Category Archives: Edition_1. Weltkrieg in Selbstzeugnissen

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 120: Tagebuch von Bernhardine Alma, 25. Dezember 1917, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1917 12 25Bernhardine Alma (geb. 1895) lebte in einer gutbürgerlichen Wiener Familie. Gemeinsam mit ihrer Mutter und Dienstmädchen führte sie den Haushalt, der Vater war in leitender Position in der Donausdampfschiffgesellschaft tätig, Schwester Sigrid Alma (geb. 1891) als Fotografin, Bruder Marius  (geb. 1902) war Schüler. Schwester Cora von S. (geb. 1890) lebte nach ihrer Heirat in der Nähe. In ihrem seit 1908 regelmäßig geführten Tagebuch dokumentierte die 22-Jährige detailliert ihre Erfahrungen, Lebensumstände und Beobachtungen der Umgebung. Am Christtag 1917 beschrieb sie die erledigten Korrespondenzen, die absolvierten Besuche und Kirchgänge sowie die transferierte Geschenke. Das Festessen kommentierte sie als „gar nicht kriegsmäßig“. Neben einem Wiedersehen mit einem bestimmten jungen Mann wünschte sie sich schließlich „endlich Friede den Menschen auf Erden“.

Christtag 1917. 25./XII. 1917 abend Dienstag
Wir haben ein echtes Weihnachtswetter, so ruhige, weiße Wintertage mit solch lieben, schönen Schnee – – Ich danke Gott von Herzen – und bitte Ihn um Frieden – Frieden! Nun kurz nachholen! – Sonntag hl. Communion. Nachmittags Theater. Statt der „Schönen Helena“ war wieder die „Fledermaus“, weshalb die Marie [vermutlich das Dienstmädchen] statt der Sigrid ging. Die Operette (besonders die Musik) ist reizend, nur die Aufführung war nicht gerade auf der Höhe. Vorher war ich im St. Elisabethspital [wo sie regelmäßig verwundete Soldaten besuchte] und brachte der Schwester Karoline und der Haveria 1 Flasche Wein. Die Schwestern waren sehr nett und von der Haveria bekam ich ein herziges Heiligenbild. Diese Genügsamkeit, diese Reinheit und Kindlichkeit der Klosterfrauen ist beneidenswert. Ich hatte Weihnachts- oder Neujahrskarten der Sigrid, Sektionschef, dem H., S., Baronin T., der H. und der Elsa als Antwort auf ihren letzten Brief geschrieben und dann die an das Jarerl damals. [Bernhardine Alma hatte Jaro G. im Krankenhaus kennen gelernt. Er war im Sommer 1917 einige Male in der Familienwohnung auf Besuch gekommen (Link), inzwischen aber wieder zum Frontdienst eingerückt.] – Gestern bekam ich einen Brief vom Fritz [?], er hat Typhus und Malaria und ist im Spital, dann den Dank der Fürstin auf mein Beileid (ihr Neffe ist gestorben), dann eine Weihnachts=Neujahrkarte von der Erna v. T. (leider muß ich antworten) – Sonntag eine Weihnachtskarte von der W. (hab keine Adresse zu antworten). Heute eine von der S. (muß antworten). [Bei den drei genannten Frauen handelt es sich vermutlich um Kolleginnen bzw. Vorgesetzte im Rot-Kreuz-Dienst.]

Gestern also war Weihnachten und nicht sehr weihnachtlich, obwohl es herzig war und wir – auch heute – gar nicht kriegsmäßig gegessen haben. Mich freute es, daß dem Pa [Vater] mein Bröselteig gar so gut geschmeckt hat, besser als der gekaufte Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 119: Bittbrief einer unbekannten Schreiberin an Lilli Weber-Wehle, 26. November 1917, aus Mähren nach Wien

NL 21 Bittbrief 02_kleinLilli Weber-Wehle (geb. 1894) lebte in einem großbürgerlichen Wiener Umfeld. Seit 1913 war sie verheiratet mit Friedrich Weber (geb. 1886), der im Ersten Weltkrieg als Oberleutnant eingesetzt war. Im Nachlass von Lilli Weber-Wehle ist ein Bittbrief enthalten, den eine unbekannte Schreiberin aus Mähren an sie als Ehefrau des Kommandanten ihres Mannes gerichtet hat. Sie bittet darin, ihm Urlaub zu gewähren, da seine Arbeitskraft zu Hause nötig wäre. Als Gegenleistung bietet die Schreiberin Naturalien an. Neben der persönlichen Situation der Ehefrau eines Soldaten belegt dieses Schriftstück auch Kommunikationsstrategien.

Geliebte Frau!!
In Anfange meines Schreibens begrüße ich alle von Euch. Geliebte Frau ich bitte Euch sehr, Sei so gut und bitten Ihren Mann, ob so gut war und lassen den Franz M., nach Weinachten an Urlab gehen. Wir brauchen och das Holz in Wald machen. Wenn ich wird daß Ei und das Milch haben, werden ich Euch hälfen. Besser kann ich daß nicht Schreiben weil ich kann nicht viel so deutsch schprechen. Aber ich glaubt daß so gut werden und bitten Ihren Mann.
Mit Grüß
Die Familie M.

In Debalowitz N. 17 am 26/11 1917
[Post Wannowitz
Mähren] Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 118: Tagebuch von Anna H., 29. Oktober bis 10. November 1917, Graz

Anna H. (geb. 1903) besuchte eine private Klosterschule in Graz. Ihr Tagebuch von Oktober 1916 bis November 1917 liegt in der Sammlung Frauennachlässe als 112-seitige Kopie vor. Darin hat die bürgerlich sozialisierte Schülerin mit zumeist patriotischen Formulierungen kriegsbezogene Ereignisse – oder auch Gerüchte – eingetragen, die sie vermutlich aus Zeitungen abgeschrieben und dabei oft detailliert wiedergegeben hat. Ende 1917 hielt sie dabei u.a. fest, was sie über die russische „Revulution“ gehört hatte. Gleichzeitig formulierte sie auch immer ihren Wunsch nach einem baldigen Ende des Krieges. Die Einträge brechen nach dem 10. November 1917 unvermittelt ab. Weitere Aufzeichnungen sind nicht erhalten geblieben.

29.10. [1917]
Die Montagszeitung brachte heute ausführlichen Bericht: Görz [Gorizia], Monfalcone und Cividale von unseren und den deutschen Verbündeten eingenommen Über 100000 Gefangene, mehr als 700 Geschütze sind in unsere Hände gefallen. Die Mittagblätter melden daß Udine, eine Stadt in der venetianischen Ebene, in der unsere Truppen bereits festen Fuß gefaßt haben, durch die von unseren heldenhaften Truppen eingenommene Stadt Cividale in die Angriffszone {gerückt ist.} – Wie eben die Abendausgaben melden wurde auch der „Monte Sante“ und „Faite Hrb“ und der „große Pal“ erstürmt. Die Zahl der Gefangenen stieg auf 30.000, die Zahl der erbeuteten Geschütze auf 900. Den ganzen Angriff leitet unser gütige Karl I. [seit 1916 Kaiser von Österreich, geb. 1887] selbst. Auch Cormons, in /welchen/ einst die große Seidenspinnerzucht waren und das schon anfangs /anfangs/ des Krieges mit Italien von den Italienern eingenommen wurde, ist nun von unseren Truppen eingenommen worden. Mein Vater sagte heut habe der Feldmarschallleutnant v. Sch. zu ihm gesagt, er solle seine Verrechnungen mit dem Lt. von d. Proviantur ins Reine bringen, denn er meint das bald der Friede käme, dann natürlich alles drüber und drunter ginge. O! wenn dies so wäre! Wie würde da die Welt aufjauchzen! Der Friede solle werden mit Italien! Italien droht das gleiche Schicksal wie Rußland nämlich Revolution.
Italien muß dann Frieden /…/ ob es will oder nicht, denn sonst wird ihm das ganze Land weggenommen. Mit Rußland ist’s Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 117: Briefe einer Freundin an Anna Kozdera, 29. Oktober und 14. November 1917, aus Bohumin/Oderberg nach Wien

Anna Kozdera (geb. 1895) war gemeinsam mit ihrer Familie von Böhmen nach Wien migriert. Die Mutter arbeitete hier als Hausangestellte, der Vater als Kutscher. Anna Kozdera selbst war Näherin, v.a. stellte sie Herrenhemden her. Aus ihrer Jugendkorrespondenz sind nur die folgenden zwei Schreiben erhalten, die sie 1917 von der Schwester ihrer Freundin Annyken W. erhalten hat. Bertl W. berichtet auf den schwarz umrandeten Briefbögen, dass Annyken an der Ruhr verstorben war und schildert ihre letzten Lebenstage. Gleichzeitig wird die Organistation der kurz zuvor abgehaltenen Hochzeit beschrieben. Die Schreiberin dürfte ihrerseits als Hausangestellte gearbeitet haben.

Oderberg 29.10.1917.
Liebwertes Fräulein!
Vorallen bitte ich um Verzeihung wenn ich unbekannter Weise Sie Liebes Fräulein mit dem Zeilen Belästige. Eine tieftraurige Nachricht, die Ihnen fast unglaublich, vorkommen wird muß ich Ihnen mittheilen, und zwar das unsre inniggeliebte Schwester die tückische Krankheit erfaßt hat und an der Ruhr den 27.10.1917 gestorben ist.
8 Tage nach der Hochzeit erkrankte Sie, machten alle Hausmittel doch Gott sollte Sie haben und ließ kein Mittel helfen. Dann als Sie schon so schwach war mußte Sie in einen Krankenwagen überführt werden ins Spital wo wir Sie nicht sehn und sprechen durften. Ich fuhr einige male zu Ihr mit vielen Bitten gelang es mir zu erfahren welch Fenster es ist. Dort sah ich Sie, ertes mal konnte Sie kaum Wort vor Schwäche, Schmerz, und Bein hervorbringen, Sie brach zusammen, als Sie die Pflegerin aufstellte, wie ein Kind welches nicht laufen kann. Zweitesmal trug ich Blumen, Wein, Kognak hin da bar Sie selbst, so herzlich, man möge mich zu Ihr laßen. Doch wie grausam, Sie ließen mich nicht zu meiner treuen Schwesterl. Fräulein, wenn Sie es wißen möchten was das Schiksal für eine Lücke gerißen hat, von der Familie fehlte keines, gerade Sie die einzig gute, nie hatte ich einen Wortwechsel mit Ihr, gerade Sie mußte uns geraubt werden. Es ist ein Jammer und elend so hinauszutragen und nicht mahl zu wißen und zu erfahren welch Ihr letzter Wunsch war.
Wir mußten das Schicksal tragen. Doch welch Jammer den jungen Eheman anzusehn mit welch inniger Liebe hingen Sie eins ans andre wo eins von andern einen Wunsch erfuhr oder merkte so fort wurde er erfühlt. So plötzlich und so schnell ein so gesundes Fraun Zimmer wie unsre Anny war hinsichten, zu sehn und keine, Hilfe, leisten es ist bitter. Hoffe liebes Fräulein das Sie meine Zeilen antreffen und verbleibe Sie Herzlichst Grüßend Ihre Bertl W.
Herzlichste Grüße und besten Dank von meinem Mutterl

14.11.1917
Liebes Fräulein!
Herzlichen Dank Continue reading

Klicktipp: The Margaret Richards Millar Papers. Catholic Women’s Service in WWI (Portal)

Image-4The Catholic University of America (Web)

This collection consists of correspondence, clippings, a diary, and photographs, and memorabilia highlighting the work of Margaret Millar and the National Catholic War Council „Women Workers“ in France immediately following the First World War. (Link)

“Mother Millar,” or Margaret Richards Millar, was the head of the “Women Workers” sent from the United States to France by the newly-formed National Catholic War Council (NCWC) as part of the Committee on Special War Activities. Roughly a century ago, as the US increased its role in the First World War, the NCWC – predecessor to today’s USCCB – organized social clubs for the American Expeditionary Force. Placed throughout Western Europe, these clubs were operated by female staff, and necessitated a strong-willed and well-connected person to get the project off the ground in war-ravaged Europe. Millar was just that person. Read more … (Web)

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 116: Kriegsgefangenenkarten von Georg M. an seinen Freund, 21. Oktober 1917, aus Astrachan nach Wien

Von der Kriegsgefangenenpost des Wieners Georg M. (geb. 1884) sind nur 21 Poststücke erhalten, die er zwischen Juni 1916 und Oktober 1917 aus Moskau und Astrachan an der Wolga nach Hause geschickt hat. 17 Schreiben hat der gelernte Friseur an seine Verlobte Juli G. adressiert,  drei weitere an Bekannte. Auf der am spätesten datierten Karte aus Oktober 1917 erinnert er sich an gemeinsame Erlebnisse und gibt indirekt auch Hinweise auf die Gestaltung der freien Zeit im Kriegsgefangenenlager.

Astrachan, 21. X. 1917
Lieber Alois!
Deine lieben beiden Karten vom 9. U. 10 VII., am 9.X. dankend erhalten und freut es mich, alle meine lieben Freudinnen und Freunde samt Kinderln gesund zu wissen. Habe auch an Greterl, Loiserl und Mimi mehrere Ansichtskarten gesendet, sein selbe nicht angekommen? Ungemein erfreut war ich darüber dass Ihr alle mich so ins Herz geschlossen habt. Das auf diese Entfernung zu hören, tut wohl. An Lainz [wo der Freund wohnte] und die Jubiläumshäuser denke ich mit Vergnügen sehr oft und das Halmaspiel habe ich auch hier in Astrachan eingeführt und jedesmal wenn ich ein Halmabrett sehe, kommen mir die wütend-wilden Blicke Deiner „Göttergattin“ und lieben Frau, – meiner lieben Freundin Mina, ins Gedächtnis, die ich immer bei den Schluss-Tempis des Spieles „erdulden“ musste. – Nun, lieber Freund, bitte ich Dich noch die herzlichsten Grüsse an alle die zur Familie gehören zu übermitteln, desgleichen auch an sonstige Bekannte, allen die beste und bleibende Gesundheit wünschend. Lebt alle recht wohl, Euer stets an Euch und Dich denkender Freund
Georg

Sammlung Frauennachlässe NL 74
Es sind keine weiteren Poststücke aus der Korrespondenz von Georg M. erhalten. Zum weiteren Lebenslauf von Georg M. oder Juli G. konnte recherchiert werden, dass sie 1920 Eltern einer kleinen Tochter wurden.
Voriger Eintrag aus der Korrespondenz von Georg M. am 27. Juli 2017 Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 115: Tagebuch von Ella Reichel, 7. Oktober bis 28. November 1917, Neulengbach

NL 38 Tagebuch Ella Reichel 1917 10 07Ella Reichel (geb. 1905) wuchs im niederösterreichischen Neulengbach auf, wo die Eltern am Hauptplatz eine Eisenwarenhandlung führten. Die jüngere Schwester Anna war im Juni 1916 gestorben. Im Sommer 1917 war Ella Reichel in die Bürgerschule eingetreten. Seit ihrem 8. Lebensjahr hatte sie tagebuchähnliche Aufzeichnungen in verschiedenen kleinen Heftchen notiert. Ab 1917 führte sie ein gekauftes Buch mit seitlichem Schloss. In den Berichten ihrer verschiedenen Erlebnisse gab die 12jährige auch den Hinweis auf Konflikte mit dem Dienstmädchen der Familie. Diese Episode verweist indirekt auf Preisbindungen für Verkaufsgüter – und Handlungsspielräume wie Denunziation, die daran geknüpft waren. Daneben schilderte das Mädchen auch Propagandaveranstaltungen in der Schule.

7. Oktober 1917.
Die Schule hat wieder angefangen, es ist sehr lustig in der Bürgerschule. Im September und Oktober war ich 4mal in Wien beim Doktor, wegen meines Hautausschlages am Kopf. Jetzt habe ich manchmal so dumme Todesahnungen aber ich hoffe mit der Zeit werden sie vergehen, der Doktor in Wien hat gesagt, das komme in meinem Alter oft vor. Exzellenz D. [?] ist an Ruhr gestorben, seine Frau ist untröstlich. Vorgestern hat Mutter mit Marie [dem Dienstmädchen] einen furchtbaren Streit gehabt, Marie hat gesagt, sie wird die ganze Familie anzeigen, wegen Preistreiberei sind wir so schon angezeigt, wir sollten das Holz zu teuer […] verkauft haben, wir müssen 2000 Kr. Strafe zahlen. Nun, gestern hatten wir bei in M. eine große Hetze. Wir spielten Klavier und tanzten alle. Nun schließe ich. (…)

4. (Oktober) November 1917.
Gerade komme ich vom Kino nach Hause. Heute war es wirklich wunderschön, es wurde „Der Dorflump“ gezeigt. Ich habe mich so in das Stück hineingelebt, daß ich jetzt noch ganz verträumt bin. Meine Ferien sind jetzt auch zu Ende. Wir haben 4 Tage Ferien gehabt. Heuer war ich zum ersten Male bei der Allerheiligenprozession. Die W. [vermutlich eine Schneiderin] hatte unsere neuen Mänteln bis Allerheiligen nicht gemacht, Luisl und ich ärgerten uns furchtbar, heute haben wir sie erst bekommen. Sie sind wirklich fein und elegant geworden. Freitag putzten wir den Turnsaal in der Bürgerschule zu der Einnahme von Görz und überhaupt zu den großen Siegen am „Italienischen Kriegsschauplatz“ stattlich aus. Nach dem Aufputzen erlaubte uns der Herr Direktor P.  Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 114: Tagebuch von Bernhardine Alma, 16. bis 19. September 1917, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1917 11 17Bernhardine Alma (geb. 1895) war in einer gutbürgerlichen Wiener Familie aufgewachsen. Von 1908 bis 1979 führte sie ihr Tagebuch, das schließlich 47 Bänden umfasste, die geschätzt 25.000 Einträge enthalten. Im Sommer 1917 war die 22jährige in Jaro G. verliebt. Sie hatte den jungen Mann in einem Krankenhaus kennengelernt, wo sie regelmäßig Soldaten besuchte. Vor einigen Wochen war er wieder zum Frontdienst eingezogen worden. Nun hoffte die Schreiberin um so mehr auf ein baldiges Kriegsende.

16. IX. 17. Nachmittag, Sonntag.
Manchmal war’s mir, als könnte die Trennung vom Jaro auf mich ernüchternd wirken, als könnte das Hofmachen vom H. und L. [vermutlich zwei Kollegen beim Roten Kreuz] (der übrigens nach Milos Erkundigung Millionär sein soll) jenes Interesse und jene Bewunderung, die sich nicht in Worten, sondern im ganzen Wesen mir gegenüber ausdrückt, mich vom Jaro ablenken. Diese Gedanken sind ein Unsinn, vielleicht wär’s mir besser, wenn ich ihn nicht so gerne hätte, aber ich habe ihn sehr, sehr gerne; und ich wollte, er wäre da und ich dürfte ihn küssen! Ich habe ihn tief und aufrichtig gerne – wirklich und echt – und immer! – Ich glaube beinahe, daß heuer noch Frieden wird! – – Die Großeltern sind da und die Cora mit der Kleinen [die ältere Schwester der Schreiberin mit ihrer neugeborenen Tochter]. Das Kind ist riesig herzig, aber ich hab lieber, wenn sie nicht da sind. Cora kommt auch so zeitlich und muß doch merken, daß Ma [die gemeinsame Mutter] nicht entzückt ist davon. – Gestern bekam ich einen Brief von der Elsa [?]. Meine Jaro-Antwort habe ich schon aufgegeben, gestern. Heute empfing ich das Wunder der hl. Communion nach vorheriger Beichte. Was los ist, wenn ich wieder Zwetschkenknödel mache? Heute machte ichs. Gestern St.E.G. [vermutlich eine bestimmte Pfarrkirche] (…)

19. September 1917. abends.
Heute bekam ich eine liebe, sehr liebe Karte „Hochverehrtes Fräulein Hedy! Endlich Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 113: Briefe von Elisabeth Podpera aus Wien an ihren Sohn Viktor, 5. bis 18. September 1917, Wien

1917 09 05Elisabeth Podpera (geb. 1865) betrieb eine Wäscherei in Wien-Simmering. Das Unternehmen führte sie als Witwe alleine. Von der Feldpost-Korrespondenz mit ihrem Sohn Viktor („Wiki“, geb. 1896) sind drei Briefe erhalten, die sie im September 1917 geschrieben hat. Er war zu der Zeit in der Tragtierreserve der Mannschaftsersatzabteilung der 7. A. K. eingesetzt. In ihren langen Briefen beschrieb die 52-jährige Wienerin detailliert ihre aktuelle Einkommens- und Versorgungssituation. Sie schilderte das Befinden der Haus- und Nutztiere und legte auch geschäftliche Entscheidungen dar. Dabei ging es u.a. um die Frage, ob sie ein aus dem Militärdienst ausgemustertes Pferd kaufen sollte. Gleichzeitig sprach sie an, wie offen sie ihrem Sohn über ihre Sorgen schreiben könne.

5. September 1917
[zweites Blatt geschrieben auf vorgedrucktem Rechnungspapier]
Lieber Wiki
Mit Herzlichen grüßen beginne ich das Schreiben in Hofnung das Dich es gesund antrefen wird was uns betrift sind wir noch alle gesund ich habe dir schon lange versprochen ich schreibe und kome nicht dazu jeden Sontag ist immer was bei uns diesen Sontag war der Pepi Onkel bei uns dan bin ich ins Kino gegangen so kom auch nicht dazu also […] wirst villeicht doch einen Urlaub bekommen wen Du komen möchtest so wäre für etwas schon gesorgt wir haben jetzt für uns Brod weiß für Franzi u. Fani [die Geschwister des Empfängers] haben wir zu schlak karten [vermutlich Zuschlagkarten] bekomen so wäre schon genug auch haben wir von der W. das Erdäpfl Fuhrwerk dah bringd der Franzi sovil zu Haus was wir brauchen so ist etwas in Haus aber dafür habe ich jetzt gar kein Schmalz wie auch kein Kernfet ich weis nicht mit was ich kochen sol dan stel dir for die kleinen Schweinll [Ferkel] die was ich gehabt habe wie du zuhaus warst 8 Stük sind ale krank sind auch schon bis auf 3 hinworn [verendet] auch die sind nicht zum erhalten haben auch ale den Durchvall kanst Dir denken was ich wieder zum anschaun habe wis noch 6 waren häte ich 200 K bekommen, ich wollte 240“ gab es nicht her dan komt gar [niemand] aber die ersten 2 haben nicht die Krankheit sonst hätte ich wol um jede Preis hergeben dan haben die mit diesen Zeik [Zeug] angefank jetzt ist das ganze Geld verloren wie ich sag ich kann Dir keinen antren Brief schreiben als so eine immer lauder verlust dan fragst ob ich den H. zallen kann das kann ich schon aber sonst kann ich Dich nicht als lauder [Perzent] wir müssen nur Arbeiten für antere und wir bleibt gar kein Heller mit dem Hassen [Kaninchen] hat nur die Graue Junge die {antre} was zu früh Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 112: Bittbrief einer unbekannten Schreiberin an den Oberleutnant Friedrich Weber, 5. September 1917, aus dem Banat an einen unbestimmten Ort an der Front

NL 21 Bittbrief 01_kleinDer Wiener Friedrich Weber (geb. 1886) war im Ersten Weltkrieg als Oberleutnant eingesetzt. Er war seit 1913 mit Lilli Weber-Wehle (geb. 1894) verheiratet, das Paar lebte in einem großbürgerlichen Umfeld. Im Nachlass von Lilli Weber ist ein Bittbrief enthalten, den eine unbekannte Schreiberin aus dem Banat an ihren Ehemann gerichtet hat. Sie schilderte darin die Situation, die sich aus dem Fehlen seiner Arbeitskraft auf ihrem Weinbauernhof ergeben hat. Das Schriftstück belegt neben der persönlichen Lage der Ehefrau eines Soldaten zudem Strategien, die versucht wurden, um etwa eine Beurlaubung vom Fronteinsatz erreichen zu können, obwohl dadurch auch mögliche Sanktionen zu erwarten waren.

Temes Szepafaln V/9 1917
Liber herr Komandant
Ich bitte recht schön um entschuldigung, wen ich vileicht Inen Herr Komandant mit meiner bitte belestige.
Mein Man W. Johan ist seith voriches Jar noch nicht zuhause gewesen, u. ich habe mich im Weidenrutten weiß Schellen verkült, weil die Rutten im wasser waren, u jetz sol im Weingarten gehackt u geschprizt werden u ich bin für die Arbeit zu Schwach, u Körbe kann ich u mus sie machen, das ich doch unser brot verdine Daglöner kann ich keine bekommen für den Weinkartenarbeit u die Schbritze kann ich auch nicht dragen mein Gott ich weiß nicht was ich anfangen sol mit dem Weingarten. Das sol ich auch Kukurutz hacken u bin so Schwach und wen ich keinen haken kann wi sol ich meine Schwein mästen Liber Got im Himel was werde ich nur anfangen alle Männer sein im Felde u wer weiß wie lange der Krik noch dauerd, was wirt nochaus unz arme Weiber u Kinder. Ich bitte recht schön den Herr Komandant wen möglich meinen Man W. Johan zuhause zu lassen, damit er mir doch die Schwerste arbeid helfen sol.
Ich bitte recht Schön mein Man wegen meiner bitte doch nicht zu Straffen, In meiner ferzweiflung weis ich mir keinen ander rath mer,
In vorhinein dangend
Verbleibe ich einer Ergebenste
W. Elisabeth
Temes Szépfaln
Temes megye
Bei uj-Arad Continue reading