Ab Oktober 1916 führte die 13-jährige Anna H. (geb. 1903) ein stark patriotisch gefärbtes Tagebuch, in dem sie vor allem die aktuellen Kriegsgeschehnisse und auch deren Auswirkungen auf ihre Umgebung schilderte, die sie (vermutlich) aus der Presse übernommen hat. Im Dezember 1916 beschäftigte sie sich entsprechend mit der „Friedensnote“ der „Mittelmächte“. Insgesamt schilderte die Schülerin aus Graz einen starken Friedens-Wunsch in ihrem ganzen Umfeld. Für die bevorstehenden Weihnachten formulierte sie kriegsbedingte Einschränkungen. In welchem Ausmaß diese ihre gutbürgerlich situierte Familie direkt betroffen haben, bleibt unklar. Beschrieben wurden auch verschiedene Benefizveranstaltungen für Soldaten.
14. Dezember 6 h ab.
Noch ist keine Antwort auf die Friedensnote [Friedensangebot vom 12. Dezember 1916] des Vierrerbundes [„Mittelmächte“ Deutschland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien] gekommen. England u. Italien sind vorläufig, wie sie t zu den Völkern sagen, nicht für den Frieden bereit. Rußl. und Frankreich sind augenblicklich geneigt, aber England trachtet, sie gegen d. Frieden zu stimmen. Vorläufig kann man nichts sagen, aber der Papst [Benedikt XV] erklärt sich bereit, einzuwirken. Die Schriften, welche d. Vierbund den feindlichen Staaten schickte, hat überall tiefen Eindruck gemacht. Alles würdigt unseren jungen Monarchen [Kaiser Karl I.] u. seine Verbündeten. (…)
Jetzt kommt die schöne Weihnachtszeit! Wie traurig wir[d] es jetzt bei so vielen, ach, so vielen Familien sein! Alles ist jetzt so teuer, nichts bekommt man mehr zu kaufen. Das dritte Weihnachtsfest im Kriegsjahre. Ach! Wird heuer der Friedensfürst, unser Erlöser, Gott und Heiland den Frieden bringen? (auch) Ein Ende machen dem schrecklichen Weltkriege? Ach, möge es doch sein! Wir müssen hoffen, auf Gott vertraun und beten! Ja, beten müssen wir, beten und Gott bestürmen mit Bitten um den Frieden. Unser Erlöser wird ja genannt, der „Friedensfürst“. Jetzt in der Adventzeit müssen wir zur Rorate [Messe zu Ehren Marias] gehen und „wo die Not am größten, ist Gott am nächsten“ sagt das Schriftwort. Also, hoffen wir! Gott wird uns helfen!
16. Dezember.
Die Welt ist in Spannung, was wird auf der Friedensnote geantwortet werden? Noch lassen die Feinde nichts von ihren Vorhaben verlautbaren. Es herrschen verschiedene Auffaßungen u. Ansichten. Manche behaupten Rußland u. Frankreich werden Frieden machen. Auch die Zeitungen sind verschiedener Ansichten. Heute liest man Rußland u. Italien haben /haben/ geäußert, d. Friedensnoten anzunehmen. Was wird man aber morgen lesen? Die Völker sind jetzt in so großer Spannung. Das sehe ich bei uns. Vater schaut jetzt jeden Tag gleich in der Frühe d. Zeitungen an um zu sehen, ob nichts vom Frieden steht, alles wartet gespannt auf die Zeitungen. Ach käme der Friede doch bald.
18. Dezemb. ¼ 9 h ab.
Ach heute und noch einige Tage und das Christfest ist hier. Wir feierten sonst in d. Marienschule [private Klosterschule, die die Schreiberin besuchte] immer Weihnachten, voriges Jahr und auch heuer feiern wir jedoch Weihnachten für die Soldaten. Überall wird für d. Soldaten gesammelt. In unserer Schule wurde auch Geld eingesammelt. Unsere Klasse (7.) brachte allein 20 K [Kronen] zusammen, die ganze Schule 103 K.
25. Dezember 6 h ab.
Gestern war das heilige Weihnachtsfest! hl. Abend! Gestern haben wir Weihnachten gefeiert. Karl [älterer Bruder der Schreiberin] und Ich putzten den Christbaum auf. Er ist so groß der 3/4 des Abstandes zwisch. Bod. u. Zimmerdecke. Ich bekam ein Buch und Früchtebrot, v. der lieb. Schwester Agnes [Schulleiterin] einen Schürzenstoff und ein Heferl [Tasse].
31. Dezember halb 1 h mitt.
Die Feiertage sind vorüber und heute zählen wir den letzen Tag in 1916. Jahre. In diesem vergangenen Jahr haben wir viele denkwürdige Tage. Die größten sind wohl der Todestag (des) unseres guten Landesvater[s] [Kaiser Franz Joseph I.], welcher zugleich der Tag der Thronbesteigung unseres jetzigen Landesvater[s] [Kaiser Karl] folgt nämlich d. 21. November 1916 , und 22. November 1916. Einen Monat (nach) vorher starb Ministerpräsident [Karl Graf Stürgkh wurde bei einem Attentat ermordet] am 21. Okt. Der schönste war der 30. Dezemb. An diesem Tage war die Königskrönung Kaiser Karls I und Kaiserin Zita in Ungarn. Eine prächtiger Feierlichkeit. (…) Andere denkwürdige Tage sind noch jene, an denen große Siege zu verzeichnen sind, wie der 6. August, wo d. Hptst. Rumäniens, Bukarest, fiel. Ein sehr großer Tag ist auch 9. 12. Dezemb, an welchen die Friedensnote herausgegeben wurde. Noch harrt die Welt in Spannung, ob der Frieden angenommen wird. (…) Das Notengeld wird jetzt alles eingezogen, dafür bekommen wir jetzt Eisengeld.
Sammlung Frauennachlässe NL 53
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zum Tagebuch von Anna H. siehe auch: Petra Putz, „Die heldenmutigen Truppen kämpfen siegreich an allen Fronten …“ Die Wirkung der Propaganda im Ersten Weltkrieg am Beispiel des Mädchentagebuchs von Anna H. (1916/17), Wien, Diplomarbeit, 2008.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 91, Tagebuch von Anna H., Datum, SFN NL 53, unter: URL