Die 28jährige Steirerin Maria E. war vierfache Mutter. Ihre Kinder waren zwischen einem und fünf Jahren alt und sie führte für jedes von ihnen ein sogenanntes ‚Müttertagebuch‘. Das Buch für den 1914 geborenen Heribert, genannt Nusserl oder auch Berterl, liegt in der Sammlung Frauennachlässe in Auszügen als PC-Abschrift vor. In diesen Büchern wurde die jeweilige Entwicklung der drei Buben und des Mädchens eingetragen. Daneben werden Ereignisse aus dem familiären Umfeld geschildert, wobei u.a. die aktuell gewordene Versorgungslage dokumentiert ist, die inzwischen auch besser situierte Familien betroffen hat. Im Juni 1918 wurde Maria E.s Ehemann vom Fronteinsatz nach Graz versetzt. Dabei brachte er u.a. auch Lebensmittel mit. Das Müttertagebuch von Maria E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.
Wieder vereint.
5. Juni: Um 5 Uhr früh kommt endlich der Papa und geht nie mehr fort. [Adolf E., geb. 1885, war als Jurist von einem Kriegsschauplatz in Italien an das Gericht in Graz versetzt worden.] Jubelnd sagt sich das unser Heribert immer wieder. Dann geht es ans Auspacken. Die Großmama muß auch dabei sein. Wieder gibt es Kirschen [Adolf E. hatte wenige Tage zuvor bereits Kirschen durch einen Boten senden lassen], wobei Nuß nicht zu kurz kommt, da er ja lange schon gar nichts mehr angestellt hat. Aber auch alles andere interessiert ihn, besonders die große überzogene Kiste, die zusammengerollte Matratze, die Leintuch-Landkarte, und die zahlreichen Photographien, wo überall der Papa und viele Kanonen darauf sind.
6. Juni: Berterl darf mit dem lieben Papa zu Dr. J. Darob viel Freude.
7. Juni: Wir gehen nach Andritz [Ortsteil von Graz]. Nusserl erwirbt sich an Mama G. und Lenerl schon wieder neue Freunde. […]
20. Juni: Heribert hat eine ziemlich große Phantasie. Die Geschichten, die ihm erzählt werden, malt er sich alle schön aus. Mit dem großen Bruder [dem 5jährigen Elmar] spielt er oft „Adam und Eva!“ Beide setzen sich dabei unter Karlis [geb. 1917] Schlafwagen und sprechen mit geteilten Rollen. Den „Apfel“ pflücken sie unter entsprechenden Gesten aus der Höhe und das scheinbare Essen macht ihnen großes Vergnügen.
30. Juni: Tante Mizzi aus Gnas [in der Südoststeiermark] machte für die Buben Anzüge aus Sandsäcken und Heribert paßt er besonders gut. „Die Tante Mizzi ist wohl brav!“ wiederholt er ein um das andere Mal und geht im neuen Gewand dem Papa entgegen. Der Kleine ist nicht eitel, nur freut er sich mit jedem Ding, das ihm gehört und gibt auf alles, auch auf Kleider sorgsam acht. […]
6. Juli: Ich bin in Heriberts Ansehen gestiegen, weil ich [von einem Krankenhausaufenthalt] auch einmal einen vollen Koffer mitgebracht habe. Am meisten freuen den zweiten die Nüsse von der Gnaser Tante! Continue reading →