Konferenz: Grenzüberschreitungen. Magieglaube und Hexenverfolgung, 19.-21.05.2010, Paris

VeranstalterInnen: Gudrun Gersmann, Katrin Moeller, Jürgen Michael Schmidt, Paris
Zeit: 19.-21.05.2010
Ort : Institut Historique Allemand de Paris (Web), 8, rue du Parc-Royal, 75003 Paris
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Der kumulative Hexereibegriff, die Vorstellung von einer Sekte von Teufelsbündnerinnen, die einen Pakt mit dem Bösen eingingen, sich zum Schadenszauber verschworen und ihre apostatischen Übeltaten in wilden Orgien auf dem Hexensabbat feierten, prägte nicht nur das Stereotyp vom Hexenwesen und das begriffliche Repertoire der Hexenforschung.
Das Klima der Angst, der Gewalt und der Krise der Frühen Neuzeit, in dem die Hexenverfolgung manchmal tatsächlich zum Hexenwahn geraten konnte, ist seit seiner Neuentdeckung in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts quasi zu einem Epochenparadigma angewachsen. Fast scheint es, das Mittelalter habe das Attribut des Finsteren nunmehr an die Frühe Neuzeit vererbt, das späte 16. und 17. Jahrhundert mutiert immer mehr zu einer der „schrecklichsten Epochen der Geschichte“ (Lyndal Roper). Nicht nur in einigen Zweigen der Hexenforschung wird daher mittlerweile der Hexenglaube als Produkt einer psychopathologisch auffälligen, von Depressionen und Angstpsychosen geprägten Gesellschaft charakterisiert, Magieglaube als ein Kontext angesehen, der in allen und für alle Lebenssituationen konstitutiv war, manchmal gar alternativlose Anwendung fand.
Unter dem Impetus einer „Wiederverzauberung“ der Welt, sind in den vergangenen Jahren transdisziplinär Ansätze entstanden, die in Abkehr von Max Webers Rationalisierungsparadigma die Bedeutung religiös-magischer Referenzsysteme bis in die jüngere Moderne betonen. Im Kontext des „linguistic turn“ sowie kommunikationstheoretischer Ansätze begreift man mittlerweile gerade für die Frühe Neuzeit rituelle Handlungen, symbolische Kommunikation, Semantiken im Kontext von Religion bzw. Magie im weitesten Sinne als integrale Bestandteile einer quasi religiösen Sphäre, die das Repertoire eines primären und dominanten Wertehorizonts frühneuzeitlichen Alltagshandelns und Verhaltens bot. Hexenglaube, volksmagische Gebräuche, Volksfrömmigkeit, kulturelles wie rechtliches Normverständnis und Symbolbegreifen verschmelzen so zu einer synkretistischen Weltsicht, die mit modernen Begrifflichkeiten einer christlichen Religiosität oder einer klaren Scheidung zwischen rationalen und übersinnlichen Bedeutungsebenen nicht mehr zu beschreiben sind und uns Einblick in kulturell wie diskurstheoretisch zutiefst fremde Welten vermitteln.
Jüngere Forschungen zur Frühen Neuzeit setzen damit auf Hypothesen auf, die ein diffuses Bild magisch-religiöser Handlungsweisen und Deutungen entwerfen und sie als alltagsrelevante Sozialpraktiken beschreiben, ohne bisher ein ausgefeiltes begriffliches wie methodisches Repertoire zur wissenschaftlichen Beschreibung und Analyse solcher weltanschaulichen Konstrukte zu liefern, die auch für empirische Forschungen tauglich sind.
Aus der Perspektive der Hexen- und Volkskundeforschung, die seit Jahrzehnten mit der Frage nach der Reichweite und der Realität des Hexenglaubens ringen, erscheinen solche Ansätze überdies nicht ganz unproblematisch, da der soziale Sinn der Hexenverfolgung, die jede Form von Magie grundsätzlich kriminalisierte, als Ketzerei verwarf und vehement unterdrückte, hier quasi auf den Kopf gestellt wird. Salopp ausgedrückt, verschiebt sich die Wahrnehmung der Hexen in der Frühneuzeitforschung weg von den „Terroristen der Frühen Neuzeit“ hin zu den Cheerleadern einer breiten „Volksbewegung“. Der Einbruch des Magischen in die Frühneuzeitforschung fordert die Hexenforschung damit fast zwangsläufig zur produktiven Debatte heraus, hat sie doch zur neuen Paradigmenbildung gewichtige Argumente beizusteuern, welche die Facetten aber auch die Grenzen des Modells besser konturieren.
Angesicht dieser intellektuellen Herausforderung erhebt sich die Frage, ob der relativ starre Hexereibegriff der Hexenforschung noch ein geeignetes Instrument ist, um die vielgestaltigen Deutungsmuster des Hexen- und Magieverbrechens zu erfassen, die Strafprozess und Alltag der Frühen Neuzeit bestimmten. Grundsätzlich muss daher über den Gegenstand der Hexenforschung neu verhandelt werden. Grundlage könnte eine Selbstvergewisserung darüber sein, welche regional übergreifenden Konzepte des Magischen wie des Hexenglaubens es gab, welche Prägekraft sie besaßen oder ob sich unter solchen scheinbar gleichförmigen Semantiken nicht doch zeitlich, regional, konfessionell, gesellschaftlich wie individuell differierende Vorstellungen verbergen. Grundsätzlich sind ebenso alternierende Konzepte und Deutungsangebote aufzuzeigen.
Dieses Thema ist nicht völlig neu und innerhalb der Volkskunde- und Hexenforschung bereits in den neunziger Jahren in ganz unterschiedliche Richtungen andiskutiert worden. Es verbindet sich vor allem mit der Zuordnung magischer Ideen zur Volks- und/oder zur Elitenkultur. Auch wenn es heute längst nicht mehr darum geht, romantisierende oder volkstümelnde Mythen, lineare Akkulturationsprozesse oder statische Gesellschaftsentwürfe zu zelebrieren, stehen nach wie vor die Träger und Akteure sowie die Reichweite von Magie, Hexenglauben und Akzeptanz von Hexenverfolgungen wie ihre Kontextualisierungen im Mittelpunkt von Forschungen zu magischen Mentalitäten. Von Seiten der Hexenforschung sind in den letzten Jahren zahlreiche Argumente zusammengetragen worden, die das Forschungsparadigma der undifferenzierten Verfolgung von „unten“ erschüttern und die Grenzen des populären Magieglaubens besser sichtbarmachen.
Die Tagung möchte daher anregen, nach den Semantiken und nach dem Potenzial des Hexen- und Magieglaubens zu fragen und Grenzüberschreitungen methodisch in vielerlei Hinsicht experimentell und fachübergreifend zu wagen. Wir möchten folgende zwei miteinander eng verwobene Schwerpunkte zur Diskussion stellen:

  1. Räumliche Grenzen und Grenzüberschreitungen: Welche individuellen, lokalen, regionalen, „nationalen“ oder übergreifenden Formen des Hexen- und Magieglauben und ihrer Referenzsysteme lassen sich ermitteln? Besonderes Interesse möchten wir den Grenzüberschreitungen im Sinne von Rezeptionsströmen, Kulturtransfers, regionalen und überregionalen Netzwerken oder Migrationsprozessen widmen, die statische und dynamische Elemente des Magieglaubens sichtbar machen helfen. Die neue Raumforschung lädt ein und regt an, nach relationalen Verknüpfungen zu suchen, konkurrierende oder divergierende Beziehungen offen zu legen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche Raumfaktoren auf den Hexen- und Magieglauben einwirkten, ihn veränderten oder abschotteten. Zu denken ist hier beispielsweise an Stadt-Land-Gegensätze, ethnische Pluralität oder sprachliche- und politische Grenzziehungen. Wichtig – vor allem in Hinblick auf eine eher dürftige Forschungssituation – ist die Hinterfragung von konfessionellen Konzeptionen von Magie und Hexenglauben, die bisher weitgehend aus dem Blickwinkel des Gelehrtendiskurses, weniger jedoch anhand von Manifestationen magischer Praktiken, religiöser Toleranz oder spezifischen Formen des Hexenglaubens sichtbar gemacht wurden. Generell geht es um die Ausformung eines oder eben mehrerer lokaler, regionaler oder gesellschaftsübergreifender Magie- und Hexendiskurse und ihre Alternativen, wobei die Fragen nach den gesellschaftlichen Verortungen der Erfindungen, Deutungen, Bewertungen und Rezeptionssträngen in den zweiten Schwerpunkt überleiten.
  2. Gesellschaftsinterne Grenzen und Grenzüberschreitungen: Unter diesem Schwerpunktthema (in Anlehnung an die Aachener Frühneuzeittagung 2009) möchten wir anregen, sich einmal mehr mit der Konzeption von Laien- und Gelehrtenkulturen auseinanderzusetzen. Ist das dichotome Modell in dieser Form überhaupt noch tragfähig, oder welche Differenzierungen lassen sich im Hinblick auf verschiedene gesellschaftliche Schichten und Akteure sowie unterschiedliche Glaubenssysteme finden? Die Herausforderung stellt sich vor allem im Entwurf eines Modells, das das Spannungsgefüge von Glaube und Skepsis in seinen verschiedenen Wechselwirkungen, Veränderungspotenzialen und Nuancen integriert, ohne die Suche vorschnell auf die Entdeckung der entweder „fremden magischen“ oder „aufgeklärten“ Gesellschaft zu reduzieren. Eine wichtige Diskussion wird in diesem Zusammenhang um die Konstruktion des populären Hexenglaubens zu führen sein. Die Antwort auf die Frage, inwieweit etwa dämonische Konzepte tatsächlich einen in seinen Differenzierungen darzustellenden populären bzw. elitären Hexenglauben prägten, liefert einen entscheidenden Schlüssel zur akteursbezogenen Modellbildung.

Programm als PDF
aus: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=13558

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