Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (OeZG); Johanna Gehmacher und Dietlind Hüchtker, Univ. Wien (Web)
Einreichfrist: 15.12.2022
Der Begriff Feminismus tritt im späten 20. Jhd. als vielverwendete Chiffre sowohl für ein politisches Programm als auch für eine Wissensformation in Erscheinung. Das hat seine Wurzeln nicht zuletzt in der dynamischen Verbindung zwischen den in den 1970er- und 1980er-Jahren aufkommenden Frauenbewegungen und der Etablierung von Frauen- und Geschlechterforschung als wissenschaftlicher Disziplin. Auf die ebenso produktive wie konfliktträchtige Beziehung haben bereits eine Reihe von Forscher*innen in diesem Feld hingewiesen. Die enge Verflechtung von politischen und epistemischen Praktiken ist allerdings historisch nicht neu, sondern lässt sich bereits für jene Frauenbewegungen unterschiedlicher politischer Orientierung zeigen, die im späten 19. Jhd. sowohl in vielen Industriestaaten als auch in einer Reihe von Ländern des globalen Südens aufblühten und in der Folge vielerorts beträchtliche öffentliche Wahrnehmung erlangten. Deren Protagonistinnen betrachteten die Generierung und Zirkulation differenzierter Wissensbestände (u.a. über die Lebenssituationen von Frauen unterschiedlicher Klassen, über geschlechterdifferenzierendes Recht, aber auch über Bewegungen in verschiedenen Ländern) als bedeutendes Mittel ihres politischen Kampfes.
Die für den Feminismus der 1970er- und 1980er-Jahre beschriebene Spannung zwischen politischen Zielsetzungen einer Bewegung und akademischen Geltungsansprüchen einer Wissensformation lässt sich daher, auch wenn Wissen aufgrund des Ausschlusses von Frauen aus der Academia mehrheitlich außerhalb von Universitäten generiert wurde, in ähnlicher Weise für Frauenbewegungen um 1900 nachweisen. Die Konstituierung und Lancierung unterschiedlicher sozialer und politischer Fragen ist damit in Frauenbewegungen und Feminismen seit dem späten 19. Jhd. von (konflikthaften) Dynamiken zwischen politischen Forderungen und Wissenspraktiken getragen. Auch die Selbsthistorisierung wird in diesem Zusammenhang nicht selten zu einem strategischen Mittel in der Auseinandersetzung um Positionen, Strategien und Geltungsansprüche.
Die Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik wird seit langem am Beispiel unterschiedlicher Bewegungen geforscht. Und doch werden in den Analysen bislang häufig diachrone, auf die jeweiligen Nationalgeschichten ausgerichtete Narrative der Befreiung und Professionalisierung entworfen, in denen die politischen Strukturen und Ereignisse vor allem als Rahmenerzählungen fungieren. Damit besteht nicht nur die Gefahr des methodischen Nationalismus, es überwiegen auf diese Weise auch teleologische, immanente Erzählungen, während synchrone und transnationale Zusammenhänge fehlen. Verflechtungen zwischen politischen Strategien und Strategien der Wissensgenerierung werden zwar immer wieder benannt, selten aber zum zentralen Untersuchungsgegenstand gemacht. Worin genau die Zusammenhänge zwischen Geschichte, Wissen und Wissenschaft bestanden und bestehen, inwiefern politische sich in wissenschaftlichen und wissenschaftliche in politischen Konjunkturen spiegeln, welche epistemischen Zusammenhänge in welchen Räumen produziert wurden, lohnt daher ein neuerliches, genaues Hinsehen.
In dem geplanten OeZG-Band zur Verflechtung von politischen Strategien und epistemischen Zusammenhängen sollen bisherige Forschungsansätze zu Wissensformationen und Politik am Beispiel von Frauenbewegungen und Feminismen im 19. und 20. Jhd. zusammengeführt werden. Anhand von exemplarischen Studien, die auch transnationale, imperiale und koloniale Kontexte berücksichtigen, sollen unterschiedliche Praktiken der Generierung von Wissen in ihren synchronen und grenzüberschreitenden Bezügen untersucht werden. Der Blick auf Frauenbewegungen wird es dabei ermöglichen, synchrone und diachrone Perspektiven zu verbinden und den Zusammenhang zwischen politischen Kontexten, Wissensgenerierung, Wissenszirkulation und der Einbindung von Wissensbeständen in politische Diskurse zu analysieren. Dies erlaubt, um hier nur ein Beispiel zu nennen, Beziehungen zwischen der Konstituierung von empirischen Sozialstudien, der Etablierung der Soziologie und transnationalem frauenpolitischem Engagement in neuer Weise zum Thema zu machen.
Zwei Ziele verbinden sich mit diesem Herangehen: Erstens sollen die Innensichten diachroner Bewegungsgeschichten synchron ausdifferenziert und in transnationale Vernetzungen eingeordnet werden, woraus sich zweitens eine stärkere Einbindung der Frauenbewegungsgeschichten in wissens- und politikgeschichtliche Kontexte ergeben soll. Folgende Fragen und Themen könnten dabei die Beiträge leiten:
- Synchrone Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Politik: Wie waren frauenpolitisches Engagement, die Konstituierung zeitgenössischen Wissens und politische Ereignisse aufeinander bezogen?
- Intertextuelle Zusammenhänge zwischen den Geschichtsschreibungen über Frauenbewegungen: Wie wurde Wissen generiert, welche wissenschaftlichen und publizistischen Episteme wurden genutzt?
- Geschichte als Ressource für Bewegungen – Historisierungspraktiken
- Wissensgenerierende und politische Praxis in ihren Interdependenzen
Umfang der Beiträge: 55.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Fußnoten) (Web)
Geplanter Erscheinungstermin: 2/2025
Aussagekräftige Vorschläge für Beiträge im Umfang von 1-2 Seiten bis 15. Dezember 2022 mit dem Hinweis „cfp: proposal“ erbeten an: admin.thks@univie.ac.at