DFG-Graduiertenkolleg „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert“, Georg-August-Universität Göttingen
Zeit: 13.-15.03.2008
Ort: Göttingen
Deadline: 15.10.2007
Der Begriff der Generationerzählung bündelt eine ganze Reihe von Fragen zum Konzept der Generation. Erzählungen werden dabei nicht nur als kommunikative Vermittlung realer oder fiktiver Vorgänge verstanden, sondern vielmehr als kulturelles Ordnungsmuster, das für die Strukturierung von Erfahrung und Wissen grundlegend ist. Erzählungen verknüpfen Geschehnisse und AkteurInnen und können damit die Zeitlichkeit von Generationen und ihre Bindung an Handlungsträger erfassen. In Generationenerzählungen werden die Rollen von Vorher und Nachher, Gut und Böse verteilt; der jeweilige Erzähler beansprucht damit die Deutungshoheit über das generationell geordnete Geschehen. In Generationenerzählungen wird diskursive Macht verteilt und legitimiert; sie enthalten eine Reihe von immer wiederkehrenden Topoi und sind zwischen Fakt und Fiktion angesiedelt. Generation als Erzählung zu betrachten, eröffnet damit eine Reihe von (inter)disziplinären Fragestellungen: Welche Narrative gibt es und wie lassen sie sich analysieren? Wie arbeitet man hegemoniale Erzählungen heraus und geht mit dem Konstruktcharakter der Generationen um? Und wie werden Generationenerzählungen zu kulturell verfügbarem Wissen?
Die Fragestellung lässt sich in folgenden Teilbereichen untersuchen:
Inszenierung
Erzählungen über und von Generationen unterliegen einer ‚Dramaturgie’, die vom Erzähler bzw. den Handelnden der Generationen beeinflusst wird. Dabei wird Generationalität (Reulecke) in der Erzählung mal mehr, mal weniger stark inszeniert. Auf welche Weise halten Erzählungen eine Generation zusammen und wie werden Generationen durch Erzählungen konstruiert oder sichtbar gemacht? Woran erkennt man eine Generationenerzählung – gibt es redundante oder sogar unverzichtbare Merkmale? Wie grenzen sich Generationen voneinander ab: Welche diskursiven Strategien lassen sich feststellen? Wer erzählt von Generationen; wer bezeichnet sich als Angehöriger einer Generation – und mit welchen Folgen?
Erfahrung
Generationelle Selbst- und Fremdzuschreibungen beruhen häufig auf geteilten Erfahrungen von Krieg, Gewalt, Vertreibung oder Revolution und werden in der erinnernden Erzählung darüber teils mit neuen Deutungen besetzt, teils fortgeschrieben. Generationenerzählungen können nicht nur negative, sondern auch durch positive Erfahrungen geprägt sein, manche Generationen bleiben aber ‚still‘, bzw. ‚unsichtbar‘. Durch intergenerationelle Tradierung vermitteln Generationenerzählungen zwischen Erfahrung und Gedächtnis.
Was für Erfahrungen werden in Generationserzählungen weitergegeben und wie werden sie verarbeitet? Welche Beispiele gibt es für die Einarbeitung von Erfahrungen in generationelle Erzählungen? Wie werden kollektive und individuelle Erfahrungen durch Generationenerzählungen beeinflusst? Wie fügen sich Generationenerzählungen in kollektive Erinnerungen ein?
Institutionalisierung / Politisierung
Generationelle Erzähl- und Deutungsmuster finden sich auch in politischen Zusammenhängen, beispielsweise bei der Beschreibung wohlfahrtsstaatlicher Verteilungsdebatten als „Kampf der Generationen“ oder der Charakterisierung eines Regierungsstils als „Politik der ’68er“. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern Generationenerzählungen überhaupt sozialstaatliche Konzepte und Auseinandersetzungen prägen können oder ob sich umgekehrt auch die politischen und sozialen Akteure auch die Generationenerzählungen beeinflussen. Offen ist auch noch der Zusammenhang von Generation und politischem Wandel: Was geschieht mit Generationenerzählungen, wenn sich politische Systeme plötzlich und radikal verändern?
Genealogie / Familie
Innerhalb von Familien entstehen Erzählungen und Deutungen von Ereignissen, die sich oft genealogisch immer weiter von Eltern auf Kinder fortgeschrieben, manchmal auch eine Generation überspringen und von Großeltern auf Kinder tradiert werden. Die Ereignisse werden in den familialen Rahmen eingebunden, d.h., oft verlieren sie den gesamtgesellschaftlichen oder politischen Bezug ganz oder zumindest teilweise. Dies zeigt sich sowohl in mündlichen Erzählungen wie beispielsweise lebensgeschichtlichen Interviews (z.B. Biographieforschung oder Oral History), als auch in literarischen Konstruktionen (z.B. in Familienroman und ‚Erinnerungsliteratur‘). Die familiale Generationenerzählung spielt auch im Zusammenhang mit Migration eine Rolle, da hier kulturelle oder nationale Herkunft und neue Heimat miteinander verbunden werden. Diese Familienerzählungen können nicht nur durch kontinuierliche Fortschreibung gekennzeichnet sein, sondern auch durch Diskontinuitäten und Brüche.
Hier ließe sich beispielsweise fragen, welche Erzählungen über mehrere Familiengenerationen hinweg fortgeschrieben werden und wie sich diese verändern (z.B. die Bearbeitung ’sozialen Erbes‘). Wie wird innerhalb und außerhalb der Familie damit umgegangen? Sind diese Narrative eher Erfolgsgeschichten, oder wird auch Scheitern in Erzählungen und dem familialen Gedächtnis tradiert?
Bevorzugt werden Beiträge berücksichtigt, die einen engen Bezug zu theoretischen und methodischen Überlegungen erkennen lassen, um das Konzept der Generationenerzählung genauer zu konturieren.
Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist angestrebt. Reisekosten und Unterbringung können für die Vortragenden übernommen werden.
Die Vorträge in deutscher oder englischer Sprache sollen maximal 20 Minuten dauern und im Anschluss diskutiert werden. Ein Exposé von maximal 1.800 Zeichen und einen kurzen Lebenslauf, ggf. mit Publikationsliste, bitten wir bis zum 15.10.2007 per Email (als .rtf, .doc, oder .pdf-Datei) zu senden an: generation@mail.uni-goettingen.de. Das Programm der Tagung wird dann bis Mitte November bekanntgegeben.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Eva-Maria Silies esilies[at]gwdg.de
Markus Neuschäfer mneusch[at]gwdg.de
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