WISO Abendkolloquium (Universität Wien) und WU Research Seminar in Economic and Social History
Zeit: 19.10.2021, 18.00-19.30 Uhr
vor Ort: Universität Wien, Seminarraum Geschichte 1, Universitätsring 1, 1010 Wien
virtueller Raum: über zoom: univienna.zoom.us/j/93646285636
Der Vortrag findet im Rahmen des WISO Abendkolloquiums an der Universität Wien statt. Weitere Informationen zum Semesterprogramm als PDF.
Moderation: Franz Eder
Sexualaufklärungsfilme versuchten über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg, Einstellungen und Verhalten der Menschen zu formen. Sie zirkulierten ins europäische Ausland, in die USA und zurück. Ihr visueller und epistemologischer Referenzrahmen waren die Wissenschaften der Medizin, Pädagogik und Psychologie, was sich auch in der Zuschauerforschung spiegelte. Im Namen der Gesundheit des Körpers wurden stets Gefühle eingesetzt, doch die emotionale Kultur veränderte sich. Im Ersten Weltkrieg sollte Wissen über Syphilis Angst erzeugen und so Soldaten von ungeschützten Sexualkontakten abhalten. Im Weimarer Kino wurde die Bevölkerung gegen eine „falsche Scham“ mobilisiert. Im Frontkino des Nationalsozialismus wurde die Angst durch ein unbedingtes Vertrauen ersetzt. Während der Besatzungszeit wurde Verständnis gefordert, gerade für die junge Generation. Diese sollte dann durch „positive Emotionen“ in der DDR zur „sozialistischen Persönlichkeit“ erzogen, in der BRD zur Selbstführung befähigt werden. Die AIDSBekämpfung ließ die Gefühle mit dem zu vermittelnden Wissen verschmelzen. So erzählt die Geschichte des Sexualaufklärungs?lms nicht nur von der Konstituierung, sondern auch von der Steuerung einer globalen Mediengesellschaft.
Vor diesem Hintergrund geht der Vortrag konkret auf die Körperpolitik und eine Gefühlserziehung im Kino der Nachkriegszeit ein. Anhand zahlreicher internationaler und nationaler Produktionen erfolgen zunächst einige Ausführungen zur Genealogie dieser Filme – also zur Herkunft, Verbreitung, Ausgestaltung sowie zu ihren Adressaten. Im Anschluss daran geht der Vortrag näher auf den Film „Straßenbekanntschaft“ (D 1948) ein, der in allen Besatzungszonen aufgeführt wurde und zu einem großen Erfolg avancierte. An diesem Filmbeispiel lässt sich exemplarisch zeigen, in welcher Weise diese Filme politische Projekte waren (und sind). Der Vortrag endet mit einem Ausblick auf die Entwicklungen dieser Filme in der DDR und der BRD.
Anja Laukötter ist Universitätsprofessorin für Kulturgeschichte am Institut für Volkskunde/Kulturgeschichte an der Universität Jena (Web). Ihre Monografie „Sex – richtig! Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino im 20. Jahrhundert“ ist bei Wallstein erschienen (Web).