CfP: Alter Wein in neuen Schläuchen? Vom Antifeminismus zum Anti-Genderismus (Publikation: ZS Ariadne); DL: 27.06.2016

Ariadne Cover 66 via WebsiteAriadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte; Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung (Web)

Einreichfrist: 27. Juni 2016, CfP als PDF

Es geht ein Gespenst um in Europa – das Gespenst des sogenannten Anti-Genderismus. In Zeitungsartikeln, Internetforen und Blogs postulieren seine Vertreter/innen die Unwissenschaftlichkeit der Genderforschung, bezeichnen Gleichstellungsgesetze, Quotenregelung und Gender-Mainstreaming als ‚Gender-Ideologie‘, die zur Staatsräson aufgestiegen sei.[1] Der Ausgangspunkt dieses Anti-Genderismus kann in die Mitte der 1990er Jahre gelegt werden, als im Zuge der Welt Frauenkonferenz in Peking (1995) der Begriff „Gender“ erstmals in internationale Beschlüsse aufgenommen wurde und prompt massive Proteste auslöste. Die Angst vor der Zerstörung der ’natürlichen Heterosexualität‘, die Abschaffung der Geschlechter und damit die Auflösung des bürgerlichen Familienmodells als Basis des Staates werden von den Anti-Genderist/innen befürchtet.[2]

Angriffe von Antifeminist/innen gegen die Gleichstellungsbestrebungen von Frauen sind dabei so alt wie die Frauenbewegung selbst. Herrad Schenk unterscheidet zwischen Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus: „Frauenfeindlichkeit hat es lang vor dem Auftreten einer Frauenbewegung immer wieder gegeben; sie bildet einen festen Bestandteil abendländischer Kultur. Unter ‚Antifeminismus‘ soll hier nur Frauenfeindlichkeit verstanden werden, die direkt als Reaktion auf die Frauenbewegung als Widerstand gegen deren tatsächliche oder vermeintliche Ziele anzusehen ist.“[3]

Ein Höhepunkt der Angriffe ist um 1900 zu konstatieren, als im Mai 1903 der österreichische Philosoph Otto Weininger „Geschlecht und Charakter“ veröffentlichte, eine Schrift, in dem antifeministische und antisemitische Argumentationen genutzt wurden, um die aktuelle Gesellschaft zu beschreiben. Es war diese Art von Text, gegen die sich Hedwig Dohm als Schriftstellerin und Publizistin mit ihrem 1902 erschienenen Sammelband „Die Antifeministen – eine Verteidigung“ wandte. Dohm prägte den Begriff „Antifeminismus“ und dekonstruierte die diesem Gedankengebäude zugrundeliegenden gesellschaftlichen Strukturen und politischen Interessen. Sie arbeitete heraus, dass ein Vorwurf der Antifeminist(inn)en sich vor allem gegen ein zentrales Ziel der Frauenbewegung richtete: die Erwerbstätigkeit und die damit mögliche selbständige Existenzsicherung von Frauen. Die Antifeminist(inn)en der damaligen Zeit sahen durch die Berufstätigkeit der Ehefrau das Glück und Gelingen der (heterosexuellen) Ehe gefährdet.[4]

Die heutigen Anti-GenderistInnen richten sich gegen Geschlechterforschung, politische Gleichstellungsmaßnahmen und progressive Sexualpädagogik.

Befürchteten damals die Antifeminist/innen die Auflösung der bürgerlichen Ehe, befürchten heutige Anti-Genderist/innen neben der Umerziehung der Menschheit zu geschlechtslosen Wesen und der Abschaffung der als natürlich verstandenen zwei Geschlechter ebenfalls wieder die Abschaffung der Familie.[5] Antifeminist/innen und Anti-Genderist/innen reagierten und reagieren damit sowohl auf gesellschaftlichen Wandel im Allgemeinen als auch auf feministische Bewegungen und Veränderungen im Geschlechterverhältnis im Besonderen.

Diese Parallelität der Ängste früherer und heutiger Antifeminist/innen / Anti-Genderist/innen wirft verschiedene Fragen auf: Was unterscheidet Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus vom Anti-Genderismus? Oder handelt es sich beim Anti-Genderismus nur um einen neuen Namen für alte Argumente und Positionen?

Die Zeitschrift Ariadne möchte in ihrem 71. Heft der Frage nach der Kontinuität und dem Wandel bzw. nach Konjunkturen von antifeministischen Diskursen und Praktiken im 20. Jhd. nachgehen und überprüfen, ob es sich beim Anti-Genderismus tatsächlich um ein neues Phänomen oder ‚lediglich‘ um einen neuen Begriff handelt? Wie ist mit dem Befund von Maihofer und Schutzbach umzugehen, die für die Schweiz festgestellt haben, dass die „Diskreditierung und Diffamierung des Gender-Konzeptes (…) einher (geht) mit einer zum Teil expliziten Anerkennung des – zugleich für museal erklärten – Feminismus“[6]? Sollte der Anti-Genderismus als letztes Aufbäumen derjenigen begriffen werden, die die heteronormative Hegemonie in Frage gestellt sehen – und damit als Indiz für den Erfolg feministischer Bewegungen?

Folgende Fragen bzw. Themen könnten im Zentrum eines Artikels stehen:

  • Frauenbewegung und Antifeminismus/Anti-Genderismus, zwei Seiten einer Medaille?
  • Orte des Antifeminismus, Orte des Anti-Genderismus. Gibt es Zusammenhänge zwischen der Institutionalisierung der Frauenbewegung und der Transformation des Antifeminismus in einen Anti-Genderismus?
  • Formen und Akteur_innen von Antifeminismus und Anti-Genderismus im 20. und beginnenden 21. Jhd.
  • Antifeministische/Anti-Genderistische Schlüsseltexte und ihre (historische) Einordnung.
  • Dekonstruktion antifeministischer/anti-genderistischer Diskurse.
  • Naturalisierung und Essentialisierungsstrategien in antifeministischen und anti-genderistischen Texten.
  • Verknüpfung von Antifeminismus und Homophobie in antifeministischen/anti-genderistischen Diskursen im historischen Vergleich.
  • Welche Rolle spielt die heterosexuell gedachte Familie in den Diskursen?
  • Welches Verständnis von Staat und Gesellschaft finden sich in Texten von antifeministischen/anti-genderistischen Autor/innen?
  • Die Wissenschaft begreift heute die antifeministischen Texte um 1900 als Abwehrreaktion „als Versuch, verschwimmende Grenzen neu und klar zu ziehen, um einer Normalität, die zur Diskussion steht, wieder einen Wahrheitscharakter zu verleihen.“[7] Was bedeutet dies für die Analyse einer Gesellschaft zu Beginn des 21. Jhds? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem in den letzten Jahren verstärkt auftretende Anti-Genderismus und den aktuellen politischen Erschütterungen?
  • Welche historischen Parallelen können gezogen werden? Wann trieben Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus besonders wilde Blüten?

Die Zeitschrift »Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte« wird von der »Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung« herausgegeben und erscheint zwei Mal im Jahr. Im Zentrum der Hefte stehen als Ausgangspunkt immer die (historische) Frauenbewegung des 19. und 20. Jhds. und die mit dieser Bewegung verbundenen Ideen, Theorien und Praxen. Die Herausgeberinnen freuen uns auf entsprechende Artikelvorschläge. Die einzelnen Beiträge haben i. d. R. einen Umfang von ca. 38.000 Zeichen, d. h. ca. 10-12 Manuskriptseiten. In Ausnahmefällen (zum Beispiel für einen einleitenden Artikel) kann von dieser Maßgabe abgesehen werden. Redaktionsschluss ist der 1. Dezember 2016, das Heft erscheint im Mai 2017. Wenn Sie Interesse an der Abfassung eines Artikels haben, reichen Sie uns bitte bis zum 27. Juni 2016 ein kurzes Exposé (1-1½ Seiten) ein. Da sich die genaue inhaltliche Gestaltung des Heftes nach den eingehenden Exposés richtet, reichen Sie bitte auch Aufsatzideen ein, die am Rande des Themas zu liegen scheinen.

Sie können sich auch gerne direkt mit den Herausgeberinnen in Verbindung setzen, sie stehen Ihnen für weitere Informationen jederzeit zur Verfügung.

  • Ariadne-Redaktionsteam: Imke Schmincke/LMU München; Kerstin Wolff und Helke Dreier/Archiv der deutschen Frauenbewegung.

Bitte richten Sie Ihre Anfragen sowie das Exposé bis zum 27. Juni 2016 an: wolff@addf-kassel.de oder dreier@addf-kassel.de

[1] Sabine Hark/Paula-Irene Villa: „Eine Frage an und für unsere Zeit“. Verstörende Gender Studies und symptomatische Missverständnisse, in: Dies. (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld 2015, S. 15-39, hier S. 23.
[2] Andrea Maihofer/Franziska Schutzbach: Vom Antifeminismus zum ‚Anti-Genderismus‘. Eine zeitdiagnostische Betrachtung am Beispiel Schweiz, in: Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld 2015, S. 201-218, hier S. 204.
[3] Schenk, Herrad: Die feministische Herausforderung. 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland, München 1981, S. 163.
[4] Hedwig Dohm: Der Antifeminist. Ein Buch der Verteidigung, Berlin 1902, Kapitel 1.
[5] Regina Frey: Von Mythen und Vermischungen – Zur Konstruktion des „Genderismus“, in: Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse, hg. v. Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin 2014, 2. akt. Aufl., S. 28-39, hier S. 34ff.
[6] Sabine Hark/Paula-Irene Villa: „Anti-Genderismus” – Warum dieses Buch?, in: Sabine Hark, Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld 2015, S. 7-13, hier S. 9.
[7] Andrea Kottow: Der kranke Mann. Zu den Dichotomien Krankheit/Gesundheit und Weiblichkeit/Männlichkeit in Texten um 1900, Diss. Berlin 2004 (http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000001426).