CfP: IV. Internationaler Kongress für Pietismusforschung (Event, 08/2013, Halle); DL: 11.06.2012

Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Web) in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus und den Franckeschen Stiftungen zu Halle

Zeit: 25.-29.08.2013
Ort: Halle an der Saale, Franckesche Stiftungen zu Halle
Deadline:11.06.2012

Mit dem Thema versucht der IV. Internationale Kongress für Pietismusforschung, im Jahr des 350. Geburtstages von August Hermann Francke, einen zentralen Gegenstand für eine im weiteren Sinne kulturwissenschaftlich orientierte Pietismusforschung zu erschließen. Die Diskussionen um den Pietismusbegriff seien im Rahmen dieses Call for Papers ebenso vernachlässigt wie die Diskussionen im Bereich der Medien- und Kommunikationstheorie(n). Für die folgenden Bemerkungen gilt: Pietismus meint Pietismen in der Spanne vom späten 17. bis zum mittleren 19. Jahrhundert; Medium im Sinne gestalteter und gestaltender Vermittlung differenziert lediglich zwischen „Menschen“ und „Sachen“ (W. Faulstich) und Institutionen.

Dass der Gegenstand Medien und Kommunikation für die Pietismusforschung neu ist und dass – abgesehen von wenigen jüngeren Studien – historische wie systematische Arbeiten in größerem Umfang bislang fehlen, überrascht angesichts der sozialgeschichtlichen und prosopographischen Einschätzung, dass während seiner Hochphase Ende des 17. / Anfang des 18. Jahrhunderts ca. 40 % der Bevölkerung im Alten Reich mit dem Pietismus in unterschiedlichen Formen und Intensitäten in Berührung gekommen waren. Es ist davon auszugehen, dass es eine pietistische Öffentlichkeit und eine Öffentlichkeit für den Pietismus gegeben hat, die es jeweils ohne Medien und Kommunikation so sicherlich nicht gegeben hätte. Das Erstaunen muss umso größer sein angesichts der bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts beginnenden Internationalisierung und Globalisierung zunächst des Halleschen Pietismus, dann des Herrnhutertums mittels weltumspannender Missionsnetzwerke.

Gerade eine regional-territorial verankerte, expansive und zudem alle Lebensbereiche durchdringende Frömmigkeitsbewegung wie der Pietismus brauchte, um in Bewegung zu kommen und zu bleiben, neben (statischen) Trägern bzw. Trägerschichten (jeweils vor Ort) auch (in Raum und Zeit dynamische) Multiplikatoren und Amplifikatoren: Übermittlungs- und Vermittlungskanäle, -instanzen und -institutionen und -figuren. Die von August Hermann Francke projektierte Generalreformation als „Weltveränderung durch Menschenveränderung“ (M. Schmidt), aber auch die von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf initiierte weltweite Bildung von Ortsgemeinden waren auf die Einrichtung, die Modellierung und Nutzung von Medien angewiesen, um sich selbst in ihren jeweiligen ‚ideologischen’ Gehalten mit Geltungsanspruch zu kommunizieren.
Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass sich für den Pietismus mit der aufkommenden Aufklärung seit Ende des 17. Jahrhunderts die Kontexte und Rahmungen nicht nur für seine weltanschaulichen Ausformulierungen und Positionierungen, sondern auch für deren mediale Übermittlung und Vermittlung stetig und beschleunigt wandelten. Mit ihren Programmen formierte sich die Aufklärung (um diesen – wie ‚Pietismus’ – unscharfen Sammel- und Zuschreibungsbegriff zu verwenden) auch im Bereich der Medien (neben der Lutherischen Orthodoxie) als Konkurrent im Kampf um die Gunst des Publikums. Die umfassenden Programmatiken der Aufklärer artikulierten einen nicht minder umfassenden und weltweiten Geltungs- und Ausbreitungsanspruch, zu dessen Durchsetzung Medien eben unabdingbar waren.

Der Aufklärung vergleichbar lässt sich der Pietismus auch als mediales und kommunikatives Phänomen begreifen, dessen Inhalte stärker als bislang daraufhin zu befragen sind, in welchem Maße sie nicht nur medial übermittelt, sondern auch medial vermittelt und determiniert waren. Zugleich mit der Konturierung bestimmter Medien im und durch den Pietismus soll es gelingen, pietistische Propria im Fokus ihrer Medialität in den Blick zu bekommen. Theologische, frömmigkeitspraktische, pädagogische, soziale, wissenschaftliche und ästhetisch-künstlerische Spezifika sollen in ihrer Interdependenz mit und Abhängigkeit von, in Hinblick auf ihren Zuschnitt für, ihre Formung durch sowie ihre Ausrichtung auf und Verbreitung mittels Medien profiliert werden. Insofern kann gerade dieses Thema einer Medien- und Kommunikationsgeschichte des Pietismus ein Forum zur Befragung bislang unbeachteter oder so noch nicht gesehener Quellen sein. In diesem Zusammenhang des Medieneinsatzes im Pietismus muss der Kongress auch auf den gegenteiligen Aspekt aufmerksam machen: Neben der Übernahme und Modellierung tradierter und dem Aufbringen neuer Medien soll – erinnert sei an das Theater – die durchaus unterschiedlich begründete und formulierte Kritik und Ablehnung bestimmter Medien untersucht werden.

Verbunden mit der Erschließung neuer Materialien soll der Kongress wiederum ein Forum zur Erprobung von bislang in der Pietismusforschung noch nicht fest verankerten, aber schon eingeführten und durchaus viel versprechenden kulturwissenschaftlichen Zugriffen bieten. Sie erlauben es womöglich, bekannte Materialien und deren Vernetzung miteinander unter dem Medienaspekt neu zu sehen. Mit Blick auf die angedeuteten Materialien sind somit für die sich zunehmend als ‚Interdisziplin’ etablierende Pietismusforschung thematisch gebundene Zugriffe von Seiten der Translatologie, der Kulturtransfer- und der Performanzforschung, aber auch der Bibliotheks- und Archivwissenschaften von außerordentlichem Interesse.

Ziel des Kongresses soll sein, den Blick für die durchsetzungsorientierte Verschränkung von zwei epochalen Phänomenen im langen 18. Jahrhundert zu schärfen: für die Etablierung und zeitweise starke Präsenz des Pietismus auf dem ‚weltanschaulichen’ Angebotsmarkt (mit innerhalb des ‚Pietismus’ koexistierenden und konkurrierenden Strömungen mit verschiedenen sozialen Trägerschichten und mit der Lutherischen Orthodoxie und der Aufklärung) und für das Aufkommen und den Ausbau einer zunehmend professionalisierten, effizienteren und gewinnorientierten Medienmaschinerie, die der Artikulation, der Popularisierung und weltweiten Durchsetzung von pietistischen Offerten gedient hat.

Aus den genannten Überlegungen ergibt sich für die Strukturierung des in Frage stehenden Materials und als Struktur für den Kongress folgende Gliederung in sechs Sektionen mit folgenden wenigen inhaltlichen Anregungen:

  1. Menschenmedien: gelehrte Damen, begeisterte Mägde, entzückte Weiber, Pfarrer, Prediger, Visionäre, Propheten, Lehrer, Schüler, Missionare, Netzwerke
  2. Sachmedien: Kleinschrifttum, Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Übersetzungen, Predigten; Kupferstich, Emblem, Frontispiz, Porträt, Familienbildnis, ‚religiöses’ Historienbild; Instrumentalmusik und Gesang, Theater, Unterrichtsmodelle, Architektur
  3. Institutionen als Medien: Druckereien, Verlage, Buchhandlungen, Postwesen, Bibliotheken, Höfe, Schulen, Universitäten, Fakultäten, Waisenhäuser, Kunst- und Naturalienkammer, Archive
  4. Medienpraktiken und Medientechniken: Schreiben, Sprechen (Predigen), (Zungen)Reden, Weinen, Seufzen, Gestikulieren, Grimassieren, Malen, Zeichnen, Drucken, Komponieren, Musizieren, Lesen, Hören, Sehen, Beten, Meditieren, Netzwerken
  5. Medienfunktionen und Medienwirkungen: Informationsvermittlung, Glaubensschulung, Gefühlserziehung, Identitätsstiftung, Vergemeinschaftung, Institutionalisierung, Traditionsbildung
  6. Mediale Kongruenzen, Korrespondenzen, Konkurrenzen, Konfrontationen: (innerhalb der Pietismen und im Verhältnis zu Lutherischer Orthodoxie und Aufklärung und anderen)

Ergänzend vorgesehen – auch zur Nachwuchsförderung – ist ein eintägiges Forum für Forschungsverbünde, Arbeitskreise, vornehmlich, aber selbstverständlich nicht ausschließlich jüngerer Forscherinnen und Forscher aus mit dem Pietismus befassten Fächern. Diese sollen sich als Forschungsgemeinschaften, d.h. ohne über einen an das Thema des Kongresses gebundenen Einzelvortrag vorstellen können: mit ihren theoretischen Untersetzungen, ihren Zugriffen, Erkenntnisinteressen und Fragestellungen. Der einzige Kongress seiner Art will es möglich machen, die nationale und die internationale etablierte und nachwachsende Pietismusforschung miteinander ins Gespräch zu bringen bzw. im Gespräch zu halten. Hiermit sind Arbeitskreise und Forschungsverbünde aufgefordert, sich in Workshops mit diskussionsanregenden Impulsreferaten vorzustellen. Ihre Vorschläge richten Sie an unten genannte Anschrift.
Ihren Vortragsvorschlag, ruhig im Arbeitstitel, mit einem abstract von 300 Worten richten Sie postalisch oder per mail (mit vollständigen Kontaktdaten) bis zum 11. Juni 2012 bitte an die u.a. Kontaktadresse:

Kontakt
PD Dr. Christian Soboth
Interdisziplinäres Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (IZP)
Franckeplatz 1, Haus 24
06110 Halle a.d. Saale
Deutschland
Tel. 0345 55-23072
christian.soboth@pietismus.uni-halle.de
http://www.pietismus.uni-halle.de

URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=19156

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