CfP für „Femina Politica“, Heft 2/2011: Bildungsreformen und (Re)Produktion von Geschlechterverhältnissen; DL: 15.01.2011

FEMINA POLITICA. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft 

Abgabe Abstracts:  bis 15. Januar 2011, 1- bis 2-seitig, per Mail (s.u.)

Kontakt: Der Schwerpunkt wird inhaltlich von Agnes Blome, Dr. habil. Antonia Kupfer und Dr. Anneli Rüling betreut: agnesblome@yahoo.de, akupfer@wcfia.harvard.edu, rueling@gmx.de

Abgabetermin der fertigen Beiträge: 31. März 2011
Umfang: 25.000 bis max. 30.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen)
Die Herausgeberinnen wählen auf der Basis der eingereichten Vorschläge Beiträge aus.

Spätestens seit den PISA-Studien wird von allen Seiten die Bedeutung von Bildung für die Individuen, die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Kultur hervorgehoben. Bildung ist einerseits der Schlüssel für Emanzipation und gleiche Lebenschancen für Frauen und Männer, andererseits jedoch auch ein Mechanismus gesellschaftlicher Segregation. Seit den 1970er Jahren nimmt der Anteil höher qualifizierter und erwerbstätiger Frauen zu. Zugleich partizipieren Frauen und Männer unterschiedlich am Bildungssystem und es wird in unterschiedlicher Weise auf die Arbeitskraft von Frauen und Männern zugegriffen.

Die Bildungspolitik und die öffentliche Diskussion der letzen Jahre lassen zwei Trends erkennen:
Zum einen zielen die Reformen auf eine Ökonomisierung der Bildung. So werden Bildungsstandards im Elementarbereich eingeführt und der Kita-Ausbau vorangetrieben, um das künftige Humankapital zu sichern sowie eine höhere Müttererwerbstätigkeit zu ermöglichen. In vielen Bundesländern wird die Hauptschule abgeschafft und nur noch mittlere und höhere Sekundarschulabschlüsse (die vielerorts um ein Jahr gekürzt wurden) angeboten. In der beruflichen Ausbildung werden Module eingeführt und zahlreiche Ausbildungsgänge auf zwei Jahre verkürzt. Die Hochschulreformen zeichnen sich vor allem durch die Einführung von BA-Studiengängen aus, die Studierende in kurzer Zeit auf den Berufseinstieg vorbereiten sollen. In der Bildungsfinanzierung soll sich mit einer neuen Stipendienkultur mehr Leistungsorientierung durchsetzen. Welche Auswirkungen diese Reformen auf das Geschlechterverhältnis haben werden, ist derzeit offen.

Zum anderen wird in der Öffentlichkeit häufig eine Feminisierung des Bildungssystems und der Pädagogik beklagt. Auch eine höhere Quote männlicher Schulabbrecher und der größere Schulerfolg bei Mädchen werden zunehmend als „Chancenungleichheit“ problematisiert. Allerdings sind die Geschlechterverhältnisse differenzierter: Der Vorschul- und Primarbereich wird durch weitgehende Geschlechteregalität auf der SchülerInnenseite und starke Überrepräsentativität von Frauen auf der ErzieherInnen- und LehrerInnenseite gekennzeichnet. In der Sekundarstufe II lassen sich starke geschlechtsspezifische Unterschiede in den Schularten und nach beruflichen Ausbildungsbereichen feststellen. Obwohl im Hochschulbereich auf Studierendenseite insgesamt die Frauen überwiegen, ist die Fächerverteilung alles andere als egalitär: Frauen studieren überwiegend geistes- und sozialwissenschaftliche, Männer natur- und technikwissenschaftliche Fächer. Die höheren Positionen des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen sind – auch im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich – nach wie vor überwiegend von Männern besetzt.

Ziel des geplanten Heftes ist es, in grundsätzlicher Weise dem Verhältnis zwischen Bildungssystem und der (Re-)Produktion von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen nachzuspüren. Dabei interessiert uns insbesondere die Rolle von Politik und politischen Akteuren bei der Gestaltung von Bildungssystemen. Wir möchten herausfinden, wie Bildungsreformen das Verhältnis von Bildung, Arbeit und Geschlecht verändern, inwiefern die Finanzierung von Bildung mit bestehenden Geschlechterverhältnissen zusammen hängt und Reformen der Finanzierung wie beispielsweise die zunehmende Privatisierung von Bildungskosten sich auf Geschlechterverhältnisse auswirken. Darüber hinaus geht es um Verschiebungen im Verhältnis von Privat und Öffentlich durch den Ausbau frühkindlicher Betreuung oder Ganztagsschulen. Wird dieses Verhältnis bestehen bleiben bei fortdauernder geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung der Reproduktionsarbeit und gleichzeitiger Zunahme von Frauenerwerbsarbeit?

Für eine feministische Analyse des aktuellen Bildungssystems und der Bildungspolitik sind wir an theoriegeleiteten Beiträgen interessiert, die Fragen nach dem Einfluss der Geschlechterverhältnisse auf Bildungsinstitutionen bearbeiten, und an Beiträgen, die untersuchen, wo und wie das Bildungssystem zur (Re-)Produktion aktueller Geschlechterverhältnisse beiträgt.

Zur konkreten Bildungspolitik:

– Wie lassen sich die Neuerungen in der Bildungspolitik erklären? Welchen Einfluss haben (veränderte) Geschlechterverhältnisse in Politik und Gesellschaft auf Reorganisationen im Bildungssystem?

– Welche Akteure, Akteurskonstellationen, Ideen, Diskurse, Institutionen verhindern oder befördern eine geschlechtersensible oder -neutrale Bildungspolitik?

Zu Wirkungen von Bildung auf Geschlechterverhältnisse:

– Welche Strukturen und Mechanismen im Bildungssystem fördern/benachteiligen welche Gruppen von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern und tragen somit zu differenzierteren Geschlechterverhältnissen bei? D.h. welche spezifischen Intersektionalitäten zwischen Geschlecht, Klasse und ethnischer Herkunft lassen sich im Bildungssystem ausmachen?

– Welche Auswirkungen haben die Zunahme von Frauenerwerbstätigkeit und die Veränderungen von Familienstrukturen auf die Bildungspolitik und das Bildungssystem? Welche Auswirkungen hat der Ausbau frühkindlicher Betreuung auf die Arbeitsmarktbeteiligung und Chancengleichheit von Frauen?

– Welche theoretischen Konzepte sowie neuen Denkansätze können den Zusammenhang von Bildungspolitik und Geschlecht im Wandel erfassen?

 Zur Geschlechtsspezifik einzelner Bildungssektoren:

– Welche Auswirkungen haben aktuelle schulpolitische Reformen (z.B. Einführung von Bildungsstandards) auf die Geschlechterverhältnisse?

– Welche Bedeutung haben Veränderungen im dualen Ausbildungssystem, etwa im Verhältnis dualer und schulischer beruflicher Ausbildung (wie der Rückgang dualer und die Zunahme schulischer Ausbildung insbesondere in neuen Dienstleistungsberufen) für Geschlechterverhältnisse?

– Führt eine stärkere Formalisierung und Ökonomisierung von Bildung (z.B. stärkere Ausrichtung an Employability auch in Geistes- und Sozialwissenschaften) zu mehr Chancengleichheit im Erwerbsleben?

– Gibt es eine Korrespondenz zwischen zunehmender rechtlicher Gleichstellung der Geschlechter und der Vermittlung geschlechtsegalitärer oder –unabhängiger Lehrinhalte (Curricula) an Schulen und Hochschulen?

– Gibt es erfolgreiche Beispiele für Gleichstellung an Universitäten? Welche Auswirkungen haben die neuen Organisationsstrukturen auf das wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Personal an Universitäten?

Nicht zuletzt freuen wir uns über Beiträge, die das Thema aus ländervergleichender Perspektive beleuchten. Was können wir von anderen Bildungssystemen und deren Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse lernen, gibt es ähnliche oder divergierende Entwicklungen im Umgang mit Bildung und wie lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten erklären?

Schreibe einen Kommentar