CfP: Medialisierungsformen des (Auto-)Biographischen und ihre Kommunikationskontexte (12/2011, Hamburg); DL: 15.07.2011

Sektion Biographieforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie: Carsten Heinze (Hamburg), Jana Ballenthien (Hamburg), Hanna Haag (Hamburg), Monika Müller (Schwerin) , Martina Schiebel (Bremen) und Elisabeth Tuider (Hildesheim)

Zeit: 02.-04. Dezember 2011
Ort: Hamburg, Universität Hamburg, Fachbereich Sozialökonomie
Einreichfrist: 15. Juli 2011

(Auto-)Biographische Selbst- und Fremdreflexionen bedienen sich der unterschiedlichsten medialen Vermittlungsformen. Die Spannbreite reicht von klassischen Verschriftlichungen in Tagebüchern, Briefen, Autobiographien, Erinnerungen, Romanen und Poesie über visuelle künstlerische Darstellungen in Bild, Fotografie und Film bis hin zu theatralen Bühnenaufführungen oder digitalen Inszenierungen in den neuen Medien. Hieraus ergeben sich zentrale Fragen nach der medialen Modulation und Transformation lebensgeschichtlicher Erfahrungszusammenhänge. Erst durch den Einsatz von Schrift-, Bild- und Filmmedien sowie der Nutzung entsprechender Kommunikationsräume erhalten (auto-)biographische Selbst- und Fremddarstellungen ihre spezifische Gestalt. Die differenzierten (auto-)biographischen Ausdrucksformen sind eine zentrale Form der gesellschaftli-chen Wissens- und Informationsvermittlung und des interaktiven Erfahrungsaustauschs und übernehmen so wichtige kommunikative Funktionen. Diesen beobachtbaren Praktiken der öffentlichen Kommunikation, in denen
(Auto-)Biographisches zum Ausdruck kommt, widmet sich die geplante, interdisziplinär ausgerichtete Tagung „Medialisierungsformen des (Auto-)Biographischen und ihre Kommunikationskontexte“ und zwar sowohl in theoretischer, methodologischer als auch in empirischer Hinsicht.

Die praktische Ausdifferenzierung medialisierter (auto-)biographischer Kommunikations-formen stellen wissenschaftliche Disziplinen vor neue Herausforderungen. Im Zeichen der turn-Terminologien (linguistic turn, performative turn, medial turn, iconic/visual/pictorial turn, biographical turn) ergeben sich für die Sozial- und Geisteswissenschaften neue Forschungsperspektiven und Themenfelder. Die kulturalistische Selbstbefragung sämtlicher Disziplinen dauert seit einiger Zeit an und hat zu einer Entessentialisierung sozialer und kultureller Ontologien zugunsten performativer und medialer Betrachtungen geführt. Der Begriff des cultural turn motiviert zahlreiche soziologische Diskurse über Kulturpraktiken als Gestaltungs- und Triebfeder des Sozialen. Als Folge gerät die Konstruktion des
Sozialen auch in (auto-)biographietheoretischer Perspektive neu in den Blick: Auf die Darstellung des Selbst bezogen, beschreibt etwa der Begriff „Automedialität“ die performativen Wechselwirkungen zwischen Selbstthematisierungen und Medienrahmungen und lenkt so die Aufmerksamkeit auf die epistemologischen Differenzen zwischen Schrift, Bild, Film und neuen (digitalen) Medien. Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Auditivität, Visualität oder Audiovisualität als unterscheidbare
Medialisierungsformen, in denen (Auto-)Biographisches durch Verwendung verschiedener Gestaltungstechniken hervorgebracht wird, geraten in den Fokus des biographiewissenschaftlichen Interesses. Zusätzlich erscheint in einem erweiterten Medienverständnis der Körper nicht nur als Objekt der medialen Darstellung, sondern wird selbst zum subjektiven Träger und performativen Vermittler (auto-)biographischer Inszenierungen, so dass als medialisierte Kommunikationsform des (Auto-)Biographischen zusätzlich die Bühnendramaturgie (Theater), das  Musiktheater (Tanz/Oper) oder aber auch popmusikalische Performances an empirischer Relevanz gewinnen.

Damit einhergehend finden die historisch und kulturell variierenden Rezeptionskontexte (auto-)biographischer Kommunikationen verstärkt Eingang in die wissenschaftliche Analyse: Der/die LeserIn, ZuhörerIn oder ZuschauerIn wird als AdressatIn mit eigenen Erfahrungen und (auto-)biographischem Vorwissen ebenso problematisiert, wie die äußeren institutionellen Bedingungen der automedialen Vermittlung. (Auto-)Biographische Selbst- und Fremddarstellungen sind eingebettet in einen komplexen  Wahrnehmungskontext, das „Dispositiv“, das sich zeitlich und situativ immer wieder neu herstellt. Ob im Privaten, in wissenschaftlichen oder öffentlichen Institutionen, in Erinnerungskulturen, in Museen oder auf Bühnen, überall entscheiden die kommunikativen Rahmenbedingungen über die Selbstinszenierung und deren Rezeption sowie die Einbeziehung des Leser, Hörers oder Zuschauers.

Im Zuge der genannten turn-Terminologien wird auch in der Biographieforschung mit dieser Begrifflichkeit argumentiert und ein „biographical turn“ reklamiert. Ein derartiger Ansatz fragt etwa nach Art und Weise und dem Zusammenspiel sozialer und medialer Praktiken der lebensgeschichtlichen Kommunikation. Während die Biographieforschung bislang vor allem das narrative Interview zur wissenschaftlichen Generierung von Lebensgeschichten als Erhebungsinstrument einsetzt, sind andere (auto-)biographische Kommunikationsformate zwar immer wieder Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen geworden, eine systematische Betrachtung sowie die theoretische wie methodologische Differenzierung verschiedener (auto-)biographischer Medien ist jedoch bis heute noch sehr rar. Auch die qualitativen Methodologien zur Auswertung und Interpretation (auto-)biographischer Kommunikationsformate stehen angesichts der beschriebenen Medialisierungen vor neuen Herausforderungen, müssen sich entweder noch bewähren oder bedürfen einer Reformulierung.

Die geplante Jahrestagung der Sektion Biographieforschung trägt diesen interdisziplinären Entwicklungen Rechnung. Dabei wird einerseits nach dem theoretischen und methodologischen Verhältnis von Medialität und (auto-)biographischer Kommunikation gefragt. Anderseits stehen die empirischen Forschungsfelder (auto-)biographischer Selbstdarstellungen und Kommunikationsformen im Fokus. Diese beiden Schwerpunktsetzungen lassen sich in folgenden Themenkomplexen/Panels bündeln, zu denen Beiträge willkommen sind:

(Auto-)Biographisches in medialen Präsentationen
– mündliche ,schriftliche, visuelle und audiovisuelle Perspektive (Gespräche, Interak-tionen, erzählte Lebensgeschichten, verschriftlichte Autobiographien, Tagebücher, Briefe, Fotos, Filme, Musik, Theater, Tanz, Talk-Shows und andere Fernseh- bzw. digitale Formate etc.)
– Wechselwirkungen und Intermedialitäten unterschiedlicher (auto-)biographischer Kommunikationsformate
– Praktiken medialisierter (auto-)biographischer Kommunikation

Institutionen (auto-)biographischer Kommunikationen und ihre Medien
– Wissenschaft, Öffentlichkeit, Kulturbereich, Medienkultur, Privatheit

Rezeptions- und Kommunikationskontexte (auto-)biographischer Medienformate
– Situativ, historisch, soziokulturell

Erhebungs- und Auswertungsmethoden verschiedener (auto-)biographischer Kommunikations- und Medienformate
– Forschungsdesigns für Schrift, Bild, Film, Bühne und neue (digitale) Medien

Neben wissenschaftlichen Vorträgen können auch andere performative Formen gewählt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, noch nicht abgeschlossene Arbeiten in Form kleiner Arbeitsgruppen/Workshops/Forschungswerkstätten zu diskutieren. Bei Interesse an dieser material-orientierten Arbeitsform bitten wir, dies
extra zu vermerken.

Kontakt: Carsten Heinze
Universität Hamburg, Fachbereich Sozialökonomie, Fachgebiet Soziologie
Welckerstraße 8, 20354 Hamburg
Tel: 0172 7640537
carsten.heinze@wiso.uni-hamburg.de

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