CfP: „Narrating Gender“. Der Wandel von Geschlechterdifferenzen im Spiegel von erzählenden Texten, 30.09.-03.10.2007, Dresden

Deutscher Historikertag 2008; Epochenübergreifende Sektion
Zeit: 30.09.-03.10.2007
Ort: Dresden
Einreichfrist: 15.09.2007
Geschlecht wird gesellschaftlich konstruiert und der historische Wandel dieser Modelle lässt sich vergleichend in Erzähltraditionen nachvollziehen, in denen Erfahrungen und Vorstellungen von weiblichem und männlichem Leben Gestalt gewinnen, Existenzentwürfe entfaltet, alternative Geschlechterordnungen imaginiert werden.
Der Begriff „Narration“ begegnet tagtäglich im Netz und ist zur Schlüsselkategorie verschiedener Forschungsansätze in der Geschichtswissenschaft geworden, z.B. in der Erforschung von Erinnerungskulturen und Gedächtnisprozessen oder bei der Erschliessung biographischer Zeugnisse. Desto bemerkenswerter, dass er sich gerade in der Historischen Geschlechterforschung in Deutschland noch nicht recht durchgesetzt hat.
Anders in den Nachbarfächern: Der Germanist Walter Erhart etwa hat vorgeschlagen, „Männlichkeit als eine in erster Linie narrative Struktur zu rekonstruieren“; eine ähnliche These vertrat etwa auch die Soziologin Sylka Scholz. Geschlecht, so Erhart, definiere sich im narrativen Akt des Schreibens in Auseinandersetzung mit gesellschaftlich realisierten Männlichkeiten und Weiblichkeiten. Während die Literaturwissenschaften ihr Augenmerk vor allem auf die Erzählstrategien, Genretraditionen und narrativen Verfahren richten, sieht Erhart ein Defizit bei der Erforschung der primär historischen Fragen nach den Wissenskulturen von Medizin, Recht, Theologie usw., die das gesellschaftliche Wissen über Geschlecht auf ihre Weise (aber auch narrativ) strukturieren. Er fordert daher eine „neue Kooperation zwischen der Geschichtswissenschaft und den Kultur- und Literaturwissenschaften“ (ebd.). Auch die AnglistIn Ansgar und Vera Nünning haben in verschiedenen Publikationen die „notorische Ahistorizität der Narratologie“ beklagt und eine Reihe von Forschungsfragen fornuliert, deren Beantwortung innerhalb einer interdisziplinären Kooperation von historischer Seite erwartet wird.
Anders auch in der amerikanischen und französischen Genderforschung: Dort gibt es Traditionen innerhalb der Geschichtswissenschaften, die sich schon seit Jahrzehnten mit erzählenden Quellen beschäftigt haben (Gerhild Scholz-Williams, Natalie Zemon Davies). Gerade auch in der Mediaevistik gibt es zahlreiche Arbeiten, die an Exempeln, Mythen, Sagen, Märchen aufzeigen, wie Weiblichkeit und Männlichkeit in sie ein- und aus ihnen herausgeschrieben wird (Jacques Le Goff, Jean-Claude Schmitt). Kürzlich hat Patrick Geary am Beispiel von Ursprungsmythen die „völlig neuartigen Erkenntnisse“ der historischen Genderforschung für die Kontextualisierung von Überlieferungen hervorgehoben.
Grund genug, einmal an Beispielen aus verschiedenen Epochen den besonderen Möglichkeiten, Aussageweisen und Grenzen einer historischen Erforschung von Erzähltraditionen über Genderbilder nachzugehen, die bisherigen Arbeiten neu zu durchdenken, kritisch zu überprüfen sowie auf die Forderungen anderer Fächer zu reagieren Während die LiteraturwissenschaftlerInnen auf die Allgegenwart des narrativen Charakters von Quellen pochen, kann die Geschichtswissenschaft etwa auch auf die Historizität der Gattungen und die besonderen Chancen des komparativen Vorgehens hinweisen. Daher sollten Transformationen von Genderkonzepten im Mittelpunkt stehen, die sich im Vergleich herausarbeiten lassen.
Mögliche Fragen sind: Wie werden in erzählenden Texten aus verschiedenen Epochen geschlechtliche Differenzen produziert und reproduziert? Wie verhält sich dabei der Faktor „Gender“ zu anderen Differenzkategorien wie Klasse, Schicht, Religion, Kultur, Alter, Generation usw.? In welchem Zusammenhang stehen diese Imaginationen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu zentralen gesellschaftlichen Diskursen über Geschlecht? Reagieren sie auf zentrale Ereignisse und Prozesse? Welche Transformationen sind bei dieser Produktion von Genderbildern auszumachen? Welche Quellengattungen repräsentieren auf besondere Weise Angebote für eine solche Arbeit an Geschlechterbildern im Wandel? Welche Deutungen und Sinnstrukturen prägen den Akt der Rezeption solcher Quellen?
Über Vorschläge für Referate würde ich mich freuen. Bitte ein Abstract auf 1-2 Seiten bis zum 15. September 07 an: Prof. Dr. Bea Lundt: lundt[at]uni-flensburg.de.
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Vgl. etwa: Bea Lundt: „Narrating Gender“. Das erzählte Geschlecht im späteren Mittelalter am Beispiel von ‚Genovefa’ und ‚Griselda’. In: Wolfgang Hasberg, Manfred Seidenfuss (Hg.): Zwischen Politik und Kultur. Neuried 2003, S. 71-107.
Walter Erhart: Das zweite Geschlecht: „Männlichkeit“, interdisziplinär. Ein Forschungsbericht. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. 30. Band (2005) 2. Heft, S. 156-232, hier: S. 207.
Sylka Scholz : Männlichkeit erzählen: lebensgeschichtliche Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer Münster 2004.
Vera Nünning und Ansgar Nünning (Hg.): Erzähltextanalyse und Gender Studies. Stuttgart/Weimar 2004, S. 17 sowie dies.: Making Gendered Selves: Analysekategorien und Forschungsperspektiven einer gender-orientierten Erzähltheorie und Erzähltextanalyse. In: Sigrid Nieberle und Elisabeth Strowick (Hg.): Narration und Geschlecht. Köln u.a. 2006, S. 37.
Patrick J. Geary: Am Anfang waren die Frauen. Ursprungsmythen von den Amazonen bis zur Jungfrau Maria. München 2006, S. 109.

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