Veranstalterinnen: Mariacarla Gadebusch Bondio, Andrea Bettels, Kyra Inachin, Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterstudien an der Universität Greifswald, Greifswald
Zeit: 08.-10.10.2009
Ort: Internationales Begegnungszentrum „Felix Hausdorff“, Greifswald
Deadline:30.03.2009
Kann heute noch von „Tugenden“ die Rede sein? Der deutsche Terminus klingt, anders als das englische „virtues“ unmodisch und veraltet. Wir ziehen es vor, von „Fertigkeiten“ oder „guten Eigenschaften“ zu sprechen, denn diese Begriffe sind anscheinend wertneutraler. Doch trotz modernerer Bezeichnungen werden Modelle von Tugendhaftigkeit weiterhin propagiert. Sobald zum Beispiel das Profil eines vorzüglichen Philosophen, eines guten Arztes, eines exzellenten Forschers, einer herausragenden Managerin oder einer guten Mutter thematisiert wird, findet eine Stilisierung statt, die nach unausgesprochenen moralischen, ästhetischen, standesethischen und berufspolitischen Vorstellungen verläuft. All diese Vorstellungen sind seit jeher geschlechtlich kodiert und generieren spezifische Erwartungen an angemessenes sittliches Handeln. Es entsteht ein unsichtbares Korsett der Tugenden, das, je nachdem, von wem und für wen es geschnürt wird, stützend, formend, schützend aber auch einengend oder sogar erstickend wirken kann.
Tugenden, bzw. moralische Eigenschaften sorgen nach wie vor für Diskussionsstoff. Das Wiederaufleben der moral virtues in Strömungen der medizinischen Ethik z.B., die die Herausbildung und Stärkung von medical virtues befürworten, ist kein isoliertes Phänomen. Aktuell wird das Sittliche immer mehr in soziale Kontexte und Traditionen eingebettet, ebenso lässt sich eine Ausdifferenzierung moralischer Tugendkataloge innerhalb verschiedener Ethikbereiche, wie der Unternehmens- oder Umweltethik, feststellen. Im Rahmen dieser Diskussion dienen Aristoteles, Thomas von Aquin, Kant – um die bevorzugten Philosophen zu nennen, wenn es um virtutes geht – eher herausgelöst aus ihrem historischen Rahmen als legitimierende Quellen für aktuelle Tugenddiskurse. Den Implikationen einer solch unreflektierten Rezeption gilt es, eine bewusst interdisziplinäre, genderkritische und diachrone Betrachtung entgegenzusetzen, in deren Zentrum Diskurse über die Tugenden und ihre historischen Entwicklung stehen. Entsprechend soll diese Veranstaltung wissenschaftshistorische Perspektiven mit interdisziplinären Diskussionen verknüpfen und damit Vertreterinnen und Vertreter angewandter Ethikbereiche (medizinische Ethik, Umweltethik, Wissenschaftsethik) ins Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen der Geistes-, Human-, und Kulturwissenschaften bringen. Wir laden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen herzlich ein, diese interdisziplinäre Diskussion mit uns in Greifswald zu führen. Das Symposion gliedert sich in folgende Themenbereiche, zu denen Vorträge erbeten werden:
- Wie lassen sich klassische Tugendmodelle adaptieren? – Rezeptionsfragen
- Prekäre Vorbilder? – Exempla als wandelnde Sittlichkeitsmodelle
- Tugenden als Normalitätsmaß? – Differenzen im Fokus
- Wie „natürlich“ bzw. „kultiviert“ sind Tugenden? naturwissenschaftliche und ästhetische Betrachtungen
Bitte senden Sie Titel und Abstract Ihres Beitrages (auf Deutsch, Englisch oder Französisch)
bis zum 30. März 2009 an das IZFG.
“In the Corset of Virtues” – On the Cultural History of Morals and Gender
Compared with the English “virtues”, the German term sounds rather archaic. Germans prefer to talk about abilities (Fertigkeiten) or good qualities (guten Eigenschaften) because these terms seem more neutral. Nevertheless, despite these circumlocutions, older models of virtuousness (Tugendhaftigkeit) are still valid. For instance, an outstanding philosopher, a exceptional physician, an excellent scientist, a successful manager, or a good mother is commonly characterized in moral, aesthetic, ethical and professional terms. These concepts have always been gender-coded, giving rise to specific expectations as regards appropriate conduct. As a result, an invisible corset of virtues is constructed, which, depending on who it is applied by or to, can stabilize, form, protect, but also suffocate. At present, discussion of virtues or moral values is undergoing a renaissance in the field of medical ethics, with a view to developing and reinforcing medical virtues. Moral values are more frequently being embedded in social contexts and traditions. Also, it is possible to differentiate catalogues of virtues within various fields of ethics, for example the ethics of ecology or economics. Aristotle, Thomas Aquinas, and Kant, to name only the most famous examples in this connection, are often quoted out of their historical context as authorities for current discourse on virtues. It is the aim of this conference to counter such unreflecting reception with a consciously interdisciplinary gender-critical and diachronic approach, concentrating on the discourse on virtues and its historical dimensions. We aim to provide a platform for interdisciplinary discussion among representatives of the various fields of applied ethics (medical, environmental and scientific ethics) and the humanities, taking the history of science and of ideas into account. We hereby invite scholars from the various relevant disciplines to take part in this discussion in Greifswald. The conference will focus on the following topics:
- How can classical models of virtuousness be adapted for our time? – Questions of reception
- Precarious role models? – Exempla as living models of virtue
- Virtues as a measure of normality? – Differences in perspectives
- How “natural” or “artificial” are virtues? Scientific and aesthetic views.
Papers falling strictly within one of these four topics may be submitted (in
German, English or French) to the IZFG by 30 March 2009.
Kontakt:
Andrea Bettels
Interdisziplinäres Zentrum für Frauen- und Geschlechterstudien an der Universität Greifswald
Anklamer Straße 20
17487 Greifswald
+49 (0)3834863190
+49 (0)3834863192
izentrum#uni-greifswald.de
aus: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=10515