Vortrag: Helene Belndorfer: Konsum und Werbung vor und in der Krise: Weihnachtsshopping 1928 und 1934 in Österreich, 10.12.2015, Wien

Reihe Interaktionen (Institut für Zeitgeschichte): Programm WS 2015/16 (Programm als PDF)
Zeit: Donnerstag, 10.12.2015, 12.00 Uhr s.t.
Ort: Seminarraum 1 des Instituts für Zeitgeschichte, Universitätscampus, 1090 Wien, Spitalgasse 2-4, Hof 1
Die Zeit vor Weihnachten war schon in der österreichischen Zwischenkriegszeit, die keineswegs einen monolithisch grauen Block der Misere bildete, eine Hochzeit der Werbung und des Konsums. Der Vortrag beginnt mit dem Jahr 1928, als Radios und Sprechapparate die Renner des Weihnachtsgeschäfts waren und Zeitungskommentatoren Zukunftsoptimismus verbreiteten, und endet mit 1934, als Diktatur und Kaufkraftverfall nicht nur das Ende zahlreicher Konsumträume markierten. Als Shopping Guides zwischen Wien und Bregenz agieren Annoncen in Printmedien, die als Zeitsymptome Konsumhierarchien, Gender-Bilder, Krisenzeichen, Versäulungs- und Exklusionstendenzen transportieren, und Erinnerungen von Zeitgenoss/­inn/en an weihnachtlichen Konsum bzw. Nicht-Konsum. Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Politik- und Rechtsgeschichte, Soziologie, Kunst- und Literaturgeschichte sowie ein Mix von methodischen Zugängen eröffnen Einblicke in die strukturellen Hintergründe der Ent­wicklung.
Wie in jedem Lebensbereich der Zwischenkriegszeit gibt es beim Referatsthema zahlreiche Bezüge zum Exil und zur Shoah, wichtige Protagonist/inn/en, u.a. Werbeprofis, Werbetreibende und Sozialwissenschafter/innen, wurden vertrieben oder ermordet.
Joseph Binder war einer der Pioniere der kommerziellen Kunst. Seine Entwürfe für Julius Meinl, Bensdorp, Semperit oder die Österreichische Tabakregie zierten die Plakatwände Wiens. Nach Gastdozenturen in Amerika fand er 1935 die Stimmung in Europa „deprimierend“ und kehrte in die USA zurück. Sein Atelier in Wien hielt er vorerst als „Oversea Branch“ aufrecht. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Auch Hans Neumann, der 1888 in eine jüdische Wiener Familie geboren wurde, prägte mit seiner bekannten Agentur Wiener Stadtbild und Werbelandschaft der 1920er und 1930er Jahre. Im Dezember 1938 floh Hans Neumann nach London und weiter nach Sidney, wo er als Hans Newman wieder ein Atelier für Graphik-Design gründete. 1957 kehrte er als australischer Staatsbürger nach Wien zurück. Beiden kommerziellen Künstlern widmete das MAK eine Ausstellung. Benedikt Kautsky publizierte seine Studie über die Haushaltsstatistik der Wiener Arbeiterkammer 1925 – 1934 im Jahr 1937 bereits im Exil in Leiden. Auch Marie Jahoda musste Österreich bereits in der Zwischenkriegszeit verlassen. Käthe Leichter, die 1932 für die AK Wien die Studie „‚So leben wir …’: 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“ geschrieben hatte, gelang die Flucht nicht. Sie wurde im Zuge der „Aktion 14f13“ im März 1942 vom KZ Ravensbrück an die NS-Euthanasieanstalt Bernburg überstellt und ermordet.
Weiterer Vortrag der Reihe mit geschlechter-historischem Fokus:

  • 14. 1. 2016: Sonja Matter (Bern/Wien): Schutzbedürftig und handlungsfähig: Adoleszente Mädchen und die Bestimmungen zum sexuellen Schutzalter (1950-1980)