Der Erste Weltkrieg in Nachlässen von Frauen Nr. 151: Korrespondenz von Maria und Adolf E., 21. und 23. Februar 1919, Steiermark

Anfang 1919 plante Familie E. einen Umzug in eine steirische Bezirkshauptstadt, wo Adolf E. eine Rechtsanwaltskanzlei eröffnet hat. Maria E. organisierte die Familie mit vier kleinen Kindern inzwischen alleine, unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, ihrer Schwester und einem Dienstmädchen – sowie von Lebensmittelsendungen des Ehemannes. In ihrer Korrespondenz sind die anhaltende Nahrungsknappheit ein ständiges Thema, daneben die Scharlach-Erkrankung ihrer Kinder und eine Operation des zweitältesten Buben. Im Februar 1919 wurden auch politische Demonstrationen in der Landeshauptstadt Graz angesprochen – und die Hoffnung auf eine ruhigere Umgebung am zukünftigen Wohnort.

21. Februar 1919
[Liebe Maria!]
[…] Für die Karte vom 18. und den Brief vom 19. danke ich. Schau, die Kinder werden schon wieder werden und wenn sogar Dr. S. mit Karli [geb. 1917] zufrieden ist, können wirs ja auch sein […]
Denk Dir, vorgestern habe ich die erste Bareinahme gehabt, ganze 5 K! Aber langsam wird’s schon werden! Das eine ist sicher, langsam werde ich schon bekannt werden und dann wird es schon gehen, in einem Jahr werden wir wohl noch etwas Schulden aber auch, wie ich hoffe, die Aussichten haben, sie abzustoßen […] Milch hoffe ich zu bekommen u. werde sie dann mitbringen, ein ganz kleines Stück Weißbrot habe ich gestern oben am Weizberg erhalten, es wird halt bis Donnerstag etwas hart werden, Eier bekomm ich vielleicht heute ein paar; wenn ich Mehl bekomm, soll ich es da behalten oder mitbringen? […]
[Dein Adolf]

[Stadt], am 23. Februar 1919.
[Mein lieber Adolf!]
[…] Gelt mein letztes Schreiben klang so unvollständig und träge. Aber weißt, es lag so ein starker Druck auf meiner Seele und den ganzen Tag war ein solches Bangen und Zittern in mir, das ich vor Dir verbergen wollte, damit Du Dich nicht unnötig sorgst! – Weißt Karli’s Erbrechen war nicht so einfach. Es währte den ganzen Vormittag und sogar den Thee erbrach er. Auf einmal wurde er im Gesichte ganz grau, die Lippen blau – ein Anblick, wie er der Mutter noch von Greterls Sterben [?] erinnerlich ist!! Ich und Mutter waren zu Tode erschrocken, Luise [Schwester der Schreiberin] selbst dachte das Ärgste. –
Gott hat mir aber diese Prüfung geschenkt.– Aber noch heute machen sich bei mir die Nachwirkungen dieser schrecklichen Stunden fühlbar. – […]
Hedwig [geb. 1915] ist noch immer heiser. Ich habe ihr die Haare kurz geschnitten und nun sieht sie noch mehr einem Trotzköpfchen ähnlich. Da sie das Folgen im Spital scheinbar ganz verlernt hat, mußte ich es ihr schon einigemale mit einigen „Prackern“ beibringen. Bei der Gelegenheit erzählte sie mir, daß sie im Spital auch nicht gefolgt und aber keine Schläge bekommen habe! Essen will sie gar nichts. Da gibt es immer Tränen. Doch Nusserl [geb. 1914] bekam ja auch erst nach 3 Wochen Hunger.
Adolfi [geb. 1913] soll sich unten bei der Unmenge von Erziehern und Erzieherinnen – von denen er aber nur Großmutter und Tante Anna gelten läßt – ganz wohl fühlen […]
Mein Nettogewicht beträgt 44 ¼ kg. Darum wäre ich ganz froh gewesen, wenn ich mich vor unserer Übersiedlung etwas erholen hätte können! Doch glaube ich kaum, daß ich für das Rosenberger-Erholungsheim in betracht komme. – [Maria E. war an TBC erkrankt.] […]
Wie es in Graz zugeht, weißt Du ja aus der Zeitung! Daß aber Mutter am Donnerstag ahnungslos in den Rummel gekommen ist, muß ich Dir erzählen. Sie wartete, nachdem sie bei Pepi gehamstert hatte, vergeblich auf die Straßenbahn; folglich ging sie zu Fuß, bis eine große Menschenmenge, aus der Rufe: „Aufhalten“ u.ä. ertönten, ihr entgegenkam. – In ihrer Angst bat sie 2 Kommunisten um ihren Schutz, die ihr bis zur Glacisstraße das Geleite gaben!
In Schweiß gebadet und zitternd am ganzen Körper kam Mutter mit der schweren Einkaufstasche unversehrt nach Hause! […] Unter solchen Umständen ist meine Sehnsucht nach dem Frieden des Dorfes umso begreiflicher, wenn wir in der Vorstadt auch der Gefahr nicht so nahe sind! […]
An Dr. M. und seine Frau sandte ich Glückwünsche. Doch aus dem Dank erfuhr ich, daß sie noch gar nicht geheiratet haben! Wenn es die Herrn Bolschewiki zulassen, soll heute die Hochzeit stattfinden. – […]
[Deine Maria]

Sammlung Frauennachlässe NL 174
Kein weiterer Eintrag aus dem Nachlass der Familie E.
Voriger Eintrag aus dem Nachlass von Maria E. am 6. Februar 2019

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In diesem Fall sind auch die Ortsangaben anonymisiert angegeben. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Die Briefe des Ehepaars E. liegen in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 151, Korrespondenz von Maria und Adolf E., Datum, SFN NL 174, unter: URL