Bericht: Konferenz: „un/diszipliniert? Methoden, Theorien und Positionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte“ (27.-29.02.2012, Wien)

Bericht für Salon 21 von Ruben Marc Hackler, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

Zum Selbstverständnis der Frauen- und Geschlechtergeschichte gehört es, sich kritisch und gleichzeitig konstruktiv-partnerschaftlich über die eigene Forschung auszutauschen. Gemessen daran, aber auch sonst, war die von „fernetzt e.V.“ organisierte Konferenz „un/diszipliniert? Methoden, Theorien und Positionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte“, die vom 27.-29. Februar dieses Jahres in den imposanten Räumlichkeiten der Universität Wien stattfand, ein großer Erfolg. Nach einer offenen Ausschreibung, auf die hin einundvierzig Bewerbungen eingegangen waren, kamen sechzehn Doktorierende aus acht europäischen Ländern zusammen, um ihre Qualifikationsarbeiten oder Teile daraus auf Deutsch oder Englisch vorzustellen. Unterstützt wurden sie dabei von thematisch ausgewiesenen Kommentatorinnen und Kommentatoren, die den vielfältigen Themen und Forschungsansätzen mit entschiedener Aufgeschlossenheit begegneten.

Den Eröffnungsvortrag hielt Barbara Duden (Hannover). Sie ging zum einen auf das Problem vieler Frauen in Deutschland ein, durch die Reformen des Sozialstaats seit den 1990er Jahren und die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt in den Niedriglohnsektor gedrängt zu werden. Diese Entwicklung sei mit einer „Indienstnahme“ des Privaten verbunden, wie sie gegenwärtig unter dem Stichwort Neoliberalismus diskutiert wird. Zum anderen schilderte sie ihre eigenen Anstrengungen in den 1970er Jahren, den persönlichen Missachtungserfahrungen, die prägend für eine ganze Generation von Frauen waren, einen kollektiv-politischen Ausdruck zu geben.

Daran anknüpfend fragte Karolina Sigmund (Wien), eine der Organisatorinnen, ob die Frauen- und Geschlechtergeschichte einer „Repolitisierung“ bedürfe. Sie beschrieb die widersprüchliche Situation von Geschlechterforscherinnen (auch männlichen Forschern?), ins wissenschaftliche Feld eingebunden zu sein, dort aber weiterhin um Anerkennung kämpfen zu müssen, und bemängelte, der akademische Feminismus habe sich entradikalisiert. In der Diskussion stieß diese Charakterisierung zwar nicht auf grundlegenden Widerspruch, doch wurde eine konkrete Handlungsorientierung für den universitären „Frauenwiderstand“ (Duden) eingefordert.
Judith Götz (Wien) referierte die nunmehr zwanzigjährige Geschichte der „geschlechtersensiblen Rechtsextremismusforschung“ in Österreich, der sie vor allem theoretische Defizite und Forschungslücken attestierte. Sie nannte zwei vielversprechende Erklärungsansätze, warum rechtsextreme Milieus trotz ihrer frauenfeindlichen Tendenz attraktiv für Frauen sind: die soziologische Individualisierungsthese und die Dominanzkulturthese von Birgit Rommelspacher, derzufolge Frauen in rechtsextremen Bewegungen die Möglichkeit bekämen, Macht gegen gesellschaftlich ohnehin marginalisierte Gruppen auszuüben.
Elife Biçer-Deveci und Edith Siegenthaler (beide Bern) stellten gemeinsam das Konzept der „Entangled History“ als produktiven und, wie von der Kommentatorin Carola Sachse (Wien) hervorgehoben, bereits erprobten Ansatz vor, um internationale Frauenbewegungen zu untersuchen. In ihren Dissertationen geht es darum, die Interaktion lokaler und nationaler Frauenbewegungen (Biçer-Deveci) beziehungsweise das komplexe politische Zusammenspiel bei der internationalen Verrechtlichung des Frauen- und Kinderhandels (Siegenthaler) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen. Ihr Ziel ist, die in älteren Forschungsarbeiten vorherrschende Konzentration auf (westliche) Metropolen zu überwinden.
Ein konzeptuell ähnliches, nämlich auf „Verflechtungen“ gerichtetes Dissertationsprojekt stellte Selin Cagatay (Budapest) vor, die sich ausgehend von intersektionalitätstheoretischen Annahmen mit den Koppelungen von Geschlecht, Klasse, Nation und Ethnizität in der kemalistischen Frauenbewegung seit den 1990er Jahren beschäftigt. Ihr Datenmaterial sind Interviews mit Aktivistinnen, die sich als Bewahrerinnen einer säkularen, durch die Mittelklasse geprägten „national culture“ verstehen, die sie gegen die islamistische Ideologie verteidigen wollen.
Intersektionale Forschungsansätze standen auch in den Vorträgen von Heike Mauer (Luxemburg) und Irene Messinger (Wien) im Mittelpunkt. Mauer, die den theoretischen Teil ihrer Dissertation zu Prostitutionsdiskursen in Luxemburg zwischen 1900 und 1939 präsentierte, verglich zuerst das Konzept der Intersektionalität mit dem des Geschlechts als „mehrfach relationale Kategorie“ (Andrea Griesebner) und schlug dann einen Bogen zu Michel Foucaults Theorie des Regierens. Die anschließende Diskussion entzündete sich unter anderem an der Frage, ob Mauers Quellen nur Aussagen über die Prostituierten oder auch über die Freier erlauben.
Messinger berichtete aus ihrer bereits abgeschlossenen Dissertation, die den „weißen Männerbünden“ in der österreichischen Migrationspolitik von den 1930er Jahren bis 2005 gewidmet ist. Sie konnte nachweisen, dass Eheschließungen von Österreichern beziehungsweise Österreicherinnen mit „Drittstaatsangehörigen“ massiv erschwert werden. Der martialisch klingende Begriff des „Männerbundes“ erhält sein volles Recht dadurch, dass die Gesetzgebung von einer männlich und weiß dominierten, rassistisch eingestellten Verwaltungselite bewerkstelligt wurde, die ihre Weltsicht ungehindert in Paragraphen einfließen lassen konnte.
Von Männlichkeit/en wiederum handelten die beiden Vorträge von Ruben Hackler (Zürich) und Dominik Schuh (Mainz). Hackler stellte das Konzept der „immanenten Ideologiekritik“ vor, um damit den wissenschaftlichen Anspruch einer sich „kritisch“ verstehenden Frauen- und Geschlechtergeschichte zu untermauern. Als empirisches Beispiel diente ihm der juristische Diskurs im Kaiserreich, in dem aus ideologischen Gründen die Meinung vertreten wurde, für das Richteramt seien nur Männer aus dem Bürgertum befähigt. In der Diskussion wurde eingewandt, dass sich der Maßstab ideologiekritischer Argumente nicht eindeutig bestimmen lasse, wenn konkurrierende Wahrheitsvorstellungen ins Spiel kämen, und das ist bekanntlich häufig der Fall.
Schuh referierte die Theorie der „narrativen Geschlechtsidentität“, die seine Analyse spätmittelalterlicher Männlichkeitsvorstellungen anleiten soll. Er stützte sich auf Selbstzeugnisse, die durch biographische Schlüsselmomente, sogenannte „Meilensteine“, strukturiert werden. Sein Fokus lag auf zwei typischen Meilensteinen im Leben adliger Ritter: die Beziehung zum Pferd, das viel häufiger erwähnt wurde als die Ehefrau, und die Bewährung im Kampf. Es blieb allerdings offen, wie sich dieses Männlichkeitsideal zu anderen Lebensweisen verhielt, etwa der von Mönchen.
Meritxell Simon-Martin (Winchester) zeigte anhand der Korrespondenz von Barbara Leigh Smith Bodichon, einer englischen Künstlerin und Feministin aus dem 19. Jahrhundert, wie die Praxis des Briefeschreibens zur performativen „Selbst-Bildung“ beiträgt. Ihre Dissertation zielt darauf, die verschiedenen, im Austausch mit den Briefpartnerinnen und -partnern entstandenen Selbstentwürfe zu erfassen. Hierbei wäre es sinnvoll, nicht nur Bodichons geschlechtliche „Identität/en“ in den Blick zu nehmen, sondern auch ihre soziale Herkunft, schließlich war das Medium Brief lange Gegenstand bildungsbürgerlicher Vereinnahmungsversuche.
Maria Gross (Hamburg) setzte sich ebenfalls mit den Selbstzeugnissen einer Künstlerin auseinander. Elena Luksch-Makowskaja stellte als eine der ersten Frauen in der Wiener Secession aus, doch konnte sie nach der Trennung von ihrem Ehemann 1921 nicht an ihre bisherigen Erfolge anknüpfen und hatte finanzielle Schwierigkeiten, sich und ihre drei Söhne durchzubringen. In den fünfziger Jahren arbeitete sie an einer Autobiographie, in der ihr Leben trotz aller Widrigkeiten zu einem „Gesamtkunstwerk“ stilisiert wird. Gewinnbringend dürfte es sein, ihre Art der Selbststilisierung mit der von männlichen Künstlern zu vergleichen.
Irene Somàs (Bologna) Forschungsprojekt, das Leben antiker Frauen anhand von Inschriften zu erschließen, erwies sich angesichts der diffusen Quellenlage als besonders anspruchsvoll. Wie Kommentator Fritz Mitthof (Wien) erklärte, steht hier die Forschung noch ganz am Anfang. Gesichert sind mehrere Fälle, in denen Frauen Inschriften zusammen mit dem Bau von Denkmälern in Auftrag gaben, um ihre aktive Rolle im öffentlichen Leben zu unterstreichen, ihren gesellschaftlichen Aufstieg zu dokumentieren oder um die Karriere ihrer Söhne zu fördern.
Für Jitka Gelnarová (Prag) und Michaela Maria Hintermayr (Wien) waren diskursanalytische Zugänge entscheidend. Gelnarovás möchte in ihrer Dissertation den Wahlrechtsdiskurs der tschechoslowakischen Frauenbewegung zwischen den 1890er Jahren und 1920 analysieren. Sie arbeitet mit Zeitschriften der Frauenbewegung, aber auch anderen gedruckten Quellen, die Auskunft geben über die verschiedenen, teilweise widersprechenden Positionen zu Themen wie Fortschritt, Nation, Klasse oder Freiheit. Fraglich war, ob ihre ausgefeilte Diskurstheorie tatsächlich zu neuen Einsichten in ein klassisches Forschungsgebiet führt.
Hintermayr untersucht am Beispiel Österreichs die „geschlechtsspezifische Suizidforschung“. Sie möchte die Zeit von 1870 bis heute erfassen, auch wenn das zu lang erscheint, da sie sich auf amtliches Schriftgut (insbesondere Statistiken), soziologische Klassiker, medizinische und psychologische Literatur sowie populäre Printmedien stützt und dabei sowohl Texte als auch Bildquellen analysiert. Unklar war, wie ihre Kritik stereotyper Selbstmordrepräsentationen mit der ebenfalls geplanten Analyse von Lebens- und Todesmetaphern zusammenhängt, die in eine andere, linguistisch geartete Fragestellung münden dürfte.
Eine erst noch zu schreibende Geschichte stellte Alina Bothe (Berlin) in Aussicht: die der digitalen Medien von einer feministischen Warte aus. Bothe skizzierte zwei mögliche Themen für eine solche Erzählung: die Rolle von Frauen bei der Entwicklung des Internets, das weiterhin als Männerdomäne begriffen werde, und die noch kaum ausgeschöpften Potentiale, die das „web in progress“ für eine „interdisziplinäre Geschlechtergeschichte“ bereithalte.
In ihrem Abschlussvortrag warb Alexia Bumbaris (Wien), die auch zu den Organisatorinnen gehörte, dafür, die konkreten Schwierigkeiten im Verlauf der Qualifikationsphase und die praktischen Hindernisse interdisziplinärer Arbeit transparent zu machen, anstatt einfach die Vorstellung eines souveränen Forschersubjekts zu übernehmen. Außerdem trat sie für einen selbstbewussten Umgang mit Theorien und Methoden ein und erinnerte damit an ein wesentliches Merkmal der Frauen- und Geschlechtergeschichte. In der Abschlussdiskussion wurde die keineswegs unberechtigte Frage aufgeworfen, aber nicht ausdiskutiert, ob die Frauen- und Geschlechtergeschichte denn zwingend „feministisch“ sein müsse, wie etwa Duden und Sigmund meinten, oder ob nicht auch eher unpolitische Spielarten legitim seien.

Den fünf Organisatorinnen des „fernetzt e.V.“ ist es als besondere Leistung anzurechnen, ein derart breites Spektrum von Positionen, Themen und Forschungsansätzen unter einen Hut gebracht zu haben. Das verdankte sich ihrer aufmerksamen Koordination im Vorfeld und der ebenso entspannten wie kompetent-neugierigen Leitung durch die Tagung selbst. Eine Flüsterübersetzerin sorgte mit für das gute Gelingen der Veranstaltung. Ein weiterer Faktor war die ausgezeichnete Verpflegung, die wohl so manche inhaltliche Differenz auf ein verträgliches Maß reduzierte. Es bleibt zu hoffen, dass diesem Anlass ähnliche folgen werden.

Ruben Marc Hackler
Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Universität Zürich

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