Vortrag – Kordula Schnegg: Gender Transgression in der Antike. Erzählungen von Eunuchenpriestern und Hermaphroditen, 09.06.2009, Innsbruck

3. INNSBRUCKER GENDER LECTURE
Kordula Schnegg, Universität Innsbruck: Gender Transgression in der Antike. Erzählungen von Eunuchenpriestern und Hermaphroditen
Kommentar: Margret Friedrich, Vizerektorin der Universität Innsbruck
Zeit: 9. Juni 2009, 19.00 Uhr
Ort: Universität Innsbruck, SoWi, Universitätsstr. 15, 3. Stock OST: Fakultätssitzungszimmer
Antike Texte vermitteln weitgehend klare Vorstellungen davon, was Männlichkeit und Weiblichkeit zu bedeuten hätte; was einen männlich bzw. einen weiblich definierten Aktionsraum ausmachen würde und wie eine Geschlechterhierarchie zugunsten des männlichen Geschlecht auszusehen hätte.1) Es ist überwiegend von einem binären Geschlechtersystem zu lesen. Die Zuordnung zu einem Geschlecht erfolgt dabei primär auf der Grundlage sehbarer Körpermerkmale.
Trotz dieser Vorstellungen, die in den antiken Texten expliziert werden, scheint das binäre Ordnungssystem aber immer wieder gesprengt worden zu sein. Denn: Es sind uns Übertritte normativer Geschlechtergrenzen (gender transgression) bekannt. Literarische Zeugnisse berichten in verschiedenen Zusammenhängen von einem Ausbrechen aus der Geschlechterdichotomie, wobei dieses Ausbrechen auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann:
1. Die Geschichte weiß von Menschen zu berichten, die körperlich verstümmelt (kastriert) wurden: z.B. für kultische Zwecke oder als Strafmaßnahme im Krieg.2)
2. Die Geschichte erzählt auch von Menschen, die zweigeschlechtlich (bzw. einem Geschlecht nicht eindeutig zuordenbar) zur Welt kamen: So berichtet uns Plinius der Ältere im 1. Jh. n.Chr., dass es vereinzelt Frauen gäbe, die eine natürliche Ähnlichkeit mit dem männlichen Geschlecht hätten und es gäbe Menschen, die beiderlei Geschlechts (Hermaphroditos) hätten.3)
3. Es gibt Erzählungen darüber, wie Menschen bzw. mythische Figuren im Laufe ihrer Biographie das Geschlecht ändern: Ein bekanntes Beispiel aus der Antike ist Tiresias, eine Seherfigur aus dem thebanischen Sagenkreis. 4)
4. Die Geschichte weiß auch von Menschen zu berichten, die zwar einem Geschlecht zugeordnet sind, aber aufgrund ihres Verhaltens den geschlechtsspezifisch definierten Aktionsbereich überschreiten und sich in ihrer zugewiesenn Identität als Mann wie eine Frau verhalten oder umgekehrt. Für die römische Antike ist als Beispiel Fulvia zu nennen, die gegen Ende der römischen Republik eine machtvolle Position einnahm und von römischen Historiographen mitunter negativ charkterisiert wurde, weil sie scheinbar wie ein Mann handelte, indem sie militärisch und politisch aktiv war, wie es eigentlich nur ganz bestimmten Römern vorbehalten war. 5)
In der Gender Lecture wird das Augenmerk auf Personengruppen gelenkt, die aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung als etwas Außergewöhnliches, als etwas Anderes definiert sind. In Anlehnung an das theoretische Konzept von Joan W. Scott wird speziell den Fragen nachgegangen, wie werden sexual differences in antiken Texten vermittelt und welche Bedeutungen werden ihnen zugeschrieben.6)
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1) Vgl. dazu Thomas Späth/Beate Wagner-Hasel (Hg.), Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart 2000. Robert Rollinger/Christoph Ulf (Hg.), Geschlechterrollen und Frauenbilder in der Perspektive antiker Autoren, Innsbruck u.a. 2000. Christoph Ulf/Robert Rollinger (Hg.), Geschlechter – Frauen – Fremde Ethnien. In antiker Ethnographie, Theorie und Realität, Innsbruck u.a. 2002. Christoph Ulf/Robert Rollinger, Frauen und Geschlechter. Bilder – Rollen – Realitäten in den Texten antiker Autoren der römischen Kaiserzeit, Wien u.a. 2006. Robert Rollinger/Christoph Ulf, Frauen und Geschlechter. Bilder – Rollen – Realitäten in den Texten antiker Autoren zwischen Antike und Mittelalter, Wien u.a. 2006.
2) Peter Guyot, Eunuchen als Sklaven und Freigelassene in der griechisch-römischen Antike (Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik 14), Stuttgart, 1980, S.15-37.
3) Plin. n.h. 11,109,261.
4) Vgl. Z.B. Luc Brisson, Sexual Ambivalence. Androgyny and Hermaphroditism in Greco-Roman Antiquity, translated by Janet Lloyd, Berkeley u.a. 2002, speziell S. 115-130.
5) Vgl. z.B. Robert A. Fischer, Fulvia und Octavia: die beiden Ehefrauen des Marcus Antonius in den politischen Kämpfen der Umbruchszeit zwischen Republik und Principat, Berlin 1999.Kordula Schnegg, Zur Konstruktion der Geschlechter bei Appian aus Alexandrien, Dissertation, Innsbruck 2006 (in Vorbereitung zur Drucklegung).
6) Joan W. Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review
91, No. 5 (December 1986). Joan W. Scott, Gender and the Politics of History (Gender and Culture), New York 1988. Vgl. dazu aber auch: Claudia Honegger/Caroline Arni (Hg), Gender – die Tücken einer Kategorie: Joan W. Scott, Geschichte und Politik. Beiträge zum Symposion anlässlich der Verleihung des Hans-Sigrist-Preises 1999 der Universität Bern an Joan W. Scott, Zürich 2001. Joan W. Scott, Unanswered Questions, in: American Historical Review 113, No. 5 (December 2008) 1422-1429.
http://www.geschlechterforschung.at/

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