„Gender Issues“: Vorträge, Filmvorführung und Diskussionen, SoSe 2008, Wien

Veranstaltungsreihe der Studienvertretung Politikwissenschaft

  • Andrea Trumann: Der Versuch einer materialistischen Kritik des Geschlechterverhältnisses (10.03.2008)
  • Judith Götz: „If I can’t abort, it’s not my revolution“ (03.04.2008)
  • Jutta Willutzki: Die Antiquiertheit des Begriffes „Patriarchat“ (17.04.2008)
  • Fathiyeh Naghibzadeh: „Kopftuch als System – Machen Haare verrückt?“ (15.05.2008)
  • Gabriela Walterspiel: Das „zweite Geschlecht“ und das „Dritte Reich“ (19.06.2008)


Der Versuch einer materialistischen Kritik des Geschlechterverhältniss‘. Vortrag und Diskussion mit Andrea Trumann
10.03.2008, 20 Uhr, NIG, Universitätsstr. 7, Hörsaal III
Einem linken Vorurteil nach existieren einmal das Geschlechterverhältnis und dann die Ausbeutung durch das Kapital. Es verwundert kaum, dass sowohl die Kritik an dem einen, wie an dem anderen erkannten Übel nicht gelingen mag, da durch solche vom Verstand vollzogenen Trennungen der Blick auf die sich zu einer Totalität verdichtete Gesellschaft bereits verstellt wird, bevor man überhaupt angefangen hat, über einen bestimmten Gegenstand zu reflektieren. Dagegen versucht Andrea Trumann, die aktuell vorhandene fundamentale Spaltung der Gattung in einen weiblich-sinnlichen und einen männlich-disziplinierten Teil aus den Erfordernissen der Kapitalverwertung selbst zu erklären: Um sich als arbeitsfähiges Subjekt zu setzen, müssen die Vereinzelten jeweils ihr Begehren abspalten und dieses auf die Frau projizieren, welche den Schmuck stellvertretend tragen muss. Unter kritischem Rückgriff auf Butler und Foucault, sowie Marx und Freud soll dieser Verdrängungsmechanismus am Beispiel der verleugneten Homosexualität analysiert werden.
Andrea Trumann legte 2002 in ihrem Buch „Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus“ unter anderem dar, warum bei aller berechtigten Kritik die Frauenbewegung oft nicht einmal in der Theorie Ort von Emanzipation gewesen ist, sondern vielmehr zur Modernisierung der postfaschistischen Gesellschaft beitrug und den Frauen endgültig den Status bürgerlicher Subjekte verlieh.

„If I can’t abort, it’s not my revolution“. Vortrag und Diskussion mit Judith Götz
03.04.2008, 20 Uhr, Wipplingerstr. 23 (Im Treppenabgang Richtung Tiefer Graben), 1010 Wien
Laut WHO stirbt alle sieben Minuten eine Frau auf Grund der Komplikationen bei illegal durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen. In eutigen (post?-)feministischen Debatten gilt Abtreibung als „old school“ Thema und ist in Zeiten, wo auch der weibliche Körper konstruiert sein soll, aus dem
Blickfeld verschwunden. Aktuelle Diskussionen zeigen jedoch, dass das Selbstbestimmungsrecht der Frau alles andere als „Schnee von gestern“ ist. Während in Deutschland ein Arzt einer Abtreibungsklinik nach einem höchstrichterlichen Urteil als „Tötungsspezialist für ungeborene Kinder“ bezeichnet werden darf und die Regierungspartei Liga Polnischer Familien in Polen eine Verfassungsänderung fordert, um Schwangerschaftsabbrüche ohne Ausnahme zu kriminalisieren, haben auch die SandinistInnen in Nicaragua ihren Wahlerfolg der Einführung eines Totalverbots von Abtreibung zu verdanken. Lateinamerikas Gesetze zur Abtreibung gehören zu den härtesten weltweit – in einigen Ländern ist der Schwangerschaftsabbruch nicht einmal im Falle der Lebensgefährdung der Mutter zugelassen. An den Beispielen Nicaragua, Chile, Venezuela und Uruguay zeigt sich, dass auch die vermeintlich „linken“ StaatschefInnen, die „großen Revolutionäre“ Lateinamerikas, daran nichts ändern wollen. Sie werfen ihre vermeintliche Fortschrittlichkeit meist dann über Bord, wenn es um WählerInnenstimmenfang oder „sekundäre Belange“ wie Frauenrechte geht.
Judith Götz arbeitet bei der Studienvertretung Politikwissenschaft mit und veröffentlichte mehrere Texte über die Frauen- und Lesbenbewegung in Lateinamerika sowie lateinamerikanische Abtreibungsgesetze.

Die Antiquiertheit des Begriffes „Patriarchat“. Vortrag und Diskussion mit Jutta Willutzki
17.04.2008, 20 Uhr, Wipplingerstr. 23 (Im Treppenabgang Richtung Tiefer Graben), 1010 Wien
Der Zusammenhang zwischen „Patriarchat“ und Kapitalismus wird in der Frauenbewegung allen Einwänden zum Trotz meist darin gesehen, dass letzterer als Herrschaftsverhältnis Frauenunterdrückung notwendig impliziere. Als Allgemeinbegriff taugt der Begriff des Patriarchats aber nur dann, wenn patriarchale Herrschaft das dominierende, übergeordnete Moment einer Gesellschaft darstellt. Mit der Durchsetzung des Kapitalismus wurden jedoch alle Individuen – und somit auch Frauen – als bürgerliche Subjekte und damit als Gleiche gesetzt, obwohl außer Frage steht, dass Frauen dies de facto bis heute in vielen Bereichen nicht sind. Dennoch war der Begriff patriarchaler Herrschaft (als Allgemeinbegriff) theoretisch schon in dem Moment antiquiert, als das Kapital die Familie zu einer Sphäre der abstrakten Privatheit umwandelte: in dieser Form ist sie bereits Produkt von Kapitalismus. Seine Dynamik macht aber auch davor nicht halt. Das Erlangen von Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt setzt nämlich für spätkapitalistische Ökonomien die totale Mobilisierung aller Arbeitskraft-Ressourcen voraus, so dass Frauen aus allen sozialen Schichten verstärkt in sämtliche Bereiche des Arbeitsprozesses eingegliedert wurden. Wenn jedoch ein Überangebot an menschlicher Arbeitskraft herrscht, werden Frauen – im Zweifelsfall vor den Männern – wieder freigesetzt.
Jutta Willutzki lebt in Hamburg und veröffentlicht in der Zeitschrift Bahamas und in: Ilse Bindseil/Monika Noll (Hg.): Frauen 4. Mit Foucault und Fantasie, Freiburg 1995

„Kopftuch als System – Machen Haare verrückt?“ Filmvorführung und Diskussion mit Fathiyeh Naghibzadeh
15.05.2008, 20 Uhr, Wipplingerstr. 23 (Im Treppenabgang Richtung Tiefer Graben), 1010 Wien
Am Beispiel von vier im Exil lebenden Frauen schildert der Film „Kopftuch als System“ das Schicksal vieler Iranerinnen, die seit der islamischen Revolution 1979 einer strikten Geschlechterapartheid, Diskriminierung und der Durchsetzung der Zwangsverschleierung unterworfen sind. Das Kopftuch stellt dabei nicht nur Symbol und Mittel islamisch-patriarchaler Herrschaft dar, sondern dient zugleich als Machtinstrument der Kontrolle und der Bekämpfung von Widerstand gegen die islamische Herrschaft im Iran. Dargestellt nicht als bloße Opfer, sondern als Individuen mit ihren je eigenen Formen des Widerstandes gegen die Unterdrückung im Iran, porträtiert der Film vier Frauen, die im Exil in Deutschland leben und dabei ihre eigenen Lebenswege und -erfahrungen wider den Kulturrelativismus zum Ausdruck bringen.
Fathiyeh Naghibzadeh ging vor über 20 Jahren aus dem Iran ins Exil nach Deutschland, sie studiert Gender Studies und Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin und arbeitet als Erzieherin.

Das „zweite Geschlecht“ und das „Dritte Reich“.
Vortrag und Diskussion mit Gabriela Walterspiel
19.06.2008, 20 Uhr, Wipplingerstr. 23 (Im Treppenabgang Richtung Tiefer Graben), 1010 Wien
Was passiert, wenn Frauen sich als Frauen denken und den Nationalsozialismus begreifen wollen? Worin liegt der Grund für die Kapitulation der bürgerlich-demokratischen Frauenbewegung vor dem Nationalsozialismus? Die Versöhnung von Kapital und Arbeit im als „Führer“ personifizierten faschistischen Souverän bedeutet, dass er die Arbeiterklasse von ihrer bisherigen politischen und ökonomischen Vertretung enteignet, um sich die Arbeit anzueignen – und er tut dies mit dem Versprechen von „Gemeinnutz vor Eigennutz“, „Anerkennung des Werts der einfachen Arbeit“ und Vollbeschäftigung. Die Arbeiterbewegung zerschlägt er und transformiert sie zur deutschen Arbeitsfront, um sich das Geheimnis der mehrwertschaffenden Arbeit unmittelbar anzueignen. Die Frauenbewegung zerschlägt er und transformiert sie zur Reichsfrauenschaft, um sich das Geheimnis der Produktion und Reproduktion des wehr- und arbeitsfähigen Lebens anzueignen. Rigide entlarvt er das Wesen der Arbeiterbewegung als Kult der Arbeit und das der Frauenbewegung als Kult der fruchtbaren Natur. Indem er den Schein der Arbeiter- wie Frauenbewegung zerstört, eignet er sich das Wesen der Arbeit und das der Weiblichkeit an.
Gabriela Walterspiel gehört zur Initiative Sozialistisches Forum in Freiburg.
aus: ladyfestwien#mur.at

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