Vortrag Anton Tantner Informationsvermittlung in der Frühen Neuzeit: Théophraste Renaudot und das „Bureau d’Adresse“, 10.12.2007, Wien

Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte
Ort: Oesterreichische Akademie der Wissenschaften, Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien
Zeit: Mo, 10.12.2007, 15 Uhr (Jour Fixe Kulturwissenschaften)
Abstract: Immer verworrener, unübersichtlicher und chaotischer werden die Städte in der frühen Neuzeit; es bedarf einer Reihe besonderer Einrichtungen, um sie für ihre BewohnerInnen und für fremde BesucherInnen benutzbar zu machen. Zu den wichtigsten dieser Einrichtungen zählen die seit dem 17. Jahrhundert gegründeten Adressbüros, die als Orte des Wissens betrachtet werden können und die der Informationsvermittlung dienen.
Das berühmteste dieser Adressbüros ist das von Théophraste Renaudot (1586–1653) in Paris eingerichtete Bureau d’adresse, das von circa 1630 an existiert und 1643 den Großteil seiner Aktivitäten einstellen muss. Seine Tätigkeiten sind zahlreich und vielfältig. So dient es zum einen dazu, Menschen, die Informationen suchen, diese zu beschaffen: Wer Wegadressen oder eine Reisebegleitung sucht, wer Namen und Wohnsitze wichtiger Personen wie Theologen, Ärzte und
Advokaten in Erfahrung bringen will, kann sich an das Büro wenden und auf eine Antwort hoffen. Es dient auch als Verkaufsagentur: Wer etwas zu verkaufen hat, kann seine Ware gegen eine Vermittlungsgebühr von drei Sous in ein Register eintragen lassen; wer eine Ware sucht, kann ebenfalls gegen Gebühr in diese Register Einblick nehmen. Zum Verkauf stehen nicht nur bewegliche Güter wie Antiken, Bücher oder Maschinen, sondern auch Tiere – einmal wird sogar
ein Dromedar angeboten – und Immobilien wie Landgüter oder ganze Häuser. Auch zur Arbeitsvermittlung wird das Büro eingesetzt: Offene Stellen werden in ein eigenes Register eingetragen, genauso wie Lehrer, Dienstboten und Gesellen auf Arbeitssuche ihre Anfragen an das Büro richten können. Diese Funktion des Bureau stellt seinen ursprünglichen Hauptzweck dar, nämlich der Armutsbekämpfung zu dienen. Zunächst geschieht die Einschreibung für die Arbeitsvermittlung auf freiwilliger Basis; 1639 wird jedoch eine Verordnung erlassen, gemäß der alle in Paris ankommenden Fremden sich in Renaudots Einrichtung registrieren lassen müssen.
In nuce soll damit das Büro die Funktion eines polizeilichen Meldeamts übernehmen. Die Registereinträge werden in einem unregelmäßig erscheinenden Annoncenblatt – dem Feuille du Bureau d’Adresse bzw. der Semaine du Bureau d’Adresse – publiziert. Darüber hinaus dient das Büro der medizinischen Betreuung – Renaudot ist von seiner Ausbildung her Arzt –, was insbesondere für Arme gedacht ist: Nach einer ersten Konsultation werden die Kranken an Ärzte, Chirurgen
und Apotheker weitergewiesen, die sie gratis behandeln. Weiters fungiert das Büro als Pfandhaus: Wer kurzfristig Geld braucht, kann eines seiner Besitztümer im Büro abgeben und belehnen lassen. Und schließlich übernimmt das Büro noch die Aufgaben einer wissenschaftlichen Akademie: Von 1633 an werden jeden Montag Nachmittag in den Räumlichkeiten des Büros am Quai Marché Neuf Vorträge abgehalten, die eine Reihe von unterschiedlichen Themen behandeln, zum Beispiel Medizin, physikalische Phänomene oder die Ökonomie. Auch die Frage Was wurde zuerst gemacht, das Ei oder die Henne? wird dort behandelt werden.
Am Schluss meiner Ausführungen, die in Zusammenhang mit einem von FWF finanzierten Forschungsprojekt stehen, möchte ich einen Ausblick auf Adressbüros in der Habsburgermonarchie geben. Dort existieren sie unter der Bezeichnung Frag- und Kundschaftsämter und werden ab Anfang des 18. Jahrhunderts eingerichtet. So gibt es ein Fragamt in Wien ab 1707, in Prag ab 1747, Brünn ab 1751, Lemberg ab 1782 und Innsbruck ab 1798. In der Regel geben diese mit einem Privileg versehenen Einrichtungen Intelligenzblätter heraus, so genannte Kundschaftsblätter.
Anton Tantner, Institut für Geschichte, Universität Wien
Homepage: http://tantner.net
anton.tantner[at]univie.ac.at

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