Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 12: Briefe von Christine Stephani an ihren Vater, 13. und 22. August 1914, Chemnitz

NL 177 Christine Stephani 1914 08 13Die 16-jährige Christine Stephani (geb. 1898) besuchte eine Internatsschule in Gnadau in Sachsen-Anhalt. Ihr Vater und ihr Bruder Kurt Stephani (geb. 1896) waren Militärangehörige und seit Kriegsbeginn eingerückt, ihre ältere Schwester Elisabeth Stephani (geb. 1895) meldete sich nach der vorgezogenen Matura als Kriegskrankenschwester. Sie selbst engagierte sich in privaten sowie in schulisch organisierten ‚Liebesgabenaktionen‘.

Chemnitz, d. 13. 8. 1914
Mein lieber Vater!
Mutti und ich sind wieder mal allein zu Hause. Elisabeth treibt sich in Plauen rum [wo sie gerade die Matura abgelegt hatte]. Dienstag muß ich nun leider auch wieder nach Gnadau [in die Schule]. Gestern waren wir mit Frau S. in Grünau auf dem Bahnhof um Soldatenzüge zu erwarten. Wir hatten Zigarren, Zeitungen, Schokolade und Pfefferminz en masse mit. Die Züge fuhren ganz langsam vorbei, so daß man bequem hineinreichen konnte.
Auf Tafeln Schokolade und Zeitungen habe ich meine Adresse und viele Grüße und Glückwünsche geschrieben. Hoffentlich schreibt mir jemand mal. Grüße an Dich und Kurt habe ich auch mit draufgeschrieben. Das Wetter ist herrlich, hoffentlich bratet ihr nicht so sehr. Hab nur rechten Mut und furchtbaren Haß gegen eure Feinde, dann siegt ihr auch.
Der Pferde hatten wir auch gedacht in Grünau. Wir hatten Packete mit je 12 Stück Zucker gemacht und „für die lieben Pferde“ draufgeschrieben. Hoffentlich haben’s die Soldaten nicht selbst gegessen. Nun Schluß. Tausend Siegesgrüße von Deiner Tochter Christine.
Grüß Klopfer [den „Burschen“ des Vaters]

22. August 1914, Gnadau
Mein lieber Vater.
Nun bin ich wieder in Gnadau, doch gar keine Lust zum Lernen wegen der täglichen Spannung. Von Halle nach Gnadau fuhren wir mit Einberufenen, einer kam aus […] und muß sich in Hamburg stellen, Frau und Kinder hat er noch dort. Wir sangen mit ihnen Kriegslieder. Es war herrlich. In […] war ein verwundeter Soldat, der Lüttig mit erobert hatte. Als wir gestern, Freitag, die herrliche Nachricht von Metz erhielten, umarmten wir uns. Die schwarz-weiß-rote Flagge wurde gehißt unter dem Gesang „Die Wacht am Rhein“. Sicher war 181 [Regiment des Vaters] bei Metz dabei. Schreibe mir doch bitte mal.
Jeden Mittag bekommen wir die neuesten Telegramme vorgelesen. Wir stricken furchtbar eifrig, ich habe Kniewärmer in Tätigkeit. Mutti und ich sind Sonntag, den 16. nach Leipzig gefahren, Mutti wollte doch Kurt noch sehen. Ich war noch mal mit Lene S. auf der Bugra. Ganz gründlich haben wir uns das Haus der Kultur angesehen. Es war sehr interessant. Jedoch eine gähnende Leere. Daß Japan noch mitmachen will, finde ich niedrig. Gestern Abend war zur Feier vom Sieg bei Metz ein Lampion- und Fackelzug. Einem Einberufenen habe ich Grüße aufgetragen. Er hat sich es sogleich aufgeschrieben.
Daß der Papst gestorben ist, wirst Du wohl wissen. Grüße Klopfer vielmals von mir, und wenn möglich auch aller 134er, die ich gern habe.
Nun Schluß. Schreibe mir doch bitte mal. Diese Karte kommt dann auch in mein Tagebuch.
Viele herzliche Grüße
Deine Tochter Christine

Sammlung Frauennachlässe NL 177
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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 12: Briefe von Christine Stephani an ihren Vater, 13. und 22. August 1914, SFN NL 177, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=17658