Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Aachen Dr. phil. Christine Knust (Federführung) Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß Aachen
Zeit: 03.-04.07.2009,
Ort: Skillslab des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät, RWTH Aachen
Deadline: 30.04.2009
Ziel des von der Gerda Henkel-Stiftung geförderten Symposiums ist eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem konkreten, über kulturelle, fachliche und zeitliche Grenzen hinaus wirksamen Deutungsmuster von Blut: nämlich von Blut als dem Spender und Überträger von Kraft.
Intensiv diskutiert wird gegenwärtig in Medizin und Medien eine moderne Version des Umgangs mit „kraftvollem Blut“: Im Radsport ist Blutdoping seit einigen Jahren ein Faktum. Vollblut (eigenes oder fremdes) oder Zubereitungen, die rote Blutkörperchen bzw. künstliches Erythropoetin enthalten, werden verabreicht, damit Sportler – bedingt durch einen höheren Sauerstofftransport im Blut – bessere Leistungen erbringen können. Abseits dieses leistungsorientierten Umgangs mit Blut im Spitzensport, dem konkrete wissenschaftlich-medizinische Erkenntnisse über die Kraft des Blutes zugrunde liegen, werden regelmäßig alternativmedizinische bzw. populärwissenschaftliche Ratgeber über angebliche „Siegesstoffe“ im Blut veröffentlicht, mit denen therapeutische Wirkungen erzielt, aber auch ein „Enhancement“ physischer und mentaler Fähigkeiten ermöglicht werden soll. Sie fallen in den Bereich der Diätetik bzw. des boomenden Marktes der Nahrungsergänzungsmittel. Der aktuelle Umgang mit Blut als Motor der menschlichen Vitalkraft geht indessen auf eine kulturübergreifend wirksame Tradition zurück, die sich erst in der interdisziplinären, fächerübergreifenden Auseinandersetzung vollständig erschließt:
Blut gilt seit Jahrtausenden in vielen Kulturen als heilig. Ihm werden magische und heilende Kräfte zugeschrieben und es steht für den Ur- bzw. Kraftstoff des Lebens. Die Schulmedizin wies der Mischung der Körpersäfte – und damit auch dem Blut – bis weit in die Neuzeit hinein maßgebliche Bedeutung bei der Entstehung von Krankheiten und deren Therapien zu („Humoralpathologie“), und auch in alternativmedizinischen bzw. in volksgläubischen Praktiken wird vielfach auf Blut als Heilmittel rekurriert. Hier tritt häufig ein weiterer Aspekt hinzu: Im Blut liegt nicht nur physische, sondern auch „Seelenkraft“, weshalb nicht nur körperliche Gebrechen durch fremdes Blut geheilt, sondern auch bestimmte Fähigkeiten und Charakterzüge des Spenders auf den Empfänger übertragen werden können. Auch in diesem Zusammenhang gilt Blut als Stoff mit besonderen Eigenschaften und als besonders wertvolle Ressource.
Die Forschung hat sich bisher sowohl mit physischen als auch mit kulturell-historischen Aspekten des Blutes beschäftigt und dabei auch einige negative Konnotationen des Blutes untersucht. Dabei wurde die Deutung von Blut als „Kraftspender“ zwar vielfach berührt, bislang fehlen jedoch systematische interdisziplinäre, über zeitliche, kulturelle und Fächergrenzen hinausweisende Untersuchungen zu ebendiesem Aspekt. Dazu ist eine größere Vernetzung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften einerseits sowie zwischen historischen und an der Gegenwart bzw. der Zukunft ausgerichteten Wissenschaften andererseits erforderlich. Die Vorstellung, dass dem Blut eine ganz besondere Kraft inne wohnt, die übertragbar und nutzbar ist, lässt sich in vielen Kulturkreisen, Epochen und Disziplinen wiederfinden, unterliegt jedoch zugleich verschiedenen Deutungen, Zugriffen und Interpretationen. Umso bedeutsamer erscheint ein transdisziplinärer Austausch von Wissenschaftlern, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven (Medizin, Medizingeschichte, Kulturwissenschaft, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte und Theologie) und mit verschiedenen methodischen Herangehensweisen mit der physischen, symbolischen oder mythischen Kraft des Blutes auseinandersetzen.
Das Symposium möchte im interdisziplinären Dialog Fragen, Probleme und Entwicklungstendenzen in der Deutung von Blut als „Kraftstoff“ an der Nahtstelle von Medizin, Geschichte, Religionswissenschaft, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft und Ethnomedizin definieren und ein noch junges Forschungsfeld sondieren.
Im Fokus des Symposiums stehen dabei folgende Fragen:
- Welcher medizinisch belegbare Zusammenhang besteht zwischen realen physischen Gegebenheiten des Blutes und jener magischen, heilenden Kraft, die dem Blut über Jahrhunderte in der Volksmedizin zugeschrieben wurde bzw. wird?
- Welche Bedeutung hat die Möglichkeit des Blutdopings für die Wahrnehmung des menschlichen Körpers und seiner eigentlichen Leistungsgrenzen in Medien und Gesellschaft? Findet es Entsprechungen in früherer Zeit, lassen sich Analogiebildungen ausmachen?
- Existieren kulturelle, religiöse, soziale, volksmedizinische oder schulmedizinische Körperkonzepte, in denen dem Blut (bestimmter Personengruppen) eine besondere Heilkraft zugeschrieben wird? Gibt es Unterscheidungen nach Geschlecht oder Rasse?
- Welche Konnotationen hat die Kraft des Blutes in den Weltreligionen? Wo findet sich eine Analogisierung von Blut mit dem Leben bzw. mit der Seele? Warum darf im Judentum nicht wie in anderen Kulturen Blut verzehrt werden? Was beinhaltet die Transsubstantiation von Brot und Wein in einer christlichen Messe? Finden sich im religiösen Kontext Tendenzen eines Wandels im Umgang mit Blut?
- Welche Aspekte des rituellen Gebrauchs der Kraft des Blutes finden wir in der ästhetischen Performanz, etwa in der Bildenden Kunst oder in der Musik?
- Welche semantischen und/oder ästhetischen Analogien gibt es zwischen Blut und Geld? Inwiefern wird die Kraft des Blutes mit der Macht des Geldes parallelisiert?
- Welche vorherrschenden Konnotationen besitzt Blut in der modernen Wissensgesellschaft? Welche Entwicklungstendenzen lassen sich hier ausmachen?
Wissenschaftliche Zielsetzung
Das Symposium dient dem inter- und transdisziplinären Austausch unter Experten. Das besondere Augenmerk soll nicht auf den fachinternen Diskurs, sondern auf die Vernetzung von Natur- und Geisteswissenschaften, von historisch und gegenwartsbezogen arbeitenden Wissenschaften gerichtet werden. Grenzen bisheriger Untersuchungen, in denen kaum eine Integration natur- und geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse berücksichtigt wird, sollen überwunden werden. Die gegenseitige Information über fachspezifische Aspekte der Forschung zum Thema soll während der Tagung zum Dialog zwischen Wissenschaftlern führen, deren Disziplinen sich nach traditioneller Auffassung gegenüberstehen.
Die übliche systematische Aufspaltung von Geistes- und Naturwissenschaften soll im Tagungskonzept durchbrochen werden. Es gilt, in der interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Thema „Die Kraft des Blutes“ Natur- und Geisteswissenschaftler gezielt zusammenzuführen, die Schnittstellen beider Bereiche herauszustellen und zu vertiefen: Wissenschaftler unterschiedlicher Orientierung bilden nach Abschluss des Symposiums ein Forschungsnetzwerk, in dem Natur- und Geisteswissenschaftler den interdisziplinären Diskurs fortsetzen. Die Ergebnisse des Symposiums sollen in einem Tagungsband publiziert werden.
Tagung und Proceedingsband sollen ihrerseits als Kristallisationskern für ein transdisziplinäres Forschungsvorhaben zum Themenbereich „Blut als Spender und Überträger von Kraft“ dienen.
Zeitpunkt und Ort
03.-04.07.2009 (zweitägiges Symposium)
Skillslab des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät, RWTH Aachen
Tagungsleitung
Dr. phil. Christine Knust (Federführung)
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß
Wir freuen uns über Vortragsvorschläge. Interessenten sollten ein Abstract von ca. 1-2 Seiten und einen kurzen Lebenslauf bis zum 30.04.09 schicken an cknust(at)ukaachen.de oder dgross(at)ukaachen.de.
Kontakt
Dr. phil. Christine Knust, M.A. (cknust(at)ukaachen.de)
Website
URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11091