Category Archives: Edition_1. Weltkrieg in Selbstzeugnissen

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 128: Feldpostkarten von Adolf Müller an Louise Müller, 13. April bis 14. Juni 1918 aus der Gegend von Brody in Galinzien nach Wien

Adolf Müller (geb. 1881) war im Frühling 1918  in der Verwaltung im Frontgebiet in Galizien eingesetzt. Auf den von ihm erhaltenen Feldpostkarten kommentierte der 37-Jährige genau seine Einkommenssituation als Soldat. Der Finanzbeamte schilderte, dass er an der Front besser versorgt war als die Familie zu Hause, weswegen er Lebensmittel aus Galizien nach Wien schickte. Mit Louise Müller (geb. 1886) hatte er hier zwei kleine Söhne. Entsprechend entgegnete er auch dem offenbar von seiner Frau geäußerten Wunsch nach einer Vergrößerung ihrer Familie. In einer an Adolf Müllers Mutter gerichteten Postkarte behauptet er, dass Angehörige anderer Stabstellen nach Hause versetzt werden würden, was Adolf Müller ebenfalls anstrebte. In einem Schreiben an seine Ehefrau erinnerte sich an einen gemeinsamen Urlaub in Frankreich und Großbritannien, gegen die nun Krieg geführt wurde.

13./IV.18
Liebe Louise!
Soeben lese ich in der „Kriegspost“ vom 11./IV. dass ich zum Adjunkten der städt. Hauptkassa ernannt worden bin, also bekommst du am 1./V ein Batzen Geld! 50 K Gehaltnachtrag, 75 K Quarteiergeld Nachtrag, 250 K Gehalt & 375 K Quartiergeld! Also 750 K abzüglich der Steuer & Stempelgebühren. Davon kannst du mir dann ganz leicht die jetzt allmonatlich (!!) fälligen 50 K schicken. Übrigens bekommen wir jetzt auch außer der Löhnung noch Brotrelutum [Bezug] von 1 K 80 pro Dekade & ein Getränk.-relutum, das für die Zeit vom 1.-10./IV. 7 K 02 ausmachte. Also, wenn’s nicht regnet, so tröpfelts! Damit kann ich mich so genügend voraus ernähren, dass ich’s dann 14 Tage in Wien bei 20 dkg Fleischwochenmenge & Mangel aller übrigen Nahrungsmittel aushalte! Hast du schon irgendeinen Entschluß wegen Sommeraufenthaltes gefasst? Was machen die Buam [Buben]? Gruß Kuß
Adolf

21./V.18
Liebe Louise!
Übermorgen „dreht“ sich Rgl. N. nur weiß ich noch nicht auf wie lange (14 Tage oder 4 Wochen) & wenn der zurückkommt, „dreht“ sich der Adolf [vermutlich eine Bezeichnung für Urlaub]. Es ist schon wieder eine Woche her, seit ich Continue reading

Klicktipp: „The white feather diaries“ (Portal/Weblog)

Religious Society of Friends (Quakers) (Web)

The white feather diaries is a social media storytelling project marking the centenary of World War I. It was initiated by the Religious Society of Friends (Quakers). It offers an insight into overlooked aspects of war: resistance to killing and the relief of suffering.

The website follows the lives of five young people from Britain – four men and one women -, who lived a century ago and opposed World War I. Their stories were published periodically over three years. They take us from the outbreak of war to the introduction of conscription and groundbreaking legislation recognising conscientious objection. Through daily posts the website shares their moral dilemmas and their often dangerous decisions. The records of these five diarists are presented in detail:

  • Bert Brocklesby – who refused to hate his fellow man (Web)
  • John Hoare – who gave up career to campaign against war (Web)
  • Hilda Clark – a doctor who risked her life in a war zone (Web)
  • Howard Marten – who was sentenced to death for his beliefs (Web)
  • Laurence Cadbury – who saved lives, but would not kill (Web)

For those wanting to delve further into these fascinating stories, each blog entry includes rich background material about the content of the post or the diarist and their contemporaries.

The white feather diaries sheds light on the hidden stories of those whose bravery saved lives and changed British legislation, leading to a wider recognition of the legitimacy of the right to refuse to kill.  This project run from 2014 to 2016.

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 127: Feldpost von Christl Wolf an Leopold Wolf, 5. März 1918, von Wien an einen unbekannten Ort in Polen

Christine Wolf (geb. Lang, geb. 1891) aus Wien war verheiratet mit dem Architekten Leopold Wolf (geb. 1891). Als Soldat hatte der 27-Jährige inzwischen den Rang eines Oberleutnants bei der Artillerie inne, wo er im Frühling 1918 als „Autooffizier“ an Kriegsschauplätzen im Osten eingesetzt war. Christine Wolf hatte seit längerem darauf gehofft, dass ihr Ehemann nach Wien versetzt werden könnte, was sie bei anderen Paaren in ihrem Umfeld offenbar beobachtet hatte. Im März 1918 wendete sich die hochschwangere junge Frau deswegen selbst direkt an einen Beamten in der Kriegsverwaltung, was sie Leopold Wolf im Brief vom 3. März 1918 schilderte.

Wien, 5. III. 1918.
Liebster Poldi!
Also recht schön sitzen wir diesmal in der Patsche drinnen! Heute ist bereits der 5. und von Dir noch keine Spur, wie soll ich mir das erklären.
Ich glaube ich vermute leider nur zu richtig. Ich hörte jetzt schon von mehreren Seiten, daß Urlaubsperre ist, das hat noch gefehlt. Du glaubtest schlechtesten Falles mit einem 14tätigen Urlaub rechnen zu müssen, und nun ist mir scheint kaum das möglich. Ich beschwör Dich liebster Poldi um meiner Gesundheit willen, laß kein Mittel unversucht, von dort wegzukommen, sag wegen dringender Familienangelegenheiten, oder wegen Krankheit Deiner Frau etc., schwatz das Blaue vom Himmel herunter, nur komm. Vielleicht gelingt es Dir dienstlich irgendwie. Erklär das Deinem Hptm. der wird doch hoffentlich kein Barbar sein.
Wenn er Dich dienstlich nach Wien schickt kannst Du kommen. Übrigens hat mir die Oberst B. [vermutlich die Ehefrau eines Oberst namens B.] der ich heute mein Leid geklagt hab, gesagt, wenn Du sagst Deine Frau bedarf Deiner Anwesenenheit wegen dem u. dem müssen sie Dich fortlassen, auch wenn der Pabst nein sagt, Du mußt nur recht energisch sein und nicht nachgeben. Es ist ja nicht einmal eine Lüge, von Deiner Anwesenheit hängt bestimmt sehr viel ab. Ich bin jetzt schon von einer solchen Unruhe u. Unrast erfüllt, daß ich nichts ordentliches zusammen bring. Es regt mich alles derart auf, daß ich mich kaum beherrschen kann. Wie schön wäre es gewesen, wenn Du gestern gekommen wärest, wie es Deine Absicht war und nun bin ich trostloser als je. Mein Gott wann wird denn der Jammer ein Ende nehmen?
Verzeih wenn ich Dir wieder soviel lamentiert hab, liebster Poldi, Dir wird’s zwar auch nicht viel besser gehen gelt, aber in meiner Einsamkeit ist mir gar manchmal so schrecklich zu Mute. Gebe Gott, daß wieder glücklichere Zeiten kommen für uns beide.
Ich weiß nicht schrieb ich Dir schon, daß der Oblt. P. in Wien ist? Er ist vorige Woche gekommen 14 Tage Urlaub, und dann [wird er] Lehrer in der Art.-Auto Schule in Simmering. Seine Frau hat irgendeine Protektion im K. M. [Kriegsministerium] die das durch gestzt hat, u. zwar auch mit der Begründung, daß seine Frau leidend ist (was garnicht wahr ist). Nun, ich gönne es ihnen wirklich, nur frage ich mich warum das auch bei uns nicht möglich ist? Siehst Du, Du darfst Dich nicht so unbedingt drauf steifen, daß bei uns alles anders sein muß, wie bei andern, überhaupt wenns uns zum Guten wäre. Glaubst Du nicht auch? Ich glaub ja! […]
Weißt Du daß ich schon entschlossen war heute ins K. M. zum H. zu gehen? Du staunst über Dein freches Weibi, es tut mir aber nur leid, daß ich mich abhalten hab lassen. Nämlich, Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 126: Tagebuch von Bernhardine Alma, 20. Februar bis 18. April 1918, Wien

Bernhardine Alma (geb. 1895) war Wienerin. In ihrem regelmäßig und ausführlich geführten Tagebuch dokumentierte die junge Frau ihr soziales Umfeld in einer gutbürgerlichen Familie, ihre Tätigkeiten im Kriegshilfsdienst des Roten Kreuzes, wo sie inzwischen eine gewisse Position erreicht hatte, die Arbeiten im elterlichen Haushalt, die Schwierigkeiten, Lebensmittel zu besorgen und sie gab ihre Einschätzungen der politischen Lage ab. Im Winter 1918 beschäftigten sie zudem der Umzug ihrer älteren Schwester Cora von S. nach Rumänien sowie die Sorgen um ihren Geliebten Jaro S., der an die Front eingezogen war und von dem sie seit Wochen kein Lebenszeichen mehr erhalten hatte.

20. II. 1918, abends Mittwoch
„Nun muß sich alles, alles wenden!“
Heut‘ hab ich [von Jaro G.] ein reizendes Karterl und ein noch reizenderes Brieferl bekommen – er ist in Italien, I. R. 32/IV, Fp. 648. Gott sei Dank ist er wieder Adjutant. Er durfte bisher nicht schreiben, auch seinen Eltern nicht. Den Brief ließ er durch einen Kollegen in Pest aufgeben. Er bat mich nicht böse zu sein, der dumme Krieg sei Schuld – er ist nach 2 Tagen damals von Wien telegrafisch abberufen worden und ich solle ihm so lieb schreiben, wie ich es könne! – U.s.w.
Ich danke Gott vom ganzen Herzen! –
Und mit Rußland wird doch wieder Friede! Und manchmal scheint die Sonne so hoffnungsvoll. – Wenn nur Friede würde! – […]

26. Februar 1918, abends Montag
[…] Am Donnerstag gab ich meinen Antwortbrief an Jaro auf. Muß nachtmahlrichten. – […] Gestern wieder R. K. [Dienst im Roten Kreuz] Jetzt ist’s nur mehr 3 x wöchentlich und zwar Montag, Mittwoch u. Freitag.

1. März 1918 abends. Freitag
Jetzt fangt wieder ein neuer Monat an – was wird er bringen? Was wird die Zukunft überhaupt bringen? […] Mittwoch St. E. G. [vermutlich eine bestimmte Lebensmittelverkaufsstelle?] Zahnarzt, R. K. Das R. K. ist mir so fremd geworden, ich wollt es wäre schon ganz aus. Für zuhause hab ich viel zu tun, das ist aber selbstverständlich. Ich kann mich doch nicht umsonst ganz erhalten lassen! – Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 125: Feldpost von Christl Wolf an Leopold Wolf, 16. und 23. Februar 1918, von Wien an einen unbekannten Ort in Polen

Christine Wolf (geb. Lang, geb. 1891) und Leopold Wolf (geb. 1891) waren seit einem Dreivierteljahr verheiratet, im Frühling 1918 erwarteten ihr erstes Kind. In ihren Briefen schilderte die gut situierte Wienerin die derzeit eingeschränke Versorgungssituation – in Bezug auf Lebensmittel sowie auf Informationen –, und ihre Strategien, dennoch dazu zu kommen. Als neue Vorständin eines eigenen Haushalts beschrieb sie ihre Überlegungen zu einem passenden Dienstmädchen oder -burschen. Auch sprach sie den offenbar von ihrem Ehemann formulierten Wunsch betreffend dem Geschlecht ihres Kindes an. Dazwischen wurden zudem weltpolitische Ereignisse und Kriegsverdrossenheit thematisiert und die junge Frau versuchte, ihren Ehemann zu motivieren, sich um eine Versetzung nach Wien zu bemühen.

Wien, 16.II.1918.
Liebster Poldi!
In Deinen letzten Karten machst Du mich so neugierig und vertröstest mich immer auf morgen mit einem Brief und noch immer hab ich keinen. Also hoffentlich hast Du endlich Dein Versprechen eingelöst und mir wirklich am 12. wie Du in der letzten Karte sagst, lange und ausführlich geschrieben, was mir die Post ja dann morgen, Sonntag, bringt.
Vor allem freuts mich nur, daß Deine Stimmung wieder bedeutend besser ist und Deine Angelegenheiten so gut stehen. Also der Oberst ist weg, nun jedenfalls ist das eine kolossale Genugtuung für Dich, wie auch Du sagst. Die Sache hat auf alle Fälle eine andere Wendung bekommen, als der O. gewünscht, o. erwartet hat. [In den vergangenen Briefen war ein Konflikt in der Einheit von Leopold Wolf angesprochen worden.] Ansonsten wäre mir aber schon lieber Du wärst auf Urlaub und bekämst eine Hinterlandsverwendung, nun nachdem was Du mir vom Hanns [Bruder von Leopold Wolf] schreibst, hast Du auch darauf Aussichten. Wenn beim Militär nur nicht alles so langweilig wäre! Da geht aber alles mir scheint, nach dem schönen Lied „Langsam, langsam, langsam!“
Übrigens hast Du den Staat kolossal in Unkosten gestürzt, mit Deinen 2 Finger dicken Band Akten [vermutlich eine Postsendung oder die Personalakte], jetzt noch dazu bei der Papiernot, wo man in Wien bald die Tagesneuigkeiten auf die Häusermauern drucken wird. Ich bekomme keinen Tag […] eine Zeitung, trotzdem ich [zur Trafikantin] so lieb und nett bin. Immer nur ein Mittagsblatt, mit dem ist mir aber nicht geholfen, ich brauch ja das Morgenblatt, um zu sehen, was ich bei der „Rohö“ [Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs] und sonstigen [Konsum]Vereinen nicht krieg.
Heute hab ich sie gefragt, ob sie ein Abonnement annimmt, ich wollte es ja nur deshalb von ihr, damit sie mich auch hie u. da mit Zigaretten beglückt, aber nicht einmal das kann sie, weil sie so wenig von der Druckerei bekommt. Am besten wird sein Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 124: Feldpost von Maria E. und Adolf E., 12. bis 20. Februar 1918, aus der Steiermark und aus unbestimmten Orten in Norditalien

Der Jurist Adolf E. (geb. 1885) war 1915 zum Frontdienst eingezogen worden. Er arbeitete hier „bei Gericht“, im Winter 1917/1918 hielt er sich dazu im Grenzgebiet von Slowenien und Italien auf, wo 1917 die vierte Isonzoschlacht stattgefunden hatte.  Maria E. (geb. 1890) lebte mit den 1913, 1914, 1915 und 1917 geborenen kleinen Kindern in einer steirischen Stadt. Vor ihrer Heirat 1913 hatte sie eine Ausbildung zur Klavierlehrerin absolviert. In den regelmäßigen Briefen schilderten beide ausführlich Begebenheiten aus ihrem derzeitigen Alltag und die Tagesabläufe, Adolf E. berichtete u.a. von der Zerstörung in der Region und auch von getöteten Soldaten, deren Leichen hier noch zu finden waren. Die Korrespondenz liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als PC-Abschrift vor.

12. Februar 1918, Adolf E. an Maria E.

[Meine liebe Maria!]
[…] Sonntag nachmittags sind wir nämlich, da ein schöner Tag war, auf den Monte Santo gegangen, in 3 Stunden waren wir oben, und um 1/2 8 Uhr abends wieder zurück. Am Berge oben war vor dem Kriege ein Kapuzinerkloster, Kirche und Friedhof. Wie wir oben waren, haben wir zwar Schutt u. Steinhaufen aufgetürmt gesehen, wo aber Kloster u. Kirche gestanden, konnte man nicht mehr entnehmen; überhaupt war der Weg hinauf ein Waten durch ein Meer von Steinen u. Eisen, Granate um Granate am Wege.
Durch den Marsch in der Sonne sind wir alle recht durstig geworden und so hatte ich mir schon am Wege vorgenommen, obwohl ich jetzt schon lange keinen Alkohol getrunken habe, abends in der Messe einen Wein zu trinken; das tat ich dann auch, aber wieder einmal zu gründlich. Zuerst 3/4 l gemischt mit Wasser, das wäre ja nicht schlimm gewesen; da fiel aber einem Auditor ein, daß ja eigentlich das Gericht den Friedensschluß mit der Ukraine feiern müsse und nun begann eine wütende Marsalaschlacht. Marsala ist ein starker südlicher Wein, fast wie ein Likör, als Krankenwein muß er vorzüglich sein, ich aber hatte ja schon 3/4 l gewöhnlichen Wein hinter der Binde und da habe ich aber die Schlacht als Besiegter verlassen; das Gericht zur Gänze war übergenug geschlagen und am nächsten Morgen allgemeiner Kater. Nur etwas Neues habe ich bei mir erfahren; während ich sonst im Rausche viel rede u. lustig bin, haben mir alle übereinstimmend erzählt am nächsten Morgen, daß ich nur still und fleißig gezecht, kein Wort gesprochen habe; meine Kameraden haben mich um Mitternacht nach Hause gebracht. Natürlich hatte ich gestern, – wie alle andern auch – einen ganz erbärmlichen Kater und war froh, wie ich mich nach den Amtsstunden niederlegen konnte. Dafür schau ich jetzt keinen Alkohol mehr an, ich weiß schon, Du wirst wieder sagen, bis zum nächstenmale! Doch glaube ich wird diesmal mein guter Vorsatz etwas länger halten als wie sonst. –
[…] Du fragst mich, ob Deine Briefe zensuriert werden? Das weiß ich ja nicht, möglich ist es, Zensur Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 123: Tagebuch von Bernhardine Alma, 7. bis 19. Februar 1918, Wien

Bernhardine Alma (geb. 1895) leistete seit 1915 Kriegshilfsdienst im Roten Kreuz. Inzwischen hatte sie dabei die Leitung einer kleineren Gruppe Helferinnen inne. Ihre Aufgabe bestand darin, Listen von vermissten, verwundeten oder getöteten Soldaten abzuschreiben. Die weltpolitischen Ereignisse im Februar 1917 hatten auch direkte Auswirkungen auf diese Tätigkeit. Wegen weniger eingegangener Meldungen aus Russland bekam die junge Wienerin Urlaub. Daneben dokumentierte sie in ihren Tagebucheinträgen dieser Wochen die allgemeine Ungewissheit über die Kriegsereignisse, die permanenten Herausforderungen, Lebensmittel zu bekommen sowie ihre persönliche Sorge um ihren Geliebten. Er war wieder zum Frontdienst eingezogen worden und sein Aufenthaltsort bisher unbekannt.

7. II. 1918, Donnerstag abends
[…] Dienstag waren der Sektionschef und -in [ein Vorgesetzter im Roten Kreuz und dessen Frau] im R. K. und beide sehr nett gegen mich; wir haben bis zum 21. d. [des Monats] frei, weil nichts aus Rußland kommt. Ich war noch gestern nach dem Zahnarzt dort, meine Sachen fertig machen und hab nun 14 Tage frei. Was sein wird, bis ich wieder ins R. K. gehe? Marius [der jüngere Bruder, geb. 1902] hat eine rührende Freude über meinen Urlaub gehabt, ebenso freut er sich, weil ich mit ihm Samstag zu einem Lessing Vortrag gehe. […]

Sonntag abends, 10. II. 18
[…] Gestern Nachts um 2 Uhr wurde der Friede mit der Ukraine unterzeichnet – wenigstens ein Anfang – wirklich ein Friedensschluß wenigstens – bei Gott liegt das andere!
Fretiag war ich beim Zahnarzt; er hat eine wirklich gute schmerzlose Behandlung.

11. Februar 18, noch nicht abends
„Der Friede kann kommen über Nacht!“
Auch mit Großrußland (mit ganz Rußland) wurde der Friede geschlossen – es ist kaum denkbar – Gott ist unendlich gut! Wenn Gott ihn auch nur weiter schützen möchte! [Vermutlich den Geliebten Jaro G., den die Schreiberin im Rahmen ihrer Besuche von verwundeten Soldaten in einem Wiener Spital kennen gelernt hatte.] – Mit Rußland ist Friede (ist das nicht wundervoll?) aber an anderen Fronten kann ihm was (ich muß oft unterbrechen, der Marie [dem Dienstmädchen] beim Schlafzimmer gründlich machen helfen) geschehen – könnte, aber Gott möge sich seiner erbarmen. –
Und das Wetter ist so schön – so geschaffen für diese süßen Friedensnachrichten. Continue reading

Klicktipp: „Der erste Weltkrieg: Eine Chronik in Tönen und Filmen“. Online-Ausstellung der Österreichischen Mediathek“ (Portal)

Österreichische Mediathek (Web)

Die Österreichische Mediathek stellt auf dieser Site originale Ton- und Filmaufnahmen aus ihren Archivbeständen online zur Verfügung, die den Verlauf des Ersten Weltkrieges dokumentieren. In mehreren Ausgaben werden dabei verschiedene Aspekte behandelt und in einen Kontext gestellt. Die Ordnung erfolgt nach Kalenderjahren, entsprechend wird das Projekt 2018 noch erweitert. (Link)

Ausgaben und Themen:

  • Ausgabe 1: Vorgeschichte und Juni 1914: Die Weltlage 1914 / Österreich-Ungarn 1914 / Zeit im Umbruch / Sarajewo 28. Juni 1914
  • Ausgabe 2: Juli 1914 bis Dezember 1914: Das Ultimatum / Kriegsausbruch / Kriegseintritte / Leben in der Heimat
  • Ausgabe 3: Jänner bis Dezember 1915: Kriegspropaganda / Kriegseintritte / Kriegsverlauf / Kultur und Wissenschaft
  • Ausgabe 4: Jänner bis Dezember 1916: Der alte Kaiser / Der neue Kaiser / Kriegsverlauf / Leben in der Heimat
  • Ausgabe 5: Jänner bis Dezember 1917: Kriegsverlauf / Politische Ereignisse / Kultur und Krieg / Frauen im Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 122: Feldpost von Christl Wolf und Leopold Wolf, 18. und. 26. Jänner 1918, von einem unbekannten Ort nach Wien

Christine Wolf (geb. Lang, geb. 1891) und Leopold Wolf (geb. 1891) waren seit Frühsommer 1917 verheiratet. Im Winter 1918 erwarteten sie ihr erstes Kind. Beide kamen aus gutbürgerlichen Wiener Verhältnissen, Leopold Wolf war im Zivilleben Architekt. Leopold Wolf hatte als Soldat inzwischen den Rang eines Oberleutnants bei der Artillerie inne, wo er als „Autooffizier“ für den Fuhrpark zuständig war. Dabei wurden im Jänner 1918 auch Konflikte in der Brigarde angedeutet. In seinen Briefen nahm der junge Mann zudem auf die Jännerstreik-Bewegung Bezug und es wurden Geld-, Lebens- und Genussmittel-Sendungen abgewickelt, okkulte Praktiken angesprochen sowie die Frage diskutiert, ob sich Frauen und Männer unterschiedlich oft fotografieren lassen sollen.

18.1.18.
Mein allerliebstes Weibi!
Soeben ist der Zugführer L. gekommen und hat mir Dein großes Packerl, Deinen lieben Brief und von Papa das Rauchzeug [Tabakwaren] gebracht.
Ich finde nicht gleich die Worte, wie ich Euch für all das […] danken soll und möchte Euch wenigstens zum Teil alle meine Gedanken niederschreiben können. Mühsam und unter Entbehrungen für Euch abgesparte Sachen sind das, die mir Eure Liebe zu mir mehr beweisen können als Worte. Heutzutag ist es schon so, denn ich weiß gar gut, wie teuer abgespart die Dinge sind.
Gerade kommen auch Deine beiden Bilder vom Semmering [mondänes Erholungsgebiet in den Bergen in der Nähe von Wien, wo Christl Wolf einen Urlaub verbracht hatte]. Ach, Weibi, das närrische Wort „Sehnsucht“ kommt mir wieder recht drängend ins Hirn. Ich fühle es jetzt doppelt schwer, wie der Krieg mit allem Zwang und aller Unfreiheit auf mir lastet, wo ich noch so recht in der Angelegenheit mit dem O. M.  drin bin. [Konflikt in der Brigade, in den der Schreiber offenbar verwickelt war.]
Ich höre auch zu meiner größten Überraschung, was sich in Wien alles tut, oder besser gesagt, was sich alles nicht tut. [Wie auch in Deutschland formierte sich in Österreich-Ungarn seit 3. bzw. 14. Jänner 1918 eine Streikbewegung, an der sich hier um 700.000 Arbeiter/innen beteiligten.] Und wenn man bedenkt, was für eine Ungeheuerlichkeit hier geschehen ist, (ich meine meinen Fall!) wie man hier das Material schindet, und wie man einen gewissenhaften Offizier, der noch echt österreichisch denkt und handelt [der Schreiber meint sich vermutlich selbst], wie man einen Menschen behandelt, der in den Kriegsjahren die beste Zeit seines Lebens verbracht hat, da möchte man gern vergessen, daß man auch ein guter Soldat ist, und mit den Wiener Arbeitern rufen: Genug! Ich halte mit! Es ist wirklich kaum glaublich, wie Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 121: Tagebuch von Ella Reichel, 31. Dezember 1917 bis 14. Februar 1918, Neulengbach

Ella Reichel (geb. 1905) war 12 Jahre alt und lebte in Neulengbach im Wienerwald, wo die Eltern Hauptplatz eine Eisenwarenhandlung führten. Die jüngere Schwester Anna war im Juni 1916 gestorben. In den Tagebuchaufzeichnungen der Schülerin finden sich Schilderungen von Erlebnisse mit Freundinnen und von Freizeitaktivitäten unmittelbar vermischt mit Kommentaren zur politischen Lage sowie Berichten aus dem Umfeld in der Stadtgemeinde. Die inzwischen mehrjährige Kriegssituation wird dabei auf verschiedenen Ebenen sichtbar.

31. Dezember 1917.
Sylvester! Eben sind Mutter und ich von Frau O. gekommen, wir waren nämlich zum Neuen Jahre gratulieren und dabei überreichte ich gleich den Tischläufer, da er jetzt erst fertig wurde. Mir kommt das alte Jahr am Ende immer ganz schmutzig vor. Hoffentlich wird das Neue Jahr besseres bringen als das Jetzige. Heute waren Vater und ich beichten. Endlich hat Vater sein Versprechen eingelöst, da er nämlich versprochen hat, als ich heuer die Bauchfellentzündung hatte daß er dieses Jahr noch beichten gehen würde. Ich war sehr froh! Bei uns ist sehr viel Schnee, ich war alle Tage rodeln. Es gab eine große Hetze. Wir rodelten nämlich mit den Russen [vermutlich mit Kriegsgefangenen]. Luisl [eine Freundin] war Freitag wieder unausstehlich. (…) Heute feiern wir beim Großvater Sylvester. Vormittag haben wir schon gebacken. P. bringt einen Slibowitz [Schnaps] und dann wird eine Bowle gebraut. Wir gehen dann bald hinüber.

3. Jänner 1918.
Die Sylvesterfeier war ganz lustig. Wir tranken Tee und Champagneener und aßen Zechmeister-Krapferl [Gebäck] und Obst. Am Neujahrstage machten Vater, Mutter, Luisl und ich eine Schlittenparthie nach „Sieghartskirchen“ [Gemeinde in der Umgebung], es war sehr schön. Um ¾ 1 h fuhren wir fort und um ¼ 7 h kamen wir nach Hause. Gestern räumte ich unsern Christbaum ab. Heute schneit es schon wieder ununterbrochen. Montag fängt schon wieder die Schule an. Furchtbar fad! Leutnant B. [mit dem die Schreiberin seit April 1915 durch die Schule organisiert regelmäßig korrespondiert hat] ist in italienischer Gefangenschaft, man weiß nichts genaueres über ihn, geschrieben hat er noch nicht. P. hat ein kleines Mäderl am 30. November bekommen. (…)

24. Jänner 1918.
(…) Am 15. Jänner kam die freudige Botschaft, daß unsere Straffe auf 300K herabgegangen sei. [Die Familie war im Oktober 1917 von einem Dienstmädchen angezeigt worden, Holz zu einem überhöhten Preis verkauft zu haben.] Denselben Tag- (kam) starb Herr Apotheker, dann Frau E. und die Mutter von Frau N. Heute hat uns Fräulein S. [die Lehrerin] gelobt. Schluß!

14. Februar 1918.
Luisl, M. Gretl, M. Hansl und ich haben ein Kränzchen gegründet. Wir kommen alle Continue reading