CfP: Popular Sex: Media and Sexuality in Germany in the Early 20th Century (Event, Calgary, 01/2011); DL: 15.03.2010

University of Calgary: Organisator_innen:  Annette Timm (Associate Professor of History, University of Calgary); Michael Thomas Taylor (Assistant Professor of German, University of Calgary); Rainer Herrn (Institut für Geschichte der Medizin, Charité Berlin und Magnus Hirschfeld Gesellschaft)

Zeit: 07.-08. 01. 2011
Ort: Calgary
Deadline: 15.03.2010

Wir planen einen zweitätigen Workshop mit 8-12 internationalen TeilnehmerInnen. Um die Diskussion anzuregen, werden die ausführlichen Texte der ReferentInnen allen TeilnehmerInnen vorab geschickt. Die entsprechenden Vorträge sollten dann nur die Kernthesen kurz zusammenfassen. Konferenzsprache ist Englisch.

Im Zuge vielfältiger Wandlungsprozesse der Moderne erreichten sexuelle Diskurse in Deutschland um 1900 zunehmend breitere Bevölkerungsschichten. Sexual- und geschlechterpolitische Forderungen der sich formierenden Sexualreform- und Frauenbewegung(en) machten auf bislang ausgeblendete gesellschaftliche Wirklichkeiten aufmerksam und verliehen diversen „sexuellen“ Themen bislang unbekannte Aufmerksamkeit. Als Geständniswissenschaften des Intimen gaben Sexualwissenschaft und Psychoanalyse sexuellen Bekenntnissen eine Legitimität und Signifikanz, die sie für die öffentliche Zirkulation in den Populärmedien prädestinierten. Zu den Themen zählten die Emanzipation der Frauen, die Entkriminalisierung der Homosexuellen und Transvestiten, die Sorge um Geburtenraten, die Aufklärung über Möglichkeiten der Verhütung von Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Krankheiten, die Freigabe der ärztlichen Abtreibung und nicht zuletzt die eugenischen Maßnahmen zur Verbesserungen von „Rasse und Volk“. Kontroverse, öffentlich ausgetragene Diskussionen über Sex bildeten den Horizont für politische Skandale, für öffentliche Anschuldigungen und Prozesse, für politische Agitation und wissenschaftliche Propaganda und für die Kommerzialisierung des Sex. Die Popularisierung des Sex wurde weiterhin gesetzgeberisch reguliert, dennoch veränderte sie die Vorstellungen von der öffentlichen und privaten Sphäre, von sexuellem Verhalten und sexueller Gesundheit, und nicht zuletzt von den Geschlechternormen. Sie wurde zum maßgeblichen Bestandteil einer modernen Populärkultur.

Mit der Analyse dieser aufkommenden Popularität von Sex in Deutschland wollen wir zum besseren Verständnis der Ursprünge vom Begriff der Populärkultur beitragen, eines Begriffes, der in den Medizin- und Wissenschaftsgeschichte wie in den Kultur- und Medienwissenschaften der letzten Jahre omnipräsent und dennoch schwer zu fassen ist. Unsere Fragen leiten sich aus der großen Zahl neuerer Arbeiten zur Geschichte von Sexualität und Geschlecht in Deutschland her: Welche Möglichkeiten sexueller Kontrolle – aber auch sexuellen Ausdrucks – wurden durch die Popularisierung von Sex neu geschaffen bzw. eingeschränkt? Welche Rolle hat sie bei der Durchsetzung eugenischer, reproduktionsmedizinischer und familienpolitischer Ziele gespielt?

Wir fokussieren diverse Formen öffentlicher Darstellungen und Medien, die eine Vermittlerrolle dieser Prozesse spielen. Dazu gehören Gesprochenes (Vorträge, Rundfunk) und Geschriebenes (Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Pamphlete und Bücher) und nicht zuletzt der Film, also verschiedene journalistische, literarische und filmische Genre und Formate, in denen den Transformationen des Sex nachgespürt werden soll. Wir möchten aber auch fragen, welche Rolle die Popularität des Sex in der Entwicklung dieser Formen von Öffentlichkeit spielte.

Zeitlich konzentrieren wir uns auf den Abschnitt um 1900 und die drei Jahrzehnte danach, sind jedoch auch daran interessiert, herauszufinden, wie sich der Übergang zu Beginn der Popularisierung des Sex gestaltete und welche Auswirkungen sie auf spätere Dekaden hatte. Unser Workshop sieht einen interdisziplinären Ansatz vor: wir versuchen, in einen Dialog zu treten zwischen den Methoden, die sich mit Kulturgeschichte, mit bildender Kunst und Film-, mit Wissenschaftsgeschichte und mit Medientheorie beschäftigen.

Mögliche Fragen:

  • Wie verhält sich die zunehmend visuell angelegte Kultur dieser Zeit zur überwiegend literarischen Geschichte der Autobiographie und der Bekenntnisse, die moderne Begriffe der Sexualität hervorbrachte?
  • Wie veränderten oder beeinflussten Emanzipationsbewegungen (sexual-)politischer Couleur die neue Sichtbarkeit sexueller Subkulturen und die dadurch provozierten politischen Reaktionen die Entwicklung öffentlicher Darstellung?
  • Welche Formen von Zensur wurden entwickelt, um die öffentliche Darstellung von Sex zu regulieren? Wurden Praktiken der Zensur im Allgemeinen dadurch neu definiert, in Frage gestellt, oder beeinflusst?
  • Wie haben begriffliche Analogien aus dem Medialen- und Sexualdiskurs – wie etwa Produktion und Reproduktion oder Zirkulation und Kontakt – die Sexualisierung öffentlicher Darstellung und die Popularisierung sexuellen Diskurses strukturiert?
  • Wie wirkten sich neue Diskurse von Sexualität in Deutschland auf die Sexualisierung von Werbeästhetik und auf Vermarktungsprozesse aus? Was genau wird durch Sex verkauft?
  • Eröffnet diese Geschichte der Sexualität und der Populärkultur eine neue Sicht auf die Kraft faschistischer Ästhetik und Politik?
  • Schließlich, inwiefern beeinflusste oder veränderte die Bedeutung des Sex für die Entwicklung öffentlicher Darstellung den Sinn und die Funktion der Populärkultur selber?

Der Einsendetermin für die englischen Kurzbeschreibungen der Beiträge (abstracts) ist der 15. März 2010.

Bitte schicken Sie die Kurzbeschreibungen an alle drei Organisatoren: atimm@ucalgary.ca, mttaylor@ucalgary.ca, rainerherrn@gmx.de

Kontakt
Rainer Herrn
Institut für Geschichte der Medizin der Charité, Berlin
440 35 896
rainerherrn@gmx.de;atimm@ucalgary.ca, mttaylor@ucalgary.ca

URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=13183

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