitlichen Ungleichheit eine wichtige Rolle zu. Doch was heißt gesundheitliche Ungleichheit aus einer theorieorientierten Genderperspektive? Wie kann eine gerechtigkeits-theoretische Begründung von Gesundheitspolitik aussehen, welche Forderung nach Solidarität (Stichwort: Bedarfsgerechtigkeit) und Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigt?
• Wie strukturiert und verändert die staatliche Gesundheitspolitik den „Arbeitsmarkt Gesundheitssystem“, in dem überwiegend Frauen erwerbstätig sind? Auch der Pflegesektor, der angesichts der Alterung der Bevölkerung und der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen an Bedeutung gewinnt, weist eine doppelte geschlechtliche Segregation auf, da mehr als zwei Drittel der pflegebedürftigen Menschen weiblich sind und auch die Pflegenden mehrheitlich Frauen sind. Wie wird vor diesem Hintergrund das wohlfahrtsstaatliche Dreieck von Staat, Markt und Familie/Privatheit neu strukturiert?
• Welche geschlechterpolitischen Wirkungen resultieren aus der Europäisierung von Gesundheitspolitik, die einerseits mit einer Öffnung der nationalen Gesundheitsmärkte einhergeht, andererseits neuen finanz- und wettbewerbspolitischen Zwängen unterworfen wird? Und welche Rolle spielt die Weltgesundheitsorganisation WHO, die schon lange einen Schwerpunkt „Gender and Health“ hat, für ein Engendering von Gesundheit?
• Welche politischen Gestaltungsnotwendigkeiten ergeben sich aus feministischer Perspektive aus den Veränderungen in der Medizin? Welche geschlechterpolitisch relevanten Weichenstellungen werden in der Gesundheitsforschungspolitik vorgenommen? Dies umfasst den Bereich pränataler Diagnostik und Reproduktionsmedizin (und Fragen der sozialen/geschlechtsbezogenen Selektivität in der Reproduktion), aber auch das Feld der embryonalen Stammzellenforschung.
• Auch die Analyse einzelner geschlechterrelevanter gesundheitsbezogener Policies ist wünschenswert: Zu nennen sind hier insbesondere Policies zu Schwangerschaftsabbruch oder geschlechterbezogene Programme und Kampagnen gegen HIV/AIDS, aber auch Themen wie Gewalt oder Sucht. Welche geschlechtlichen Konstruktionen und geschlechtsbezogenen Implikationen sind in die Rechtsetzung und die staatlichen Programme eingelassen?
• Von Interesse sind nicht zuletzt auch Beiträge zum politischen Umgang mit Problemlagen spezifischer Gruppen von Frauen (Migrantinnen, behinderte Frauen), z.B. die politische Förderung des Zugangs zur gesundheitlichen Prävention und Versorgung, aber auch die Ansätze der Selbsthilfe, Interessenorganisation und gesundheitspolitischen Beteiligung dieser Gruppen.
Abstracts und Kontakt
Der Schwerpunkt wird inhaltlich von Prof. Dr. Gabriele Abels, Dr. Ellen Kuhlmann und Dr. Julia Lepperhoff betreut. Wir bitten um ein- bis zweiseitige Abstracts (per e-mail) bis zum 30. Juni 2008 an gabriele.abels#uni-tuebingen.de oder die Redaktionsadresse redaktion#femina-politica.de.
Die Femina Politica versteht sich als feministische Fachzeitschrift und fördert Frauen in der Wissenschaft. Deshalb werden inhaltlich qualifizierte Abstracts von Frauen bevorzugt.
Abgabetermin der Beiträge Die Herausgeberinnen wählen auf der Basis der eingereichten Vorschläge Beiträge aus. Der Abgabetermin für die fertigen Beiträge im Umfang von 25.000 bis max. 30.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) ist der 15. Oktober 2008.
http://www.femina-politica.de/pdf/CFP_1_2009.pdf