DG PuK Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht, Margreth Lünenborg und Brigitte Kerchner (FU Berlin)
Datum: 27.-29.09.2007
Ort: Harnack-Haus, Berlin
Wird heute von politischer Kommunikation gesprochen, so ist auch von der fortschreitenden Boulevardisierung von Politik die Rede. Beschrieben wurde dies mit Stichworten wie Personalisierung, Simplifizierung, Emotionalisierung, Privatisierung/Intimisierung und Visualisierung. Offenbar kennzeichnen diese Phänomene inzwischen zunehmend die mediale Darstellung von Politik, sie scheinen aber auch für das politische Handeln selbst konstitutiv wirksam zu werden. Und so haben die strukturellen Veränderungen in der politischen Kommunikation, die mit einer verstärkten Boulevardisierung einhergehen, letztlich auch Konsequenzen für die Darstellung und das Handeln der Geschlechter.
In der Forschung werden die angesprochenen Phänomene widersprüchlich bewertet. Innerhalb der politischen Kommunikationsforschung überwiegt bislang die negative Sicht; befürchtet wird hier vor allem ein Verlust an reflexiver Öffentlichkeit sowie die schwindende Qualität eines ‚seriösen’ Journalismus. Aus der Perspektive einer politikwissenschaftlichen Demokratieforschung wird man dem weitgehend zustimmen. Dagegen fällt das Urteil in der Gender-Forschung weniger eindeutig aus. GeschlechterforscherInnen aus der Kommunikationswissenschaft begreifen Information und Unterhaltung nicht unbedingt als Gegensatz, sondern als komplementäre Bestandteile öffentlicher Kommunikation. Zudem wird im Aufbrechen der traditionellen institutionen- und elitenzentrierten Berichterstattung nicht allein ein Verlust, sondern auch die Chance für innovative Veränderung gesehen: Mit den neuen Formen der Berichterstattung können auch neue Akteurinnen und Akteure auf den Plan treten; und möglicherweise lässt eine popularisierte Sprache bürokratische Sprachhülsen obsolet und eine verstärkte Orientierung am Publikum den Alltag von Männern und Frauen politisch relevanter werden. Birgt also die Boulevardisierung auch ein Potenzial, den gender gap in der Medienberichterstattung zu verringern?
So wächst derzeit in der kommunikations- und politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung das Interesse, die Maßstäbe zu überprüfen, mit denen politische Kommunikation bislang bewertet wurde. Hier setzt die Tagung an. Ziel ist es dabei, genauer zu eruieren, wie sich derzeit auf dem Feld einer veränderten medialen politischen Kommunikation Männer und Frauen als AkteurInnen positionieren. Welche Konsequenzen hat die Boulevardisierung des Politischen für die Geschlechterver-hältnisse in Medien und Politik?
Drei Ebenen gilt es dabei zu unterscheiden:
I. Politikberatung und Medienproduktion
In welcher Weise sind Frauen und Männer als KommunikatorInnen beteiligt an der Boulevardisierung von Politik? Führt der gestiegene Anteil von Frauen im Journalismus zu einer verstärkten Unterhaltungsorientierung? Lassen sich unterschiedliche geschlechtsgebundene Kommunikationskonzepte auf der Ebene der PR-StrategInnen und politischen BeraterInnen finden? Unterscheiden sich politische Journalisten und Journalistinnen in ihrem Verständnis von Öffentlichkeit, ihrer Nutzung von Quellen, ihrer Präferenz für unterschiedli-che Genres und Darstellungsformen? Warum finden wir viele Journalistinnen in der Rolle der Moderatorin politischer Gesprächsrunden, jedoch wenige als Kommentatorinnen?
II. Die Inhalte von Medien und Politik
Auffällig ist zunächst die deutliche Unterrepräsentation von Frauen in der Politik. Darüber hinaus trägt aber offenbar auch die Art der medialen Präsentation dazu bei, ein geschlechterhierarchisches Image von Politik zu konstruieren. Hier stellen sich folgende Fragen: Wie werden Politikerinnen und Politiker medial (re-)präsentiert? Was geschieht, wenn neben der öffentlichen Funktion auch das Privatleben thematisiert wird? Lassen sich die Stile von Qualitäts- und Boulevardmedien überhaupt noch prinzipiell voneinander abgrenzen, und wie beeinflussen diese Stile die Inhalte von Medien und Politik? Welche Formate bieten das Potenzial für neuartige, unorthodoxe Präsentationsweisen, und in welcher Weise wird Politik in Unterhaltungsformaten dargestellt? Lassen sich aus Sicht der Geschlechterforschung Standards für eine angemessene Politikberichterstattung formulieren? Bei welchen Themen werden Geschlechterbilder zur strategischen Kommuni-kation eingesetzt? (bspw. „Frauen im Islam“, Geschlechtergerechtigkeit als Norm europäischer Zugehörigkeit)
III. Medienrezeption und die Akzeptanz von Politik
Gemeinhin wird davon ausgegangen, Männer und Frauen verhielten sich in der Mediennutzung und ihren medialen Präferenzen verschieden. Ob jedoch pauschal davon gesprochen werden kann, Frauen seien stärker an Unterhaltung, Männer eher an Information interessiert, wird inzwischen bezweifelt. Hier gilt es genauer nachzufragen: Wie nutzen Frauen und Männer mediale Darstellungen von Politik? Wie muss Politikberichterstattung beschaffen sein, um Männer und Frauen gleichermaßen zu erreichen? Erschließen Boulevard-Formate ein anderes (geschlechtsspezifisches) Publikumssegment als klassische Informationsprogramme? Welche Anforderungen an Politikberichterstattung artikulieren etwa (junge) Frauen? Aus der Perspektive der Politikwissenschaft interessiert zudem: Inwiefern hat die Form der medialen Präsentation Auswirkungen auf die Akzeptanz von Politik? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen einer medialen Überformung des Politischen und der oft beklagten „Politikverdrossenheit“ von Männern und Frauen?
Website der Tagung
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Programm
Donnerstag, 27. September 2007
18.00 – 19.00 Uhr: Treffen der DGPuK Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht (Hörsaal E, Otto-Suhr-Institut, Ihnestraße 21, 14195 Berlin)
ab 19.30 Uhr: Get Together (Restaurant Alter Krug, Königin-Luise-Straße 52, 14195 Berlin)
Freitag, 28. September 2007
9.00 – 9.20 Uhr: Begrüßung und Einführung
Margreth Lünenborg (FU Berlin)
9.20 – 10.50 Uhr: Personalisieren – Emotionalisieren – Intimisieren: (Re)Präsentationschancen für Frauen oder Demokratieverlust?
Moderation: Elisabeth Klaus (Universität Salzburg)
Liesbet van Zoonen (Universiteit van Amsterdam): A Women’s Guide to Celebrity Politics, or how Women Survive the Popular Media Democracy
Tissy Bruns (Tagesspiegel): Vom Verlust der politischen Erzählung. Ist Personalisierung Frauensache?
10.50 – 11.20 Uhr: Pause
11.20 – 12.20 Uhr: PolitikerInnen als Medienstars I
Moderation: Kerstin Goldbeck (FU Berlin)
Susanne Kinnebrock/Thomas Knieper (LMU München/TU Braunschweig): Männliche Angie und weiblicher Gerd? Visuelle Geschlechter- und Machtkonstruktionen auf Titelseiten von politischen Nachrichtenmagazinen
Jörg-Uwe Nieland (Universität Duisburg/Essen): Boulevardisierung in Frauenhand – ein Vergleich der Medienstrategien von Angela Merkel und Claudia Roth
12.20 – 13.40 Uhr: Mittagspause
13.40 – 14.40 Uhr: PolitikerInnen als Medienstars II
Moderation: Katrin Döveling (FU Berlin)
Marlène Coulomb (Université Toulouse): Beauty and the Beast: Body Politics on Television in the 2007 French Presidential Election Campaign
Sabine Seggelke (Brüssel): Das Präsidentenpaar auf dem Boulevard – Privatheit und politische PR in Frankreich
14.50 – 15.50 Uhr: Rezeptionsperspektiven: BürgerInnen im medialen Diskurs
Moderation: Jutta Röser (Universität Lüneburg)
Katrin Döveling/Dagmar Hoffmann (FU Berlin/HFF Potsdam): Politische Mobilisierung durch Emotionalisierung. Genderspezifische Wahrnehmung von Politik
Corinna Peil (Universität Lüneburg): Popularisierung durch Personalisierung: Tagesthemen und achrichtenmoderation aus Sicht der Zuschauerinnen und Zuschauer
15.50 – 16.20 Uhr: Pause
16.20 – 17.20 Uhr: Historische Perspektiven: Öffentlichkeit durch Popularisierung
Moderation: Ulla Wischermann (Universität Frankfurt)
Susanne Kinnebrock (LMU München): Popularisierung von Politik durch politische Frauenzeitschriften. Öffentlichkeiten im Wandel vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus
Martina Thiele (Universität Salzburg): »Das Leben ist kein Wunschkonzert«. Die Popularisierung von Politik als historisches Phänomen.
18.00 – 19.30 Uhr: Podiumsdiskussion: Veränderte Kommunikationskulturen – Perspektiven für Geschlechter und Demokratie
Moderation: Margreth Lünenborg
Teilnehmerinnen: Bascha Mika (Chefredakteurin taz), Eva Kohlrusch (Vorsitz Journalistinnenbund, Kolumnistin Bunte), Renate Künast (Fraktonsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen) [tbc], Barbara Pfetsch (Universität Hohenheim), Elisabeth Klaus (Universität Salzburg), Michaele Schreyer (ehem. EU-Kommissarin, FU Berlin)
anschließend
Transfer zum gemeinsamen Abendessen
(Cum Laude, Universitätsstraße 4, 10117 Berlin)
Samstag, 29. September 2007
9.30 Uhr – 11.00 Uhr: Popularisierung durch Journalistinnen? AkteurInnen und Strukturen des populären Diskurses
Moderation: Petra Werner (FH Köln)
Margreth Lünenborg (FU Berlin): Der Gender-Diskurs in der Journalismusforschung
Tarja Savolainen (Universität Helsinki): Gender Structures and Commercialization in Scandinavian Television
Claudia Riesmeyer/Martina Thiele (LMU München/Universität Salzburg): Sabine Christiansen – Will Anne sie ersetzen?
11.00 – 11.30 Uhr: Pause
11.30 – 12.30 Uhr: Gender Agenda. Die Mediatisierung des Gender-Diskurses
Moderation: Tanja Thomas (Universität Lüneburg)
Gabriele Dietze (Universität Graz): Islamophobie und Bilderpolitik
Andrea Nachtigall (Berlin): Von Cowboys, Staatsmännern und Terroristen.
Männlicheitskonstruktionen in der printmedialen Inszenierung des 11. September
12.30 – 13.00 Uhr: Abschlussdiskussion
Schlusskommentar: Barbara Pfetsch (Universität Hohenheim)
13.00 Uhr Mittagessen/Abreise