Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 125: Feldpost von Christl Wolf an Leopold Wolf, 16. und 23. Februar 1918, von Wien an einen unbekannten Ort in Polen

Christine Wolf (geb. Lang, geb. 1891) und Leopold Wolf (geb. 1891) waren seit einem Dreivierteljahr verheiratet, im Frühling 1918 erwarteten ihr erstes Kind. In ihren Briefen schilderte die gut situierte Wienerin die derzeit eingeschränke Versorgungssituation – in Bezug auf Lebensmittel sowie auf Informationen –, und ihre Strategien, dennoch dazu zu kommen. Als neue Vorständin eines eigenen Haushalts beschrieb sie ihre Überlegungen zu einem passenden Dienstmädchen oder -burschen. Auch sprach sie den offenbar von ihrem Ehemann formulierten Wunsch betreffend dem Geschlecht ihres Kindes an. Dazwischen wurden zudem weltpolitische Ereignisse und Kriegsverdrossenheit thematisiert und die junge Frau versuchte, ihren Ehemann zu motivieren, sich um eine Versetzung nach Wien zu bemühen.

Wien, 16.II.1918.
Liebster Poldi!
In Deinen letzten Karten machst Du mich so neugierig und vertröstest mich immer auf morgen mit einem Brief und noch immer hab ich keinen. Also hoffentlich hast Du endlich Dein Versprechen eingelöst und mir wirklich am 12. wie Du in der letzten Karte sagst, lange und ausführlich geschrieben, was mir die Post ja dann morgen, Sonntag, bringt.
Vor allem freuts mich nur, daß Deine Stimmung wieder bedeutend besser ist und Deine Angelegenheiten so gut stehen. Also der Oberst ist weg, nun jedenfalls ist das eine kolossale Genugtuung für Dich, wie auch Du sagst. Die Sache hat auf alle Fälle eine andere Wendung bekommen, als der O. gewünscht, o. erwartet hat. [In den vergangenen Briefen war ein Konflikt in der Einheit von Leopold Wolf angesprochen worden.] Ansonsten wäre mir aber schon lieber Du wärst auf Urlaub und bekämst eine Hinterlandsverwendung, nun nachdem was Du mir vom Hanns [Bruder von Leopold Wolf] schreibst, hast Du auch darauf Aussichten. Wenn beim Militär nur nicht alles so langweilig wäre! Da geht aber alles mir scheint, nach dem schönen Lied „Langsam, langsam, langsam!“
Übrigens hast Du den Staat kolossal in Unkosten gestürzt, mit Deinen 2 Finger dicken Band Akten [vermutlich eine Postsendung oder die Personalakte], jetzt noch dazu bei der Papiernot, wo man in Wien bald die Tagesneuigkeiten auf die Häusermauern drucken wird. Ich bekomme keinen Tag […] eine Zeitung, trotzdem ich [zur Trafikantin] so lieb und nett bin. Immer nur ein Mittagsblatt, mit dem ist mir aber nicht geholfen, ich brauch ja das Morgenblatt, um zu sehen, was ich bei der „Rohö“ [Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs] und sonstigen [Konsum]Vereinen nicht krieg.
Heute hab ich sie gefragt, ob sie ein Abonnement annimmt, ich wollte es ja nur deshalb von ihr, damit sie mich auch hie u. da mit Zigaretten beglückt, aber nicht einmal das kann sie, weil sie so wenig von der Druckerei bekommt. Am besten wird sein in der Wollzeile [vermutlich die Verlagsadresse] abonnieren ab 1. III. denn ohne Zeitung kann man ja nicht sein und so kriegt man keine. Zigaretten hat sie mir übrigens heute gegeben, welche Freude.
[…] Gestern hatte ich Besuch, meine Freundin Frl. M. war bei mir, es war ein ganz schöner Nachmittag. Wir plauderten u. musizierten. Um ½ 7 kam dann Papa u. Mama u. Anna beladen als kämen sie zu einer Weihnachtsbescherung. Was da alles aus den div. Taschen kam. Milch, Schmalz, Butter, Speck, Thee, Kindswäsche, und Anna hatte Deinen Winterrock. Er ist gewendet worden und sieht nun wieder sehr hübsch aus, so weit ich das in der Hand beurteilen kann. Er hat Dir sogar einen neuen Samtkragen gegeben, und verlangte für das Ganze K 35.- für jetzt ist es wirklich nicht teuer. Allmählich gewöhnt man sich ja an die jetzigen Phantasiepreise, nur der Geldbeuteil will sich schwer hineinfinden.
Also wie gesagt Papa u. Mama blieben noch ein Weilchen, ich machte ihnen die lang entbehrte Milch […] Sie war natürlich sehr entzückt in unsere Wohnung. Jetzt schauts auch wieder halbwegs anständig aus.
Doch wenn ich für jedes Wort was ich red und jeden Handgriff den ich tu einen Kreuzer bekäm wäre ich in Kürze eine sehr reiche Frau. Mit der Alten [dem aktuellen Dienstmädchen] ist’s absolut nichts. Wenn ich dann mit dem Bubi o. Mädi zurückkomm, komm ich ja bei der Tür nicht herein vor lauter Schmutz. Sie erinnert mich lebhaft an den Anton, und sogar der glaub ich, war noch um eine Nuance reiner wie die. Ich bin sehr im Zweifel was ich tun soll. Wenn ich eine andere krieg, geb ich die sofort weg. Jetzt geh ich halt wieder auf die Suche. Weißt Du liebster Poldi, mit dem Franz wäre ich ja goldern dran, aber, der Franz kann mir doch nicht die Kindswäsche waschen. Nun hoffen wir halt, daß ich doch das „Glück“ habe und ein annehmbares Mädel find.
Jetzt sind schon wieder 8 Tage herum seit Papa bei der Kriegsliqu[idatur] war und man ihm sagte, daß ich längstens binnen 8 Tage das Geld bekomme und trotzdem habe ich noch immer nichts. Ich weiß mir keinen Rat. Ich war dort, Papa war dort und angeblich geschickt haben sie’s auch schon, und ich weiß nichts davon. Wenn Du kommst, mußt aber Du hingehen und ihnen so eine beispiellose Schlamperei vorhalten. Nun ich seh nur, vom Staat aus könnt man regelrecht verhungern.
Ich möcht nur wissen, was die Frauen tun, die bloß auf das und die Gage angewiesen sind? Und das muß man sich alles ruhig gefallen lassen. Ich bin wirklich schon wütend auf diese ganze Soldatenwirtschaft.
Was hält man bei Euch draußen vom russ. Frieden? Wird er einen Halt haben. Die Entente gebärdet sich ja wie verzweifelt und macht Anstrengungen wie ein Ertrinkender um im letzten Moment die Russen noch auf ihre Seite zu ziehen. Aber ich glaube der Stein ist nun einmal ins Rollen gekommen und keine Macht der Welt kann ihn mehr aufhalten. Der nächste Friede wird der rumänische, wirst sehen. Die Hauptsache wäre die, daß wir jetzt von der Ukraine Lebensmittel bekommen um das aufgeregte Volk in Wien und überall vorläufig zu beruhigen, denn im Grunde genommen ist’s ja der Magen der Hungrigen, der schreit zum Generalstreik und zum Ausstand. Wunder ist es wirklich keines. Seit 14 Tagen gibt’s kein Fleisch in Wien, auf Schleichwegen natürlich ausgenommen, da kannst Du Dir, wenn Du’s nötige Kleingeld hast, auch einen Ochsen braten. Ja, ja Alles gibts heutzutage, nur keine Gerechtigkeit und Ehrlichkeit.
Im Militärkonsum [einem Verkaufslokal] bin ich noch, aber viel ist dort nicht los. Heute hab ich zwar um K 40.- eingekauft, aber das verkauf ich teilweise wieder an die Mama. Echte ung. Salami K 28.- pro Kilo, kostet wo anders 45-45.- Ich hab 40. dkg bekommen, die Hälfte verkauf ich der Mama, dann Citronen 20 h pro Stück, Marmelade, Seife, Frauenlob, Zühndhölzer und Äpfel, 2.90 pro Kilo. Gegen andere Geschäfte verglichen ist es ja wirklich nicht teuer, aber nur kriegt man das alle heiligen Zeiten. Im Fleischverein [?] krieg ich jede Woche einmal Fleisch ungefähr 80 dkg., worüber ich sehr froh bin, da ich doch für 3 Nachtmähler daraus bekomme. Diese Woche war ein ausgezeichnetes Rindfl. das Kilo 8.60. Also Du siehst sehr schlecht gehts mir nicht, allerdings fallen die elterlichen Zuschüsse sehr in die Waagschale.
Heute gehe ich hinaus [zu den Eltern] weil ich baden muß. Nun darf ich aber nach dem Bad nicht mehr ausgehen und muß deshalb draußen schlafen. Morgen früh gehe ich wieder nach Haus. Mama hat mir für morgen, Sonntag, ein Hendel gekauft, was ich mit großem Apettit verzehren werde.
Nun schließe ich liebster Poldi und hoffe morgen bestimmt noch den so lang versprochenen Brief zu erhalten.
Sei umarmt und innigst geküßt von Deinem Weibi

Wien, 23.II.1918.
Liebster Poldi!
[…] schnell zu Deinem Brief, der mir nun doch endlich neue Hoffnung gibt. Ich kann Dir garnicht sagen wie mir zu Mute wurde, als ich las daß Du nun in absehbarer Zeit heimkommst.
Mit einem mal hat meine Stimmung umgeschlagen, es war aber auch schön höchste Zeit liebster Poldi. Hoffentlich sind Deine Annahmen auch sicher und bist womöglich früher als Du selber denkst, in Wien. Daß bereits ein Ersatz für Dich da ist, ist eine ebenso überraschende wie erfreuliche Tatsache. […] Du Poldi, der H. weiß aber doch, daß Du offiziell nach Wien willst, nicht wahr? Er wird Dir doch nicht wieder etwa was „Passendes“, wieder an der Front verschaffen? Da wäre er nämlich mein Freund nicht. Was sagt Dein Adlatus dazu, daß er auch weiterhin zum Menagemeister verurteilt ist und nicht Dein Nachfolger wird? Ich glaube er wird sich zu trösten wissen, bei einer guten Spaise und einem guten Wein! Nicht wahr?
Übrigens mir scheint Du fürchtest Dich gar auf die häuslichen „Fleischersatztöpfe“ wie Du schreibst, ist aber nicht nötig, wir werden alle miteinander nicht verhungern, sei unbesorgt. Zu was hätte ich denn den ganzen Winter gehamstert? Mehl, Fett, Eier, Fleischkonserven, und eingemachtes Fleisch, letzteres zwar nicht bedeutend, aber besser wie nichts ist’s doch, und ich bekomme ja doch vom Gagistenverein [Vereinigung von Berufssoldaten] jede Woche mein Fleisch, und sonst krieg ich ja auch von der Mama öfter eins, also bitte betrachte unsere „Fleischersatztöpfe“ mit etwas mehr Achtung und Vertrauen!
Du fragst ob die Gelder [von der Kriegsliquidatur] nicht allzu schnelle Beine gekriegt haben, nun vorläufig noch überhaupt keine, weil ich sie noch immer u. ewig nicht hab, so ein Skandal! Heute ist es schon wieder 14 Tage, daß Papa dort war und man ihm sagte, daß ich das Geld bis längstens in 8 Tagen haben werde. Ja einen Schmarrn, oh pardon, das ist nicht sehr fein, aber es ist mir halt in die Feder gerutscht. Vielleicht kannst Du ihnen noch selbst die Leviten lesen, wenn Du kommst, was Sie sie wahrhaftig verdienen. Papa versprach mir nochmals hinzugehen.
Gestern war ich wieder beim Dr. N. [vermutlich dem Hausarzt], um mir den Brief zu holen, den ich dem Dr. L. [vermutlich dem Gynäkologen] übergeben will, wo alle meine Sünden drinnen stehen. Leider ist der Brief verschlossen, sonst hätt ich ihn gelesen, doch übrigens weiß ich leider so, was drinnen steht. Dr. N. ist sehr zufrieden mit mir und hat mir aber doch allerhand Maßregeln vorgeschrieben, die mir natürlich wieder nicht passen, aber meine neuen Pflichten verlangen doch, daß ich mich der besseren Einsicht füge. Das werde ich Dir aber alles dann mündlich sagen. Nach 3 Wochen, nach der Geburt muß ich dann wieder zum N., daß er mir den Katarrh gänzlich aufräumt, den bis jetzt mußte er mich in Anbetracht unseres „Kommenden“ wie ein weiches Ei behandeln, und trotzdem hat er es so weit gebracht, daß es mir ganz gut geht, nur brauch ich nachher eine kolossale Kräftigung.
Also, ich hab keine Angst, das wird alles wieder werden, wir gehen ja der schönen Jahreszeit entgegen, und dann, Unkraut verdirbt nicht, Du weißt ja, daß ich mich immer wieder sehr schnell erhole, so wirds auch diesmal sein. Daß ich viel Bewegung machen soll weiß ich recht gut liebster Poldi, tu ich auch, wenn schon nicht im Freien, so zu Hause, wo ich auch Gelegenheit genug dazu habe. Auf alle Fälle aber bitte ich Dich liebster Poldi, komme so bald als nur irgend möglich wenns auch Dir nicht auf 1-2 Tage ankommt, dem „Ernstl o. der Christl“ [dem erwarteten Kind] kommts darauf an, die fragen nicht, ob wann sie kommen dürfen, auf einmal sind sie, o. vielmehr ist es da, und wird sich dann denken, nein so ein grauslicher Vater, er ist nicht einmal da mich zu begrüßen, wenn ich komme! Also bitte beherzige das und laß es nicht so weit kommen, u. bereite Dich zum feierlichen Empfang vor.
Erinnerst Du Dich an die kleine M., vom S.-M. die Tochter, sie war auch im Komitee, (Ball d. St. W.) hat zur selben Zeit geheiratet wie wir, hat sich auch einen „Buben“ gewünscht, und hat gestern ein „Mäderl“ bekommen. Ebenso eine andere Bekannte, die 3 Tage vor uns geheiratet hat, hat schon vor 6 Wochen ein Mäderl gekriegt, die Folge davon ist, daß Mama schon in der höchsten Eckstase ist, wo denn „Unseres“ solange bleibt?
Mama fragt schon alle Tage ob es sich noch nicht anmeldet. Bisher ist das aber nicht der Fall, wer weiß ob er es überhaupt tut, vielleicht macht ers seinem Vater nach und überrascht mich eines schönen Tages. Ist alles schon dagewesen. Ich hätte auch gerade nichts dagegen, nur soll er wenigstens vor seinem „Vater“ soviel Repsekt haben, daß er ihm den Vorrang läßt, das gehört sich, nicht wahr? Nun ich bin gespannt was wir erleben werden. Wenns aber ein Mädel ist Poldi, wirst Du dann auch eine große Freude haben, und es lieb haben?
Dr. N. hat mir gesagt, wenns auch ein Mädel wird, das macht nichts, Mädels sind viel herziger als Buben, und da hat er wieder Recht. Er bat mich auch ihn gleich zu verständigen zu lassen, was es geworden ist, wenn er mein Gesicht sehen könnte würde er es gleich wissen, meinte er, wenn es sehr freundl. ist, ist’s ein Bub, wenn weniger, ein Mädi.
Der scheint seine Patienten sehr genau zu kennen, aber es ist immerhin sehr nett von ihm, daß er so viel Interesse hat, und nicht alles so geschäftsmäßig erledigt.
Er läßt Dir übrigens unbekannterweise auch sagen, daß Du in einem solchen Fall, wie wir nun erwarten, sofort einen dringenden Urlaub bekommst, weißt Du das, wenn Du auch sonst nicht Urlaubsberechtigt wärest. Bei ihm wars nämlich auch so. Seine Frau hat voriges Jahr ein Mäderl bekommen, und er konnte sofort nach Wien. Er war bis damals immer an der Front.
Nun schließe ich aber und hoffe nur daß auch Du nicht die Feder wegwirfst, bevor Du nicht auf der Bahn sitzt. Nun 1000 innigste Busserln von Deinem kleinen Weibi.

Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
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  • Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2013, S 55-83.
  • Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.

Das Ehepaar Wolf war verwandt mit der Familie von Louise und Adolf Müller, SFN NL 14 III, die in ihrer Feldpost auch Bezug auf sie nahmen (Link).

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 125, Briefe von Christine Wolf an Leopold Wolf, Datum, SFN NL 14 I, unter: URL