Vortrag im Rahmen der Reihe DIASPORA. ERKUNDUNGEN EINES LEBENSMODELLS von und mit Isolde Charim | Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog
Zeit: Donnerstag | 24. Jänner 2008 | 19.00 Uhr
Ort: Bruno Kreisky Forum | Armbrustergasse 15 | 1190 Wien
Saskia Sassen; US-amerikanische Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie ist zur Zeit Helen and Robert Lynd Professor für Soziologie an der Columbia University, NY. Sassen prägte den Begriff Global City. Von 1980 bis 1990 zählte sie zu den profiliertesten Autorinnen zum Thema Soziologie der Stadtentwicklungen. Sie forschte zu Prozessen der Globalisierung und den Wanderungsbewegungen von Arbeit und Kapital sowie zum Einfluss moderner Kommunikationsmittel. Sassen beobachtete, wie Nationalstaaten ihren Einfluss auf Entwicklungen verlieren. Besonders beschäftigte sie sich mit transnationalen Wanderungsbewegungen.
Der Nationalstaat ist die komplexeste Institution, die die Menschheit je hervorgebracht hat, wie Saskia Sassen in ihrer neuen historisch-theoretischen Studie darlegt. Er ist das (Zwischen-)Ergebnis einer Jahrhunderte dauernden Entwicklung von Feudalismus, Kirche und Reich. Doch seine größte Transformation steht gerade erst am Anfang – wir bezeichnen sie als Globalisierung. Sassens Hauptthese lautet: Globalisierung findet in einem weit größeren Maße, als gewöhnlich anerkannt wird, innerhalb des Nationalen statt. Gerade das Nationale ist eine der Schlüsselinstanzen, die eine Entwicklung des globalen Rahmens erst möglich machen. Zugleich besteht ein Großteil der Globalisierung aus enorm vielfältigen Mikroprozessen, die zu entnationalisieren beginnen, was national konstruiert worden war: Politik, Kapital, städtische Räume, zeitliche Strukturen und vieles mehr. Ihr neues Buch Das Paradox des Nationalen erscheint im Frühling 2008 bei Suhrkamp.
Der Vortrag findet in englischer Sprache statt.
u.A.w.g.: Tel.: 3188260/20 | Fax: 318 82 60/10 | e-mail: einladung.kreiskyforum#kreisky.org
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Isolde Charim (geboren 1959 in Wien), Philosophin und freie Publizistin.
DIASPORA. Erkundungen eines Lebensmodells
Entgegen dem Diktum, wonach die ökonomischen Verhältnisse einen ihnen entsprechenden Menschentypus hervorbringen würden, sehen wir uns heute mit einer tiefgreifenden Ungleichzeitigkeit konfrontiert. Die Dynamik der kapitalistischen Ökonomie erzeugt eine zusehends grenzenlose Mobilität. Während die Standorte dem Sog der Flexibilisierung folgen können, sind die darin befangenen Menschen nach wie vor an fixe, „geerdete“ Identitätskonzepte gebunden. Unsere nationalstaatlichen Kulturen verfügen über keine mentalen Reserven für das Leben moderner Nomaden.
In dieser Situation wollen wir eine Art geistige Ölbohrung vornehmen – auf der Suche nach solch einer Ressource.
Ausgangspunkt dafür ist das Konzept der DIASPORA. Nicht als Synonym für Leid und Vertreibung soll die jahrhundertealte Zerstreuung unterschiedlichster Völker in ihrem positiven Aspekt als reicher Erfahrungsschatz betrachtet werden. Die Reihe versucht, diese Quelle anhand unterschiedlicher Zugänge zu erschließen. Die Differenzen mögen nationaler, kultureller oder wirtschaftlicher Natur sein, gemeinsam ist allen Diasporagruppen die Entwicklung einer besonderen Form von nichtterritorialer, überstaatlicher Netzwerkidentität avant la lettre, die weder vollständige Integration, noch Parallelgesellschaft bedeutet.