Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 07: Tagebuch von Bernhardine Alma, 26. bis 31. Juli 1914, Wien

Tagebuch von Bernhardine Alma, 26. Juli 1914Bernhardine Alma (geb. 1895) arbeitete nach Schulaustritt im Haushalt der Eltern. Sie versuchte, schriftstellerisch veröffentlichen zu können und hegte den Wunschtraum, als Schauspielerin engagiert zu werden. Unmittelbar nach der Kriegs-Erklärung im Sommer 1914 formuliert sie in ihrem Tagebuch die Idee, sich als Rot-Kreuz-Schwester anwerben zu lassen.

26. Juli 1914. abends.
Krieg und Kriegstaumel – Frohe, herrliche Kriegsstimmung bei uns und in Deutschland! – – Ich wollte gerne die heutige „Tagblattextrausgabe“ herein geben, aber sonst wird das liebe Tagebuch zu dick – ergo muß ich sie mit gleich vielen anderen so aufheben. – – Wir hatten den serbischen Generalissmus Bontnik gefangen – und wieder frei gelassen. In Berlin und anderen deutsche Städten waren Demonstrationszüge ähnlich wie bei uns – wo sie die ganze Nacht währten. Es ist eine riesige Kriegsbegeisterung bei uns. Italien hält auch die Bündnistreue. Der eigentliche Krieg hat noch nicht begonnen. Auch heute standen ungeheure Menschenmassen vor dem Kriegsministerium, den Offizieren, den Soldatenzügen Ovationen bereitend. Es herrschte so eine frohe Stimmung. – – – Einen Demonstrationszug mit der Fahne sahen wir, die die Volkshymne sangen, den Dreibund hochleben ließen und „Pfui Serbien“ riefen. Das waren meistens junge Burschen niederen Standes, hingegen die übrige Menge größtenteils aus feinem Publikum bestand. – Und einen Trupp Soldaten sahen wir in eine Elektrische steigen, zur Kaserne und von da aus zum Krieg fahren. Im Gegensatz zu den übrigen waren diese, ebenso der dazugehörige Offizier ziemlich ernst. Der eine war noch sehr jung (ein ganz gewöhnlicher Soldat) und hatte so ein liebes, blasses Gesichterl. „Jetzt wird’s ernst!“ sagte er mir. Und ich habe ganz ruhig mit ihm gesprochen und es freute mich, als er dabei heitrer wurde. Er sagte, daß ich mitfahren solle, gleich und ich solle zum roten Kreuz gehen. – Ich sagte auch, daß ichs‘ wollte. – Und ich will es so gerne! – Ich habe mir schon ausgedacht, daß die leichter Verletzten nach Wien kommen; da ist dann in der Kolnitzschule eine Station vom Roten Kreuz, wo ich 3 x wöchentlich von 3–6 hingehe. Aber ich ginge auch – von mir aus – mit Freuden hinunter an die Grenze. – Es liegt so ein Band der Zusammengehörigkeit um die ganze Monarchie und Deutschland auch. – Unser Thronfolger (Franz Ferdinand) hat ja Heer und Flotte auf diese Höhe gebracht – und ist jetzt tot. Schade um ihn! – Diese Kriegsfreude bei uns hat etwas Herrliches an sich! – Die Soldaten und Offiziere ziehen ja da fort, für uns zu kämpfen. O, ich möchte ihnen recht viel Gutes tun. – Oder ich möchte gleich ganz mit. – Ich möchte schon wissen, was heute in 8 Tagen los ist! – – –

[…] – Die Donau hat es gut. Die fließt jetzt nach Belgrad u. sieht, was dort los ist. Übrigens haben die Serben auch D.D.S.G. Schifferl beschossen [der Vater der Schreiberin war Angestellter der D.D.S.G.] und nichts getroffen! –

27. Juli 1914.abends.
Es sollen schon die ersten Schüsse gefallen sein. Über Wien ist der Ausnahmezustand verhängt. Wir haben also wirklich Krieg! – Krieg! – Aber nun wollte ich, daß es schon um wäre! Und ich möchte als Krankenschwester gehen! – (Nicht Nonne!) – Auch heute standen die Leute vor dem Kriegsministerium. Rumänien hält auch zu uns. In der Nacht – oder abends – war ein Festzug zu Ehren des Krieges, den sah ich aber nicht. – – – Der alte Fürst Windisch-Grätz ist mitgezogen, ebenso der alte Fürst Auersperg, zugleich mit seinem Sohn. Den Letzteren möchte ich heiraten. – Der Hof u.s.w. hat Belgrad verlassen. – – – – In Deutschland, Österreich-Ungarn ist eine begeisterte Kriegsstimmung. […] Wann wir Belgrad eingenommen haben werden? – Wann wird der Krieg aus sein? – Es ist etwas Großes über uns gekommen. Unsre Monarchie ist einig nichts von den sonstigen Streitigkeiten. Nun stehen sie alle zusammen, alle kriegsbegeistert, siegesfroh. – Aber ich will doch zur Bühne! –

28. Juli 1914. abends. Dienstag.
Heute vor einem Monat ist der Thronfolger ermordet worden – was wird in einem Monat sein? – Oben ist die Kriegserklärung. – Im Ungar. Abgeordnetenhaus oder wo haben sie reizend gesprochen. – Frankreich will keinen Krieg. Die Stimmung in Belgrad ist gedrückt. Bei uns und Deutschland hält die Kriegsbegeisterung an. – – Ich möchte aber doch, daß der Krieg schon wieder aus ist. – Was wird in 1 Monat sein? – Schade, daß Erzherzog Franz Ferdinand nicht mittun kann. Die Teuerung hat angefangen, aber [soll] nur anhalten, bis die Truppentransporte vorbei sind. – Unsren lieben alten Kaiser haben sie so gerne, des gehört sich. – – – Ich hab der Mama den Rat gegeben, ihre Kriegserlebnisse aufzuzeichnen, was sie auch machen [wird]. Sie ist mitunter sehr lieb zu mir, Papa auch. Papa interessiert der Krieg auch mehr wie seine Operette [die er gerade komponiert hat]. […]. – Den Erzherzog Friedrich mag ich ganz gerne, aber der tote Thronfolgerwäre mir lieber. Nur kommt es drauf nicht an.

29. Juli 1914. Mittwoch, abends.
Wir haben 2 serbische Schiffe gefangen und zogen sich die Serben nach kurzem Gefecht zurück. Der Kaiser kommt morgen nach Wien. Die Kriegsbegeisterung dauert fort. – – An den Straßenecken, an den Mauern, Häusern ist das Manifest des Kaisers angeschlagen, welches direkt reizend ist. Wirklich schön! Und dabei solch ein lieber, alter Mann! – Ferner ist der Aufruf des Bürgermeisters gegen die Teuerung angeschlagen. Brücken werden militärisch bewacht. Papa [Maximilian Alma/Altmann, geb. 1864] hat gestern so lieb gesagt, wie er in den Krieg ginge, nur nehmen sie ihn nicht, dürfe (glaube ich) er nicht. Das ist doch rührend! Die Teuerung ist auch nicht so arg. Das Manifest ist wirklich süß! Ich hätte es ganz herein gegeben, kann es aber im Interesse des Tagebuchs nicht tun. – Hoffentlich ist aber doch mit Rußland kein Krieg und bald wieder Schluß! – Sigrid [die ältere Schwester] und ich meldeten uns heute in der Frauen-Organisation (einen Aufruf folgend) für freiwillige Dienstleistungen wegen des Krieges; ich für Nachmittags 3–6 h. Natürlich unbezahlt. Wenigstens habe ich mir genug getan und etwas fürn Krieg beigetragen. Es muß ja herrlich sein, so für etwas Schönes kämpfen zu dürfen und einerseits sind die fast zu beneiden. – Aber wie schrecklich ist es dann für die Überlebenden, denen einer gestorben. – Wie schrecklich der Gedanke, daß da Menschen sich gegenüber stehen, sich zu morden, wie es vor 1000 Jahren getan. – „Du bleibst dich immer, was du bist!“ Trotz der Kultur brach wieder der Mensch durch, ja er benützt die Kultur, seinen Untrieben zu folgen. Wie schrecklich so ein Krieg einerseits – und wie schön, erhebend anderseits! – – –
Bei uns wurden die Freiwilligen, die noch Knaben oder schon alte Männer sind, natürlich abgewiesen. In Serbien mußten sie dazu. In Serbien muß es schrecklich sein? – Ach, und der Gedanke! – Während ich hier so sitze und schreibe, kämpfen sie da unten an der Grenze – kämpfen und sterben – oder werden verletzt. Wenn ich nur etwas für sie tun könnte! Pflegerin läßt mich Papa wieder einmal nicht werden! – – –

Freitag, abends. 31. Juli 1914.
Es ist wie ein süßer Trost – wie etwas Aufrichtendes, ein Erhebendes, daß ein Gott ist, ein Gott, der die Geschicke der Völker lenkt und die Einzelnen. Und vertrauend sehe ich zu Ihm empor und wie Er es schickt, ist es gut; muß es gut sein, sonst wäre es ja anders! – Heute Nachmittag habe ich die später folgenden Kriegsfragen herein geschrieben – denn ich habe genug vom Krieg und ganz genug! – Mag sein, daß der Krieg eine politische Notwendigkeit war, daß es nötig war, daß wieder mal das menschlich Leidenschaftliche über die Kultur triumphiere, zeigend, daß die Menschen doch Menschen geblieben sind. Aber ich finde einen Krieg schrecklich und schrecklich, daß da so viele sterben müssen – so viele unglücklich werden! – Und doch mag es ein herrliches Gefühl sein, fürs Vaterland zu kämpfen – aber schrecklich für die, die nicht mit können. Wie viele Frauen, Mütter, Bräute, Schwestern jetzt wohl in Österreich weinen! – – Ich möchte so, so, so gerne mit – als Pflegerin; so gerne! Wieder einmal lassen mich die Eltern nicht. Das ist so schrecklich. – Der Onkel Bruno ist einberufen. – Der Kaiser ist in Wien. – Wir haben Siege davon getragen. Ich möchte so gerne wissen, was mit Rußland sein wird! In der Kolonitzschule sind Soldaten einlogiert. Der Krieg liegt auf mir, mit einer Schwere, einem Druck – von dem ich mich nicht befreien kann. – Draußen klingt Pferdegetrappel – Kriegspferde.
Immer wieder der Krieg! – Ich wollte er wäre aus oder hätte nie angefangen. – Wenn da die Zahl der Verwundeten steht, wie viele Ängste und Schmerzen liegen in diesen Zahlen, die keinen Namen nennen. Bisher sind unsere Verluste unbedeutend. Aber noch so wenig ist schon zu viel. – Schließlich tun mir die einzelnen Serben auch sehr, sehr leid. […] Heute vor 8 Tagen wußten wir noch nicht, daß es zu einem Krieg kommt. Gott muß es wissen, wozu es gut ist – und die Zeit wird es lehren! – Hoffentlich stehen morgen angenehme Nachrichten in der Zeitung! –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 07, Tagebuch von Bernhardine Alma, 26. bis 31. Juli 1914, SFN NL 09, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=17580