Gesellschaft für Historische Migrationsforschung (GHM)
Zeit: 14.-16.05.2010
Ort: Salzburg
Deadline: 30.09.2009
Im Rahmen der Tagung der Gesellschaft für Historische Migrationsforschung (GHM) zum Thema „Ernährung und Migration“, die 2010 in Salzburg stattfinden wird, sollen zwei neuere Forschungsrichtungen, die sich im letzten Jahrzehnt dynamisch entwickelt haben, zusammengeführt werden: die historische Migrationsforschung und die Geschichte der Ernährung. In jeder der beiden Forschungsrichtungen ist der Gegenstand der anderen jeweils in den Blick geraten: Dabei geht es um einen weiten Begriff von „Ernährung“ als Bestandteil der Alltagskultur, der die Lebensmittel, Zubereitung und Küche, Esskultur und die symbolische Bedeutung von Produkten bis hin zu den Absatzformen umschließt.
Wir können davon ausgehen, dass Migrationsprozesse immer auch mit Ernährung zu tun haben: Ernährungsgewohnheiten gelten als zählebig, und seit W.H. Riehl ist der „Geschmackskonservatismus“ betont worden. Neuere Forschungen betonen den Zusammenhang von Identität und Ernährung („We are what we eat!“). Er erweist sich am deutlichsten, wenn Menschen ihre gewohnten sozialen und ökonomischen Zusammenhänge wechseln (müssen). Migranten sind aus ihren Herkunftsräumen bestimmte Speisen und „eating habits“ gewohnt: Auf der Reise liessen sich diese überbrücken: Katalanische und provenzalische Reisende nahmen ein Fläschchen Olivenöl mit auf die Reise und wappneten sich damit gegen die Butter. Bei der Ankunft konnten Nahrungsgewohnheiten allerdings nur beibehalten werden, wenn bereits eine „Kolonie“ mit eigenen Netzwerken zur Versorgung bestand. Den 1938 für das KdF-Werk in Wolfsburg angeworbenen oberitalienischen Bauarbeitern musste man zunächst die Zubereitung der Speisen durch italienisches Personal sowie Sonderzuteilungen an Chianti und Teigwaren zusichern. Verpflegung war jedoch in der Folge das Hauptmonitum und führte 1942 sogar zu einer Arbeitsniederlegung. Auch das ungewohnte Schwarzbrot war Ausdruck eines anderen „Ernährungsregimes“.
Akkulturationsprozesse haben immer mit Ernährung zu tun. Aus dem Anliegen heraus, Gastarbeitern vertraute Nahrungsmittel und Speisen anzubieten, ist die gesamte Gastronomie in Bewegung geraten. Das ethnic business ist jedoch nicht (nur) ein reterritorialisierender Faktor und hier greift auch der „Geschmackskonservatismus“ zu kurz, denn die Migranten haben auch an der Internationalisierung der Ernährung großen Anteil.
Maren Möring sieht das „ethnic business“ daher als „zentrales Element globaler Ökonomien“ und warnt, diese Prozesse einfach nur als Homogenisierung oder Heterogenisierung zu interpretieren. Hier agieren Anbieter und Konsumenten, und hier kann „Heimat“ oder „Nation“ aber auch „Fremde“, „Urlaub“ oder „die Welt“ konsumiert werden. Migration verändert nicht nur die Ernährung(ssituation) der Migranten: Migration verändert auch das Angebot auf den Märkten – und verändert auch diese Märkte (wie z.B. den Wiener Naschmarkt) selbst.
Ziel der Tagung ist es daher auch, die Innovationen und den Wandel der Ernährung durch Migration zum Thema zu machen. Die Tagung soll die Möglichkeit bieten, diesen Zusammenhang systematisch anhand verschiedener Beispiele auszuloten und nach dem Beitrag bzw. der Bedeutung der Migration für die Veränderung bzw. den Wandel der Ernährung zu fragen. Dabei soll historisch und räumlich ein weiter Bogen geschlagen werden: Er kann ausgehen von Akteuren und Gruppen wie den Kreuzrittern, den Seefahrern, den Pilgern und Studenten oder den Refugianten (wie den Hugenotten, die in Berlin wegen des Verzehrs von Fröschen als „Paddenschklucker“ bezeichnet wurden). Gerade die „semantischen Übergriffe“ – italienische Gastarbeiter wurden in der Schweiz als Makkaronifresser (Tanner) und in Deutschland als Spaghettifresser bezeichnet, die Vertriebenen als „Pilzsammler“, da in Norddeutschland der Konsum von Pilzen weitgehend unbekannt war (Tolksdorf) – haben sich als Ansatzpunkte zur Analyse von Fremdwahrnehmungen und -zuschreibungen bewährt. In der Selbstwahrnehmung waren „Heimatspeisen“ wie Königsberger Fleck (aus Pansen und Dickdarm) oder Neunauge verfügbare Identifikationsangebote. Gerade Nahrungsmittel – und besonders solche des demonstrativen Konsums – eigneten sich als soziale Symbole in der Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Neuere Forschungen haben zahlreiche Ergebnisse zum Wandel der Ernährung durch Migration erbracht: Im Rahmen der Tagung soll bes. der Prozess des Transfers als kultureller Transfer und Wissenstransfer in den Blick genommen werden. Andererseits soll es nicht nur um den Wandel der Ernährung durch Migration gehen: Aus der Sicht der Migrationsforschung stellt sich auch die Frage, ob und wie sich Migration durch die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit von Nahrunsmitteln verändert hat.
Zu dieser GHM-Konferenz werden Vorschläge für Referate von etwa 30 Minuten Länge erbeten. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Bitte senden Sie Ihren Referatsvorschlag mit einer Kurzbeschreibung des Themas im Umfang von etwa einer Seite bis zum 30. September 2009 an den Vorsitzenden der GHM, Prof. Dr. Dittmar Dahlmann.
Kontakt
Prof. Dr. Dittmar Dahlmann
Abt.f. Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn, Lennéstr. 1, 53113 Bonn
+49-228-73-7393
d.dahlmann#uni-bonn.de
URL: http://www.osteuropa.uni-bonn.de
URL zur Zitation dieses Beitrages. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11372