Wiener Vorlesung – Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung
Zeit: Dienstag, 4. Oktober 2011, 19 Uhr
Ort: Wiener Rathaus, Festsaal, Lichtenfelsgasse 2, Feststiege I, 1010 Wien
Kommentar: Oliver Rathkolb (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien)
Moderation: Christa Hämmerle (Institut für Geschichte, Universität Wien)
Waren wir nicht alle in der Nachkriegszeit angetrieben von der festen Erwartung, dass Krieg und politische Gewalt gezähmt werden könnten in der Aufarbeitung des Erbes des Ersten und Zweiten Weltkrieges? Waren wir nicht auch mehr oder minder überzeugt, dass die nationalsozialistische Kriegführung Höhe- und Endpunkt einer Sonderentwicklung war, die, wenn erst einmal abgewickelt, in Anknüpfung an eine unterschlagene und unterdrückte demokratische Vergangenheit in zivile Bahnen vorwärtsgelenkt werden könnte?
Über den Erfolg dieses Experiments lässt sich streiten. Worüber es sich nicht streiten lässt, ist die Ernüchterung in der Gegenwart. Selbst in einem friedfertigen Europa nagt die Friedlosigkeit. Die Aufarbeitung der Vergangenheit hat nur sehr bedingt geholfen, die Probleme der Gegenwart zu meistern. Gibt es einen legitimen Einsatz von Gewalt, und wie soll der aussehen? Mehr noch, das ungute Gefühl, dass die „neuen“ Kriege der Gegenwart so neu doch gar nicht seien, geht um und mit ihm die Furcht vor einer neuen Ära wenn nicht genozidaler Gewalt, so doch einer sich ausbreitenden neu-alten Friedlosigkeit.
Wenn dem auch nur annähernd so ist, muss man dann nicht zu dem Schluss kommen, dass die deutsche Kriegführung in einem Zeitalter der Extreme nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat, dass also genau das eingetreten ist, was die Aufarbeitung der Vergangenheit zu verhindern hoffte und was Apologeten einer sauberen Wehrmacht schon immer behauptet haben? Es geht hier also im Kern um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des deutschen Krieges und der deutschen Kriegführung. Wie lässt sich ihr historischer Ort in der langen Entwicklung von Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert bestimmen? Ist sie eine Entwicklung sui generis? Oder auch nicht anders wie alle anderen Kriege und somit in einer evolutionsbedingten conditio humana aufgehoben?
Der Schlüssel für eine kritische Betrachtung dieser Alternativen – beiden gegenüber ist Skepsis angebracht – liegt in einer Betrachtung der Figur des Zivilen und des Zivilisten sowie der Zivilbevölkerung – genauer genommen in der paradoxen Verwendung von Gewalt mit, inmitten und gegen Zivilisten und dem humanitären Schutz eben dieser Figur, der auf globale Resonanz bauen kann. Hierin liegt das Kernproblem von Krieg und Gewalt im langen 20. Jahrhundert.
Eine Veranstaltung anlässlich der Tagung „The First World War in a Gender Context – Topics and Perspectives“ (29. September bis 1. Oktober 2011) der Forschungsplattform „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte“ am Institut für Geschichte der Universität Wien.
Wiener Vorlesung: Michael Geyer (Chicago): Krieg und Gewalt im langen 20. Jahrhundert. Eine globale Perspektive, 04.10.2011, Wien
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