Olga Misař (Wien 1876 – London 1950). Eine Biographie im Kontext von Frauen- und Friedenspolitik. Ein Projekt von Brigitte Rath

Eine zentrale Akteurin der Ersten Frauenbewegung in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts und auch der österreichischen Friedensbewegung dieser Zeit ist heute vollkommen vergessen: Olga Misař.[1] Ihr Leben und ihre Leistungen sind weitgehend unbekannt. Ihr Engagement in verschiedenen Bereichen, die keinen Eingang in die Meisternarrative der Geschichtswissenschaft gefunden haben, ihre jüdische Herkunft und ihre Emigration im Jahr 1939 haben zu dieser Verdrängung aus dem historischen Gedächtnis beigetragen. Erst jüngst – in Zusammenhang mit der Aufarbeitung von bürgerlichen bis zu anarchistischen Friedenskonzepten – hat die Grazer Germanistin Beatrix Müller-Kampel Olga Misař als wieder zu entdeckende Pazifistin und Schriftstellerin charakterisiert.[2]
Die Frauen- und Geschlechtergeschichte hat sich in jüngster Zeit intensiv mit der Ersten Frauenbewegung aus verschiedensten Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Fragestellungen auseinandergesetzt, doch gibt es noch zahlreiche weiße Flecken – gerade in Bezug auf Frauen, die sich nicht einer Bewegung verschrieben haben, sondern in vielfältigen politischen Zusammenhängen aktiv waren.

  • Olga Misař war beispielsweise eine der österreichischen Teilnehmerinnen an der Frauenfriedenskonferenz 1915 in Den Haag und trat seit 1919 neben Yella Hertzka als Aktivistin des österreichischen Zweiges der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in Erscheinung.
  • In einer biographischen Annäherung soll im Rahmen des Projekts Olga Misařs Engagement sowie ihre breite publizistische Tätigkeit in unterschiedlichen politischen Kontexten sichtbar gemacht werden, die von der Stimmrechts- über die Mutterschutzbewegung bis hin zur Friedensbewegung – hier vor allem mit dem Fokus auf Kriegsdienstgegnerschaft – reichen. Sie stand auch in einem Naheverhältnis zur gewaltlosen anarchistischen Bewegung.
  • Unterschiedliche Themenfelder wie eugenische Diskurse, Diskurse über Ehe und freie Liebe, Ansichten über Differenz und Gleichheit der Geschlechter sowie gesellschaftliche Entwürfe aus einer Perspektive des Friedens und der Gewaltlosigkeit, die Olga Misařs Interesse fanden werden aufgearbeitet. Transfers von Ideen, die über persönliche Verflechtungen transportiert wurden, wird besondere Aufmerksamkeit zukommen.
  • Ihre vielfältigen persönlichen internationalen und lokalen Vernetzungen werden einer genaueren Analyse unterzogen. Es zeichnet sich ab, dass sie Kontakte und Beziehungen, die sie in der Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts geknüpft hat, später in andere Kontexte übertragen und dort nutzbar gemacht hat. Familiale Verbindungen spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. So war beispielsweise der Ehemann Wladimir Misař seit Beginn der 20er Jahre als Sekretär der Freimaurer Großloge Wien tätig und engagierte sich in diesem Betätigungsfeld für Friedenspolitik.
  • Einen wichtigen biographischen Einschnitt bedeutete die Emigration nach England im Jahr 1939 und die dadurch veränderten Lebensumstände. Kontakte wurden in dieser Situation genutzt, um andere EmigratInnen zu unterstützen und bestehende persönliche Beziehungen zu anderen FriedensaktivistInnen aufrecht zu erhalten.

Bevor Olga Misař ihren Plan in die Tat umsetzen konnte, nach Österreich zurückkehren, verstarb sie ganz plötzlich an einem Herzversagen und wurde im Londoner Friedhof „Golders Green“ am 12. Oktober 1950 kremiert.
Ihr Engagement in vielfältigen fortschrittlichen Bewegungen macht Olga Misař zu einer wichtigen gesellschaftspolitischen Akteurin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

[1] Kurze Informationen über Olga Misař sind in der frauenspezifischen Information und Dokumentation der Österreichischen Nationalbibliothek ARIADNE erfasst. Erwähnt wird sie auch bei: Renate Flich, Frauen und Frieden. Analytische und empirische Studie über die Zusammenhänge der österreichischen Frauenbewegung und der Friedensbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes seit 1960, in: Manfred Rauchensteiner (Hg.), Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 410-463.
[2] Beatrix Müller-Kampel (Hg.), „Krieg ist Mord auf Kommando“ Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte, Bertha von Suttner und Pierre Ramus, Nettersheim 2005, 56.More...

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