Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 06: Tagebuch von Bernhardine Alma, 24. und 25. Juli 1914, Wien

Tagebuch von Bernhardine Alma, 24. Juli 1914Bernhardine Alma (geb. 1895) hatte nach der Volks- und Bürgerschule einen privaten “Mädchen Fortbildungskurs” des “Katholischen Schulvereins für Österreich” in Wien 2 besucht. Einer Berufstätigkeit war nicht vorgesehen, vielmehr war sie – wie ihre beiden älteren Schwestern – in den Arbeitsablauf des bürgerlichen Haushalts eingebunden. Erst 1912 hatte die sechsköpfige Familie eine großzügige Wohnung in einem repräsentativen Neubau an der Weißgerberlände in Wien 3 bezogen.

24. Juli, abends. Freitag
Morgen um die Zeit weiß ich es! Nämlich, ob Krieg wird. – Ach, keinen Krieg – es ist doch schade, so schade, wenn Österreicher erschossen werden – mein liebes, süßes Österreich! – Österreich hat nämlich Serbien ein Ultimatum vorgelegt mit 10 Forderungen und hat Serbien sich morgen um 6 Uhr zu entscheiden. Natürlich ist Deutschland ganz und voll auf Seite Österreichs. Dieses Ultimatum ist ja so plötzlich gekommen – so energisch – so schön! Jetzt werden die dummen Serben hoffentlich klein werden, ganz klein. – Obiges ist in der beiliegenden Presse genauer und schöner gesagt. – Hoffentlich entscheidet sich die serbische Regierung schon bälder, und steht morgen Früh in der Zeitung, daß sie nachgegeben haben, klein geworden sind. Anderseits wäre es auch schön, wenn Österreich Belgrad einnehmen möchte, aber es sollen nicht so viele im Krieg sterben, am wenigstens die Österreicher. Der Baron R. [ein Bekannter der Familie] hat erzählt, daß in den Kaffeehäusern in Hietzing nur der Prinz Eugenmarsch gespielt worden ist. Es herrscht in Österreich freudige Kriegsstimmung. Ich habe mein Österreich ja so gerne! – – – – – – Ich möchte schon wissen, wie es sein wird! – – –  (…) Was wird morgen sein, was? –Mama denkt bestimmt daran, daß ich im Oktober wieder in die Urania zu meiner süßen L. [Kunstlehrerin] gehen werde. Ich werde ja sehen, wie es kommen wird. – Was die serbische Regierung wohl beschlossen hat? – –

25. Juli abends Samstag.
Den neusten Nachrichten zufolge soll Serbien die Forderungen der Monarchie annehmen. Selbst England ist teilweise für uns, Italien, Bulgarien und die Türkei stehen auf unserer Seite, von Deutschland gar nicht zu reden. Der Augenblick der Überreichung des Ultimatums soll großartig gewesen sein. Graf Bechtthaler und einige andere Minister (ob der liebe Tisza auch, weiß ich nicht) sind in Ischl. In Österreich ist ja solche Kriegsbegeisterung – nicht nur in Wien, in ganz Österreich und Deutschland! – – – Ich bin ja so stolz, eine Österreicherin zu sein – und habe Österreich u. Deutschland ja so gerne! – Rußland wollte umsonst eine Fristverlängerung. Ob der Baron Giesl noch in Belgrad ist? – – Was die Minister jetzt beschließen? – Denn Serbiens Antwort muß um 6 Uhr erfolgt sein, ist sie jetzt schon in Wien. – Bei uns ist es ja so für den Krieg – hingegen sie in Serbien so gedrückt sein sollen. – Ich möchte so gerne schon wissen, wie es ist. – Es ist ja so etwas Herrliches um – ich kann mich nicht so recht ausdrücken, wie ich es meine, das ist ja auch gleich. Wie’s der Berghold meint, der Graf Tisza und die ist viel wichtiger. Der serbische Kronprinz soll angenommen haben – der König ist krank. Schade, Schade, daß Erzherzog Franz Ferdinand das nicht erlebt hat. Die Energie Österreichs ist so großartig. – Was wird in 8 Tagen um die Zeit sein? – – – Nun anderes: Heute war ich in der Rochuskirche beichten und zwei bei einem direkt reizenden Geistlichen der hatte solch

später
Ich konnte vorhin nicht weiter schreiben, denn ich mußte mit Marius [dem kleinen Bruder, geb. 1902] um Nachricht gehen – na also: Schon in der Radetzkystraße rief ein Vorübereilender: Krieg! Ich mußte leicht aufschreien, als ich’s hörte. Und am Ring war ein Offizier mit einer Extraausgabe. Ich redete ihn an – „Die Kriegserklärung! – Gott sei Dank!“ war seine Antwort, mit der er mir das Zettel zeigte – u.s.w. – Vor dem Kriegsministerium war eine etwas 1000 Menschen fassende Menge. – Hochrufe durchzitterten die Luft, die Hüte wurden geschwungen – dann sangen sie die „Wacht am Rhein“ – „Lieb‘ Vaterland! Magst ruhig sein“ Und dazwischen immer wieder die Hochrufe, dabei so ein schöner, ruhiger Abends – ein Begeisterungstaumel schien fast die Menge ergriffen zu haben, und das riß hin und ergriff. – Ich werde den Augenblick schwerlich vergessen, wie ich da unter der kriegsbegeisterten Menge stand – vor dem Kriegsministerium und es unter Hochrufen erklang: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein!“ Also, – wirklich Krieg! – „In deine Hände, Vater Sei Anfang und Ende Sei alles gelegt!“ – – – Cora [die ältere Schwester, geb. 1890] tut mir ja so leid, weil sie um ihren Sergius [dem Verlobten] Angst hat, aber Papa behauptet, daß er nicht einberufen werde. – Ich hoffe es auch nicht. Cora soll sich erst ängstigen, bis es nötig ist. – Nun aber noch von früher. – Der Geistliche hatte – Ich werde morgen in Ruhe weiter schreiben! –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 06, Tagebuch von Bernhardine Alma, 24. und 25. Juli 1914, SFN NL 09, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=17574